Donnerstag, 7. Januar 2010

Mi, 6.1.10 (Do, 7.1.10, 4:12): Dieselben, die sich gleichen

Ich weiß nicht mehr genau, wie und in welchem Zusammenhang C.S. darauf kam, aber plötzlich hat er das olle Heraklit-Zitat rausgehauen, von dem nicht mal Google weiß, wie genau es nun eigentlich heißt: "Man steigt nie zweimal in denselben Fluss" oder doch: "in den gleichen"? Der Unterschied zwischen Demselben und dem bloß Gleichenden.

Wie war das noch jetzt? Dasselbe ist das "ein und dasselbe", also unverändert, während das Gleiche Unterschiede aufweist, die aber nur quantitative (für den Umstand marginale), nicht qualitative sind? (Skizze: Dieselbe Gleichung, das gleiche Selbst (?); Physik: Noether-Theorem)

Jedenfalls trinken wir beim ersten Stammtisch nach Monaten, bei dem der Meyer wieder dabei ist (gleichermaßen erstmals Lilly), jeweils zweifach gegenüber sitzend in der "sternstunde" zwar das gleiche, aber nicht dasselbe. Nämlich J.F. und Lilly erst heiße Schokolade mit Schuss Baileys, danach Merlot und C.S. und ich dunkles Hefeweizen. Da aber jeweils aus eigenen Gläsern nur ein gleiches, nicht dasselbe Getränk aus einem Glas. Wobei ja letzteres auch nie dasselbe wäre, weil es nicht identisch ist mit dem Schluck davor, als dasselbe Getränk im selben Glas noch höher stand, diesem also nur gleicht, wie Lilly bemerkt.

Und etwa so sind wir auch nicht dieselben, die sich hier am gleichen Stammtisch zusammenfinden, sondern die, die denen gleichen, die sich am selben Tisch (zum Teil) schon mal zusammenfanden. Und überhaupt ist ja der Meyer nicht mehr derselbe. Was J.F. an anderer Stelle, so wird berichtet, verteidigte, weil es ihm, dem Meyer, auch mal zustehe, unpünktlich, unzuverlässig, unpreußisch, unsekundärtugendhaft ((untersekundatugendhaft)) zu sein.



Solcher Lauf der Dinge, der Zeiten und der Umstände eben, kurz: die immer wieder bewiesene Tatsache, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt und nicht umgekehrt (dem Umkehrschluss im Ergebnis allenfalls zuweilen gleichend) sind es, die uns zwar als die Gleichen, aber nie als Dieselben wieder zusammentreffen lassen. Was eine nette Ellipse ist, denn definitorisch unscharf, aber de facto besteht das Wohlgefallen an Stammtischtreffen ja darin, dass man damit rechnen kann, zumindest die Gleichen wieder vorzufinden wie eh, nur eben nicht je.

Ohje ;-)

Am Rande dieses kleinen philosophischen Kollegs ergibt sich auch die - hier, also genau hier, im di.gi.Blog besonders interessierende - Frage, was von der Wiederaufnahme der di.gi.ariums-Idee von 2000 zu halten ist. Diskurs also über das di.gi: C.S. bemerkt (hätte er ein Google dabei gehabt, hätte er gefunden und zitieren können, was hierzu passt wie die gleiche Faust auf dasselbe Auge, nämlich: "Man schreibt nie zweimal in dasselbe Blog", was die riesenmaschine.de ironisch vermeldet), dass das di.gi.10 - bislang jedenfalls - den Gestus hat, den er im di.gi.00 nicht so toll fand: die Selbstreflexion des Textes, den Text, der über den Text textet, inklusive all der meta-ebnenden Verzwurbelungen. Besser fand er damals das so genannte Authentische, die Eins-zu-Eins-Nähe zum Erlebten (statt der Reflexion der Reflexion darüber), wenn der Erzähler, der mir gleicht, aber - jajaklar - nicht derselbe ist wie ich, der Meyer also, etwa darüber sinniert, dass ein gerade angezogener Pullover nicht derselbe ist, sondern eher einem Sweatshirt gleicht ((man verzeihe mir, dass der Link dazu nicht googlebar ist, hab's eine halbe Stunde erfolglos versucht - C.S., poste ihn im Kommentar!)). Selbige Gleichungen 10=00 fehlen ihm (noch). Während er in etwas anderem "DEN Meyer-Humor" findet, der seit damals im di.gi seinesgleichen sucht:

