d.day - keine nacht für niemand

Mittwoch, 5. Mai 2010

So, 2.5.10 (Mi, 5.5.10, 16:19): Im Walde, caspar-david-friedlich

Spätnachmittags los in die Frühlingsfrische und das glänzende Abendlicht. Romantik. Mit Lilly durch den Elisenhain spazierend, über Stock und Stein der pfadigen Wege, leicht bergan auf eine Lichtung zu, den Waldrand.



Lilly zeigt mir Wege und Tümpel ihrer Kindheit, wo es Frösche, Kaulquappen, Mäuse und Insekten gab. Fremdenführerin durch eine durch ihre Erzählungen sogleich vertraute Landschaft. Eine große Schnecke mit Haus vom Waldpfadboden aufgesammelt und ins Grüne daneben gesetzt. Das Tier ängstlich und duldend.

Zauberwäldische, elfentrollhafte Melancholie, Sonntagnachmittagsgeborgenheit in kultivierter Natur. Betrachtend gefallene Stämme, Windbruch, bemooste Erinnerungsstücke. Erinnerung woran?

Lilly sinniert über Leben und dessen Dauer, Endlichkeit. Ich halte die Frage für falsch gestellt, habe aber nicht Recht, weil sie das Problem näher am Eigentlichen, eben nicht mittelbar, meta/eben/phorisch bedenkt. Merke das Reflexartige vieler meiner Denkmuster und Denkstrategien, dies vorschnelle Einrasten. Dann wieder beglückt davon, mit ihr wandernd (im mehrfachen Tiefseesinne) zu denken.

Wo der Weg durch die Siedlung am Waldrand wieder auf die Straße stößt, die Klosterruine, museal eintouristisiert. Caspar David Friedrichs mehrfach gemaltes und gezeichnetes Faszinosum. Steilaufragend und seltsam friedlich. Zu Ruhe gekommene Zeit, im Dastehen liegend wie auf einer Ottomane der Beschaulichkeit. Wir Streifende auf dem Abenteuerspielplatz des Denkens und Empfindens, zuweilen Hand in Hand. Einverstanden eigensinnig jeweils.



Weiter nordwärts eröffnet sich unerwartet plötzlich Hafenidyll mit Klappbrücke. Hat etwas Holländisches, van Goghelnd. Das Idyll nicht idyllisch, indem es nicht vorgibt, Idyll zu sein, sondern "einfach da", also frei von romantischer Zuweisung eben umso romantischer. Wir stehen auf der Brücke, abendsonnenbeschienen. Die Liebenden überbrückt.



Betrachtende, bildergeschwängert. Wieder in der Stadt ein "Haus mit Segeln" (wie in Monty Python's "Wunderbare Welt der Schwerkraft").



Gedanke, dass das Feste, die Immobilien Flüchtlinge sind. Nester auf dem Sprung. Wie wir beim Camping auf dem Matratzenlager.

Und ein Abendwind weht, der sich dem Nachtwind in die kühlen Kissen schmiegt, zärtlich, friedlich, aus der Zeit gefallen.

Sa, 1.5.10 (Mi, 5.5.10, 2:40): Verspätung

Reise nach G., mehrfach verpätet. Erst fuhr der Zug gestern gar nicht erst in Kiel ab, jetzt stockt die Reise in Bad Kleinen, wo der Zug aus Hamburg sich um fast eine Stunde verspätet.

Herumlungern auf dem Bahnsteig, wo die Verspätungsansagen einer Computerstimme sich zehnminütlich um zehn Minuten erhöhen, als laufe die Zeit rückwärts. Rückwärts geblickt, in die Verspätung der Zeiten, die dieser kleine aber Kreuz(ig)ungspunktbahnhof erlebte, anhand der Patina, die langsam abblättert, um neuem Glanz Platz zu machen, hier aber wie auf keinem der Bahnhöfe bei der Reise nach G. noch dieses vorzeitige Idyll hat. Fotos vom Haltepunkt Gleis 2 aus (auf dem Gleis 4 gegenüber wurde am 27.6.1993 der RAF-Genosse Wolfgang Grams von GSG-9-Beamten in den Kopf geschossen, woran ich jedesmal denke, wenn ich hier umsteige):







Samstag, 1. Mai 2010

Fr, 30.4.10 (Sa, 1.5.10, 4:11): Fußnote

Auf dem Bahnhof nach G., letzter Zug für heute. Doch ein Triebwerksschaden macht, dass die Bahn mal wieder nicht ankommt, weil sie gar nicht erst losfährt. Somit kein Tanz in den Mai mit Lilly, vielmehr trottend wieder heim gewackelt.

