Mittwoch, 5. Dezember 2007

Der Anfang als die Furcht vor dem Ende

Annett Louisan sang im Schloss vor stehenden Ovationen.

Kiel – „Möchtet ihr wissen, was aus meiner Freundin Eve geworden ist?“, fragt Annett Louisan ins Publikum des ausverkauften Schloss’ und natürlich will das jede und jeder wissen. „Eve“ war auf dem zweiten Album „Unausgesprochen“ das Hassbild der ständig „positiv, sportiv, aktiven“ Zeitgeistfrau, die dann doch bloß „Na, Eve – naiv“ ist. Spannend, was aus ihr geworden sein mag ...

Hat sie dazu gelernt, ist sie erwachsener geworden, reifer? Oder hat sie nur zu einer anderen Zeitgeisterbeschwörung gewechselt? Letzteres, denn im Song mit dem wortspielerischen Titel „Die sein“ von Louisans Tour-Album „Das optimale Leben“ eifert „Eve“ immer noch eher dem Design als dem Sein nach. „Eve“ bleibt also die ewige Eva, Annett bleibt blond und damit das Gegenteil von blöd und der Song wirkt ein wenig wie ein „Follow up“ oder nochmal nachgetreten auf demselben, freilich sowohl textlich wie musikalisch gut gangbaren Pfad. Kurzum: Aus Annett, ist wie aus ihrer Gegenfigur Eve nichts Neues geworden. Sie macht mit dem „optimalen Leben“ da weiter, wo sie mit „Unausgesprochen“ in einem so schön offenen Ende aufgehört hat.

Das ist deshalb eine lässliche und auch nur halb eine Sünde, weil Louisans schon mit dem Debüt „Bohème“ eingeschlagener Weg Horizonte für wohl mindestens vier Alben eröffnete. Zu neu ist Louisans Wiederentdeckung des Chanson für den Pop, als dass die schon bei der dritten Liedoptimierung ausleiern würde. Dennoch: Wehret den Anfängen! Zumal wenn es in ihren neuen Songs wie immer um jene Bereiche der Liebe geht, wo die schütter, brüchig, zartes Pflänzchen oder welkende Orchidee ist – am Anfang und am Ende. So ergeben sich Paradoxien: Louisans Stimme, die auf einzigartige Weise mädchenhafte Unbekümmertheit mit der elaborierten Kunst des Chanson- und Jazzgesangs verbindet, also ebenso weise wie „naiv“ ist, wirkt gerade bei den alten Songs gereift. Da blüht sie auf, probiert neue dynamische und klangliche Möglichkeiten – wie auch im Duett mit dem Überraschungsgast, Country-Chansonnier Martin Gallop. Während sie andererseits in den neuen Songs diesen tastenden Hauch von früher hat. Was aus Annett geworden ist (und noch werden kann), dürfen wir als Parabel auf ihr Thema lesen und hören: Der Anfang als die Furcht vor dem Ende – und umgekehrt.

Mag sein, dass das „zu viel verliebt“ in die philosophische Betrachtung ist. Mag aber auch sein, dass es die besondere Stärke von Louisans (und Texter Frank Ramonds) Songs ist, derlei Reflektion beinahe zu erzwingen. Zumal wenn immer wieder diese kleinen (Chan)Son(g)wunder passieren: Warum der einfallsreichste und kompromissloseste (weil es darin um die ewigen Kompromisse geht) Song des Abends, „Die ehrliche Haut“, nur als Bonustrack den Weg auf das neue Album gefunden hat, fragen wir jetzt nicht. Einfach genießen, wie Louisan und ihre kongeniale Band (Hardy Kayser und Mirko Michalzik, git., Olaf Casimir, b., Christoph Buhse, dr., Kai Fischer, p./org. sowie die Seele der Band, Friedrich Paravicini an Wurlitzer, Bluesharp, Akkordeon und dem singenden Cello) diesen schwindelnden Tango-Walzer zelebrieren.

Und dann aufstehen zu stehenden Ovationen und den vier Zugaben, immer fürchtend, dass dieser Anfang viel zu früh zu Ende geht.

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