Nämlich als wir vom Zigaretten-Intermezzo im Raucherraum zurück an den Stammtisch stiefeln und dabei über den Hund stolpern, der sich zwischen den Tischen angeleint schnüffelnd umher bewegt. Lilly, die ihn streichelt, wird gewarnt, er könne beißen. Glücklicherweise habe er einen Maulkorb um, der so perfekt getarnt sei, dass man ihn nicht sehe. Meyer meint, es handele sich bei der spitzen Schnauze des Hundes selbst um den Mimikry-Maulkorb. Eigentlich sei der Hund ein Boxer, der gar keine Schnauze habe, sondern sich per Maulkorb-Schnauze als friedliche Promenadenmischung tarne.

Das ist also dasselbe wie der Pullover, der einem Sweatshirt gleicht. Und, so denke ich - verschwunden hinter dem Text (genauer, so Lilly Klavki zitierend: "verschwunden IM Text"): Das sind die Gleichungen, die, lässt man sie sich im Text verselbst((ver)ständig)en, aus dem bloß Gleichen dasselbe machen.

Weitere (text-über-text-mäßige) Fragen jetzt in diesem Zusammen- oder auch Auseinanderhang: Wie und inwiefern gleicht sich dasselbe? Ist die Ungleichung von dem Gleichen und Demselben nur eine (ideo-) logische, aber keine "gefühlte" Frage? Und wenn Lilly Recht hat, die meint, dass man als Leserin spüre, wie ich mich im di.gi.arium von heute etwas krampfhaft (und eigentlich unbegründet) an das di.gi.arium von damals anzulinken versuche, ist dann dieses im Verhältnis zu jenem ein Selbes, weil ich die Gleichung versuche? Oder ist es ein Gleiches, weil ich derselbe geblieben bin?

Womit wir ... nein: ich, wieder beim Schäfchenzählen des Textes, der mein Hirte ist, bin. C.S. wird augenrollen. Aber vielleicht auch amüsiert bemerken, wie viele Pullover, die eigentlich Sweatshirts sind, und Hundeschnauzen, die (k)einem Maulkorb gleichen, sich in eben diesen Text von heute eingeschlichen - oder darf ich zwinkernd mich zitieren?: "einkassibert" - haben.

Mittwoch, 6. Januar 2010

Di, 5.1.10 (Mi, 6.1.10, 3:33): Die (Un-) Ordnung der Dinge

Seltsame Un/ruhe (Be/un/ruhigung) wegen der Un/ordnung der Dinge. Tagebuchberichte erfordern eine (An-) Ordnung der Dinge auf einem Zeitstrahl. Andererseits lähmt jede Ordnung das Erzählen von Gefühlen. Sie brauchen die Unordnung, um erzählbar zu sein - und die Beunruhigung. Wer ruhig ist, hat nichts zu erzählen.

Schon am Anfang des di.gi.ariums 2000 ging es um dieses Problem. Jetzt stellt sich wieder die Frage, "wie ein Untergang dem nächsten rät". Denn und allerdings: Wenn sich fragen lässt, wie ein Untergang dem nächsten rät, ist die Antwort vielleicht, was ein Anfang dem vorhergehenden riet.



So ist 100105 ein einander Raten wie 000105. Ein Geschweigedenn. Indem sich nichts ereignet, ereignet sich erst alles.

Eine Frage der Zeit, ob sie uhrtickt oder sanduhrig (zer-) läuft. Letzteres heute wieder. Kein Takt nirgends, und das ist assoziativ be/un/ruhigend. Etwa beim Betrachten der erstarrt scheinenden Geckos, die ihre Bewegungen auf das Minimale des Moments beschränken, ansonsten in jener Ausdehnung des Jetzt verharren, schlafwandelwachend. Mit Lilly im Streichelzoo, wo der Zugriff auf das Betrachten beschränkt bleibt. Etwa die horrorfilmmäßig eingefrorene Heuschreckenplage im Krabbelterrarium. Hunderte Tiere hocken da auf- und ineinander. Wie Schiffbrüchige von Vergangenheit und Zukunft auf dem zu engen Floß der Gegenwart. Ihr Gleichmut dabei erscheint als Eigensinn, sich im Gewirr der Umbeinungen willkürlich zu paaren, um die Nähe durch Vervielfachung noch zu steigern. In der Unruhe der Tiere ent/wickelt sich die Ruhe der gleichförmigen Bewegung, die aus der Stille kommt. Grabgeweihte Grillen.