Dort Arbeitarbeitarbeit an infomedia und parallel TV aus dem anderen Schirm. In "Inas Nacht" (NDR) ist Hellmuth Karasek zu Gast und gesteht, dass er Fußfetischist sei.

Schneide da geistesgegenwärtig mit und amüsiere mich über seine/meine Blicke auf Inas Füße. So ertappt sind die literarischen Herren immer irgendwie kindisch schlagfertig. Scheitern mit Grandezza. Auch, wie Karasek nach der Fußnummer gesteht, dass Anzüge an ihm immer so aussähen, als hätte er "14 Tage drin geschlafen".



So schlafe ich zurück, einverstanden. Und nehme morgen - heraus zum Roten 1. Mai - den zuFußzug nach G.

Freitag, 30. April 2010

Do, 29.4.10 (Fr, 30.4.10, 3:33): cameodeon

auftritt draußen, versunken,
verbunden: schachbrett
hinterhöflichkeit.
in den fenstern hinter den balkonen
wispern tagesschauen
von kykladeninselparadiesen.

laterne, laterne, hält
das kind an der hand
und lispelt jetzt zur nacht
als türmchen nach der rochade.
ein hain steht stumm
im frühlingsnebelkämmerlein.

auftritt: ich in zelt,
ein grabenfiedler, saitenlang
am bass ein lied,
so schüchtern wie der auftritt
dämmerung in einer mauerschau,
wo vögel dichten.

latrine, latrine, ich darauf
in händen mich an dich gelegt.
sendemasten aus salzstangen,
surreal natürlich,
ein bisschen schief
ins glas gestellt.

und die teelichte glühwurmen
wie abendgelb die turmuhr schlägt
und ein hauch die welken
blätter wegweht
durch die stuben und die
zauberstäube.

auftritt: ich in zeit
gehüllt und taschenuhrverträumt
die zeiger als die kompass-
nadel umgedeutet:
12 zoll tief blinkt das luftmeer
gedicht im morsecode.

Donnerstag, 29. April 2010

Mi, 28.4.10 (Do, 29.4.10, 3:22): drei sprachen

(für lilly)

das sagen, hören und zuerst empfinden,
noch nicht der text. sein ungetreuer hirte
wird wege durch die dichtung sich erschwindeln,
wo wir uns eingestanden, was verwirrte.

ein jedes wort ist vor dem schall schon lüge,
auch dieser vers vielleicht nur illusion.
ich singe nicht, ich dichte und betrüge
im anfang wie der eil'gen konklusion.

du fragtest nach, ich schwieg in meiner antwort.
ich fand dich nicht, wo du die tränen weintest.
ich war nicht hier, war vielmehr dort und fort-

gesetztes reden. statt zu lauschen, scheint es
dem dichter doch schon feld, das frisch gepflügt.
er hat dem wort die furch(t) nicht eingeübt.

ögyr liest's

Mittwoch, 28. April 2010

Di, 27.4.10 (Mi, 28.4.10, 4:31): Wundern statt Wissen

Erst eben entdeckt, wie sich Themen über zehn Jahre spannen. Nämlich im di.gi.2000 steht heutzutage: "sozusagen unbeteiligt [...] das nur noch und damit erst wirklich als WUNDER begreifen."

Sich Wundern als Modus. Statt Wissen. Im Luna liest Jürgen Teipel aus "Ich weiß nicht". Da erstmal nur auftragsgemäß und wie üblich unlustig hin. Dann angefixt von diesem Modus, den ich wie folgt beschrieb:

--- snip! ---

Offenheit statt Bescheidwissen

Jürgen Teipel las im Luna aus seinem Roman "Ich weiß nicht".

Kiel - "Auf der einen Seite war ich einfach nur total gespannt, was es alles zu entdecken gibt. Auf der anderen Seite fühlte ich mich, als ob es in Wahrheit überhaupt nichts zu entdecken gibt ... Als ob alles zwar nicht dasselbe ist. Aber doch irgendwie bekannt. So ein: 'Ja, ich gehöre hierher ... es ist irgendwie alles in Ordnung.'" Jürgen Teipels Ich-Erzähler in seinem neuen Roman "Ich weiß nicht" könnte man als naiv bezeichnen. Teipel charakterisiert ihn lieber so: "Er ist offen, er ist keiner dieser Alles- und Bescheidwisser."