Mich überkommt beim Anblick dessen eine Art himmlische Rührung. So sieht nicht die Hölle aus, sondern der Himmel Unordnungen.

Zurück aus dem Zoo stellen wir solche Verschlingungen auf der Bühne des Bettes nach. Das heißt, wir erfinden aus den Untergängen die Anfänge, jeweils gewesene, kommende und jetzige, ohne sie fortzusetzen, denn Fortsetzung folgt.

Daher also der mühsame Beginn der d.day-Erzählung. Daher also dies retrograde Repetitieren (und backlinken). Liebespfeile nicht im Köcher, Amors überspannter Bogen ist ein Revolver im Russischen Roulette. So spielen wir mit der Zeit, zerschlagen die Sanduhren, sammeln den Sand wie den Schnee unter unseren Schuhen.

(Und sind derselbe unter unseren Füßen.)

Dienstag, 5. Januar 2010

Mo, 4.1.10 (Di, 5.1.10, 4:51): Gemütlich

Auf schon gegen Mittag, noch hell. Aufbruch, um Arbeitsmaterialien abzuholen. Unter den ausgekühlten Füßen das Geräusch des Schnees. Man hätte es aufnehmen können – leider versäumt. Auf dem Rückweg angewandelt und in die neue Jacke vermummt plötzlich ein Gefühl von Gemütlichkeit. Der Tag kann kommen (und gehen), wir werden an Tasten antastbar sein.

Am Nachmittag die angenehme Vorstellung, das Haus heute nicht mehr zu verlassen (allenfalls die Wohnung, um Verrichtungen wie Müll runter Bringen vorzunehmen). Die Heizung angestellt, Lilly hat aufgeräumt. Essen auf mikrogewellten Krücken. Das kommode Provisorium des Campens. Und nebeneinander arbeiten, ein jedes an seinen Tasten. Hier an den still surrenden Macs das Dies & Das wie Rechnungen schreiben, am "Steuer machen!"-PostIt, der seit sechs Monaten am linken Bildschirm haftet, zärtlich zutzeln. Keine Ruder rumreißen, eher die Pinne auf Kurs halten. Kurs Ost.

Frühabends das aufbrüchig, schneetrittig geholte Arbeitsmaterial anschauen und darüber schreiben. Lustlos gemütlich. Späterabends Filme gucken: Woody Allen: "Der Stadtneurotiker" und "Manhattan". Die Melancholie des Humors, der Humor der Melancholie. Alles Fragen der Flüssigkeitshaushalte von Körpersäften (Gehirn-Liquor).

Utopisch-romantischer Plan, nach New York zu reisen und im Central Park mit (geil) gespitzten Stiften auf dem bräutlichen Weiß von Notizblöcken (oder leerer Word-Fenster) zu tagen und zu nächtigen. Was soll Paris, London, Wien, Venedig? Downtown! Wie es cinemascopet in den Szenen auf dem Balkon, derselbe in "Stadtneurotiker" und "Manhattan".

Nach Anzeigen-InDesign dann nächtlich die Links zu den di.gi.ariums-Geburtstagen (und Fortsetzung "joint@venture") zusammengeklickt:

www.schwungkunst.de/hyper/hype000104.html
www.schwungkunst.de/joint/2001_01.html
www.schwungkunst.de/joint/2003_01.html

Wie war man da drauf gewesen, jeweils durch Jahre getrennt (und (un)verbunden)? Der Text ist mein Hirte, stiefelt wanderstäbelnd hinein aus dem Je ins Jetzt.

Ach ...

... sagen und dabei nicht lügen. Die Revue der Lebensjahre, gemütlich Passiertes. Blinde, opake Senkbleie in die Vergangenheit. Sich wiedererkennen und dennoch fremd sein. Gedanke: Das Schreiben ist ein Prozess positiver, weil produktiver Entfremdung. Lilly macht ein erzähltheoretisches Organigramm zur Illustration der Unterschiede von erzählter und Erzählzeit. Nachdenken darüber, wo sich da dies di.gi.arium im Fluss seiner Unterbrechungen und Fortsetzungen einordnen würde. Ist das hier überhaupt Roman? Ich denke schon.

Mit viel gemütlich glühendem Wein in den nahenden Morgen getippt. "Trunken ward ich stets und lüstern", weht ein Selbstzitat aus einem auf den Festplatten nicht mehr auffindbaren, dennoch plastisch erinnerten Gedicht herüber.

Gemütlich jetzt in die Kissen und Küsse gekuschelt.

Montag, 4. Januar 2010

So, 3.1.10 (Mo, 4.1.10, 6:43): Zwischen

Aus den Fugen der Zeit und ihrer Läufe gefallen in jenen Zwischenraum, das Niemandsland, das eben noch "zwischen den Jahren" hieß, jetzt zwischen den Tagen. Oder zwischen den Nächten, denn das Tageslicht, fahl ohnehin nur aufflackernd zwischen den Dunkelstrecken, ist verschneit vom dämmrigen Schlummer. Eine Neon-Niemand-Periode, die schüchtern geteilt wird von den verlangsamt geflüsterten Schlägen der Rathausturmuhr.

Jedes Maß verlierend, Zollstöcke und Zeiteisen weggesperrt in den Giftschrank der Stundenpläne, entsteht jener Zwischenraum, in dem Poesie ihre bleichen Schösslinge austreibt, stängelnd nach Licht selber phosphoreszierend. Die Verben verwinden sich zu skizzengeisterhaften Partizipien. Ein Futur Zwei aus Ahnungsfadenwürmern und ähnlichen Gebilden aus dem Traumfabrikfließband wie in "Naked Lunch". Aufgehangen an den Galgen von Infusionsgestellen, feingerippt wach gerührt und nicht geschüttelt. Das Nächtebuch, am frühen Morgen nachtzusammengeschweißt, gerät zum Zettelkasten der Kassiber, aus leeren Zellen ins Leere jenseits der Gitter gesandt, ins Diesseits geholt.

Niemand, keine Nacht für niemand ...

Muskelkater der Geistes- und Waldränder, wattige Sch(m)erzzustände. Es tut nicht weh, niemand hat nachgebohrt. Zwischen den Zähnen die Pelze des Nachtatems. Traumzerschwindelt erwachen die Äther. Langsam wird es hell.

Sonntag, 3. Januar 2010

Sa, 2.1.10 (So, 3.1.10, 6:58): Jetlag / amerikanische Nacht

Schon wieder "amerikanische Nacht", die Nacht zum Tag gemacht und umgekehrt. Aufstehen, wenn die Vögel schlafengehen. Dämmerfortsatz. Im iPhone videotisiert. Was lichttechnisch funzt, weil Schnee fiel den ganzen Tag und nun die Nacht zur "amerikanischen" macht - Restlichtverstärker. Deutlicher Bildbezug zum "spät.werk".

(Aber mutwillig Stummfilm.)



Entsprechend seit Tagen ein fortgesetzter, nie ausgeschlafener Jetlag. Züchtung der Erschöpfung und durch sie Züchtigung. Lilly bemerkt die "leeren Stunden" zwischendrin. Wir "hocken aufeinander" in der Fickzelle mit Fernheizung. Und philosophieren, was die Zelle und die Texte zwischen den Zeilen kommod macht. Wühlen in der Kommode, Old-Fashionables in Schuhkartons. Die Unordnungen der Vergangenheit, herüberschielend ins Jetzt & Hier.

Erinnerungen sind angekündigte Verspätungen.

Der Jetlag von 10 Jahren zum di.gi.arium2000. Nicht einzuholen, aber zu überholen, wenn hier die alten Links verlinkt werden. Linkisches Erinnern, Netzwerken in der Autodafébiografie. 100102 meets 000102, seinerzeit der Startpunkt, zukunftszueilend, weil auf der Außenbahn der Datenautobahn im Oval rennend.

Aschenbahn. Erinnerung09: Wie wir Klavkis Asche ins Meer streuten an der Mole vor Bülk, vererbte Freunde. Facebooking morgens um 7, so wie jetzt. Nur im Frühling und also schon Westernsonne aufgegangen. Saat aufgegangen. Wie ich also in die Urne in die Asche die Hand tauchte, (be)grub und eine Handvoll nahm, sie ins Meer zu streuen. Selbst nach Waschung roch die Hand noch tagelang nach Lagerfeuer. Klavki, ein Duft. Worte dafür gefunden wie Staub, auf den Straßen aufgelesen. Loch im Schuh, ich gehe meilenweit für eine Camel-ohne durch die Pall Mall.

Der Jetlag der Erinnerung.

Zipfeltupfend auf dem Bette, dessen Buß-und-Bettdecke sich im roten Bezug von Schlafbewegungen gefedert immer derart verkruckelt, dass einfach Ausschlagen nicht genügt. Nein, man muss den Bezug öffnen (semiotisch sic!), die Bettdecke bei den Hörnern packen und neu "einspleißen".

Verrichtungen.



Nacktfüßig zehengängerisch umhalst sie mich, die Kamera am Hals, imaginär, surreal, und wir reiten ins Morgen-Schneeweißchen-und-Rosenrot durch die "amerikanische Nacht".

Samstag, 2. Januar 2010

Fr, 1.1.10 (Sa, 2.1.10, 7:24): Kurzum

halt

halte nicht an,
noch ein,
halte fest,
was flüchtig ist,
den wimpernschlag auch
dieser geschichte.
halte das aus,
auch dieses
noch sacht.
es heißt nacht
inmitten
letzter tage.
halte sie fest,
nicht an.


--- snip! ---

Auf der Bühne des Ateliers stehen Sprout, Band aus Hamburg, und rocken. Rollig das plötzliche Gefühl, dass alles in Ordnung ist. In der Ordnung des Chaos. "Ordnung des Chaos", ein verblasenes, aber nicht verblassendes Aha-Erlebnis. Seit Wochen sage ich - oder er, ögyr, es ist noch nicht entschieden, wer hier als (ly-risches) Ich auftritt in der erogenen Zone des Er/Sie/Du/Wir: "Kurzum:". Kurzum: Es ist alles in Ordnung, weil ich nicht weiß, wer in der Engel Ordnungen ... wenn ich riefe ... wen ich riefe, riefenstählte ...

Das neue Jahr - kurzum: es ist nicht der Beginn des neuen Jahrzehnts, es gehört noch zum alten, "allein", wir (hihi, wir statt ich) hatten schon im di.gi.arium 1.0 (2000) letztbegründend auf das im Neuen aufscheinende Alte rekursiv zurückgeblickt jeden Tag - nimmt seinen Anfang im Ende des alten. 09 war irgendwie wirr. Ein Jahr im Schlafwagen aus Medikamenten (Betablock) und übermüdeter Überarbeitung (Nacht). Dennoch kurzum: Wie jedes Jahr im Dezennium seit dem Milennium brachte Veränderung. Dass das nur schüchtern reimt, sei mir - ihm, ögyr, uns - Warnung genug. 09 reimte dennoch auf Aufgabe und Hingabe. Wie jetzt, wo dez(ennium) Minuten nach Mitternacht Sprout auf der Bühne des Ateliers in der Arfrade 45 rockt und ich das beruhigend normal finde.

Es ist ein Gefühl wie Anfang, und es ist ein Gefühl wie Ende. Das Jahrzehnt, jaja, die "Nuller-Jahre", aber auch meiner Wahrnehmung, was wie ist. Erkenntnis nach den revoltierenden Revolutionen seither: Geschichte wird nicht gemacht, außer sie entsteht. Wo? Nicht im Kopf, da sträubt sich alles, sondern im Herzen! Klavki, mein Freund nach dem di.gi.arium.00, zwischendrin, 090404, verstorben, nannte, nein, zitierte das: "Menschen, die noch barfuß gehen im Herzen." Aus hunderten Zitaten des vergangenen Jahrzehnts hat gerade das jüngste, nächste überlebt.

Dieses.

Neue Schuhe, die nicht passten und daher Blasen an den Fersen beim Gehen zur herzlichen Familienfeier in G. erzeugten. In den noch neueren Schuhen blüht noch die Wunde von rund drei Kilometern durch den Schnee an ihrer zu ihrer Seite.

Lilly!

Lilly geht schnell. Wir auf dem Weg ins Arfrade-Atelier. Etwa eine halbe Stunde. Mit mir an ihrer Seite verlangsamt, eher 40 Minuten. Ankommend, fasse ich ihrer Unsicherheit in meinem Terrain an den Po. Eine Geste, die allenfalls im Rathausstraßen-Habit angebracht ist. Lippen fassen sich zusammen. Ein Dancefloor, der für Sex geeignet scheint. Aber nur in Heimlichkeiten.

Die Heimlichkeiten des Verschwindens 09. Wo ich war, wusste ich nicht mehr, wohin ich gelangte, umso mehr. Warum muss sich immer alles auf alles reimen, wenigstens stabreimen? Lilly und ich sitzen (betrunken beide) in der Sauna. Wir sind angezogen. Vom Whirlpool mit Holzfeuerung keine der angekünstigten Spuren. Vielmehr draußen ein Scheinwerfer, einige Kilowatt, mit dem der Gastgeber, Atelierbewohner, in der Neujahrsnacht kurz Kunst in den Tanzraum strahlt. Ich bemerke es, erinnere, mache Notiz, die verblasst, bevor sie bläst.

Lilly küsst. Ich küsse. ögyr küsst. Wir küssen zu dritt. Küsse, bei denen ich, der sonst immer blickt, was Kuss ist, die Augen schließt. Sie ist so zart, sie ist so wild, so still. Eventuell gelangt dieser Eindruck nur wegen ihr - kleine Hommage - hierher.

Hierher, hier ist das Dezenium des 2000 getackerten, getippten, täglich, di.gi.ariums. Warum dieses Revival? Weil es kein Revival ist, sondern Revolution. digi00 ist als digi10.0 nicht nur neues Betriebssystem, sondern "die Agonie der Betriebssysteme". Denke ich, wo gerade Sprout seit 10 Minuten in 2010 rockt.

Geistige Getränke.

Morgens wachen wir auf, es ist nur schon nachmittags. Beide "stoned". Später gucken wir stoned-te Filme: Burroughs/Cronenberg: "Naked Lunch". Vorher, neujahrsnachts, nicht schlafen könnend (nicht mal miteinander): "eXistenZ".

Die Sonne, nie da gewesen, schwindet schon. Erster Erster. Sie küssen (und anfassen) ist wie nicht mehr da Sein. Wie Verschwinden. Verschwinden in uns. Sie hat etwas, das mich verzehrt. Sie isst mich auf. Am dämmrigen Tage Überlegungen, wie wir das weiter machen, ohne zu verschwinden. Beiderseitiger Entschluss: Schreibenschreiben. Am Abend üben wir das in entfernten Zimmern, manchmal ein Miau, einander herbeirufend.

Streicheleinheit.

Auf dem Laptop DVDt Alexander Kluge: "Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit". Und abends, ich, neben leerem Plus-1-Karten-Sessel im Schloss für KN: u.a. Williams: "Imperial March".

Kurzum: Ist schon wieder lange her, eine Nudelsuppe, vier Orgasmen. Willkommen zur Schau zuhaus, im di.gi.arium.10.0.

Donnerstag, 6. Dezember 2007

leere ellipsen,

in deren brennpunkt meine liebste leidet,
um die ich eben nicht kreise,
mich nähere im perihel,
entferne in den aphel.

die mathematische mechanik der großen halbachse,
periapse versus apsidendrehung.
die planeten machen schleifen
am himmel um die engel,

keplersche bahnen,
während im innern der ellipsen
leere ist,
also die lehre.

sorry für das wortspiel,
mercy für das „flüstergewölbe“!
ich dichte, also bin ich
dicht, mal wieder.

der nikolaus beginnt in diesem jahr
mit einem alexandröhnenden „a“,
nicht mit „n“ wie ende,
woran er ist (und kopernikanisch war).

im brennpunkt der ellipse
das faltertum,
dessen requiemresiduum
mit lahmem flügel

auf meinem fensterbrett,
gefangen hinter der jalousie,
bei mir überwintert.
und ich schaue zu und heraus.

Mittwoch, 5. Dezember 2007

Der Anfang als die Furcht vor dem Ende

Annett Louisan sang im Schloss vor stehenden Ovationen.

Kiel – „Möchtet ihr wissen, was aus meiner Freundin Eve geworden ist?“, fragt Annett Louisan ins Publikum des ausverkauften Schloss’ und natürlich will das jede und jeder wissen. „Eve“ war auf dem zweiten Album „Unausgesprochen“ das Hassbild der ständig „positiv, sportiv, aktiven“ Zeitgeistfrau, die dann doch bloß „Na, Eve – naiv“ ist. Spannend, was aus ihr geworden sein mag ...

Hat sie dazu gelernt, ist sie erwachsener geworden, reifer? Oder hat sie nur zu einer anderen Zeitgeisterbeschwörung gewechselt? Letzteres, denn im Song mit dem wortspielerischen Titel „Die sein“ von Louisans Tour-Album „Das optimale Leben“ eifert „Eve“ immer noch eher dem Design als dem Sein nach. „Eve“ bleibt also die ewige Eva, Annett bleibt blond und damit das Gegenteil von blöd und der Song wirkt ein wenig wie ein „Follow up“ oder nochmal nachgetreten auf demselben, freilich sowohl textlich wie musikalisch gut gangbaren Pfad. Kurzum: Aus Annett, ist wie aus ihrer Gegenfigur Eve nichts Neues geworden. Sie macht mit dem „optimalen Leben“ da weiter, wo sie mit „Unausgesprochen“ in einem so schön offenen Ende aufgehört hat.

Das ist deshalb eine lässliche und auch nur halb eine Sünde, weil Louisans schon mit dem Debüt „Bohème“ eingeschlagener Weg Horizonte für wohl mindestens vier Alben eröffnete. Zu neu ist Louisans Wiederentdeckung des Chanson für den Pop, als dass die schon bei der dritten Liedoptimierung ausleiern würde. Dennoch: Wehret den Anfängen! Zumal wenn es in ihren neuen Songs wie immer um jene Bereiche der Liebe geht, wo die schütter, brüchig, zartes Pflänzchen oder welkende Orchidee ist – am Anfang und am Ende. So ergeben sich Paradoxien: Louisans Stimme, die auf einzigartige Weise mädchenhafte Unbekümmertheit mit der elaborierten Kunst des Chanson- und Jazzgesangs verbindet, also ebenso weise wie „naiv“ ist, wirkt gerade bei den alten Songs gereift. Da blüht sie auf, probiert neue dynamische und klangliche Möglichkeiten – wie auch im Duett mit dem Überraschungsgast, Country-Chansonnier Martin Gallop. Während sie andererseits in den neuen Songs diesen tastenden Hauch von früher hat. Was aus Annett geworden ist (und noch werden kann), dürfen wir als Parabel auf ihr Thema lesen und hören: Der Anfang als die Furcht vor dem Ende – und umgekehrt.

Mag sein, dass das „zu viel verliebt“ in die philosophische Betrachtung ist. Mag aber auch sein, dass es die besondere Stärke von Louisans (und Texter Frank Ramonds) Songs ist, derlei Reflektion beinahe zu erzwingen. Zumal wenn immer wieder diese kleinen (Chan)Son(g)wunder passieren: Warum der einfallsreichste und kompromissloseste (weil es darin um die ewigen Kompromisse geht) Song des Abends, „Die ehrliche Haut“, nur als Bonustrack den Weg auf das neue Album gefunden hat, fragen wir jetzt nicht. Einfach genießen, wie Louisan und ihre kongeniale Band (Hardy Kayser und Mirko Michalzik, git., Olaf Casimir, b., Christoph Buhse, dr., Kai Fischer, p./org. sowie die Seele der Band, Friedrich Paravicini an Wurlitzer, Bluesharp, Akkordeon und dem singenden Cello) diesen schwindelnden Tango-Walzer zelebrieren.

Und dann aufstehen zu stehenden Ovationen und den vier Zugaben, immer fürchtend, dass dieser Anfang viel zu früh zu Ende geht.

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