Gespannt war man auf Teipels ersten Roman nach der gefeierten Pop-Studie "Verschwende deine Jugend". Doch was er nach sechs Jahren Arbeit in "immer dünner werdenden Fassungen" als Road-Movie einer Handvoll Techno-DJs durch Mexiko ablieferte, scheidet nun die Kritiker. Mancher Kollege aus dem Pop-Universum frage: "Was ist das für'n Schwachsinn?", im Feuilleton hingegen finde das Buch freundlicheres Echo. Zu Teipels Lesung im Luna kommen indes nur fünf zahlende Gäste - womöglich weil es zu viele Bescheidwisser in der Generation Pop gibt, die in Teipels Roman "die Negativität" vermissen. Aber einen Post-Pop- oder Punk-Roman wollte er ganz bewusst nicht schreiben. "Das lag zwar nach 'Verschwende deine Jugend' nahe, aber darauf möchte ich nicht festgenagelt werden." Das Lebensgefühl einer offenen Weltzugewandheit, eines Staunens über die Wunder des Normalen, einer ekstatisch-meditativen Wahrnehmung, die als Droge den Peyote-Kaktus allenfalls als Verstärker braucht, ansonsten reicht die bare Wirklichkeit, fand Teipel in seinen Interviews mit Techno-DJs. Sie berichteten ihm von Erfahrungen, die Welt als ganzes Gutes zu sehen, wo "irgendwie alles in Ordnung ist". Dies fand Teipel buchenswerter als verschnörkelt intellektuelle Nihilismen und Weltverbesserungsschmerze.

Der Autor hat nach eigenem Bekunden mit dem neuen Buch "einen Riesenschritt" getan - weg aus den Pop-Punk-Zusammenhängen mit ihrer ideologischen Verhärtung hin zu etwas, das man als neues Hippie-Bewusstsein bezeichnen könnte. Wenn man denn wollte, denn auch das wäre zu viel des erneuten Bescheidwissens. Teipel und seine Figuren dagegen wollen nicht wissen, sondern einfach nur erleben, erfahren, fühlen, was die Welt ist und im Innersten wie an der Oberfläche zusammenhält.

"Ich wollte ein ganz freundliches Buch schreiben", sagt Teipel. Und genauso kommt es rüber, wenn er den O-Ton aus den DJ-Interviews, die er zur Recherche geführt hat, vom Klang her eins zu eins ins Buch übernimmt. In den Zeilen wirkt das oft unfreiwillig komisch, zwischen ihnen spürt man aber genau das sprachlose Staunen an der wunderbaren Welt, das Teipel zeigen wollte. Der Balanceakt zwischen "Sprache, die immer gleich alles zementiert und vorgibt zu wissen", und jenem bewusst Ungewussten, weil Erlebten gelingt ihm dabei auf geradezu magische Weise - auch oder vielleicht gerade vor nur wenigen Zuhörern.

Ein Ausschnitt aus der Lesung ist vom 24.5. bis 6.6. am Literaturtelefon Kiel unter 0431/901-1156 und auf www.literaturtelefon-online.de zu hören.

--- snap! ---

(Prolegomenon a posteriori: Das Un[g/b]ewusste ist das Wunder[n].) ((Verschwinde (überwinde) deine Wunder!))

Mo, 26.4.10 (Mi, 28.4.10, 4:12): seit geraumer Zeit

Ja, schon klar, die Vorsätze greifen nicht. Hier wird nach wie vor, im Davor, das immer schon das Danach ist, hintergeschrieben, verspätet in der alltäglich wachsenden Verfrühung.

Die Tage und Nächte ohne Lillys Gegenwart (abgesehen von telefonischer und skypender) gleichen sich im Kontinuum der selbst nicht Gegenwärtigkeit. Die Verschiebungen nicht nur der Arbeitszeiten, im ganzen Sein. Das beständig voreilende Nachhinken. Draußen im Wetter, das schwefelgelb abendlich frühlinkt, als echote es herbstlich. Und von weit, wissen wir ja weiter, schweigt, nein wispert der Sommer vom Winter.

Noch auf die Schnelle Notersatz zur Verfertigung eines KN-Vorberichts über Piet Klockes neues Programm. Dazu im Netz recherchiert und den knallfröschigen Satz gefunden: "Raum und Zeit existieren seit geraumer Zeit."

Ungefähr so schon vor Mitternacht auf die alliterierend zerreimte Matratze.

Montag, 26. April 2010

So, 25.4.10 (Mo, 25.4.10, 4:25): Frühling vorm Balkon

Absurd spät auf an die absurden Layouts. Dann zum Brunch bei dakro. Schlage da auf, irgendwie atemlos, praktisch und metaphorisch. Die Party ist schon zuende, weil sie nicht zuende ist. Plötzliches Gefühl von Freundschaft und Aufgehobenheit. Setze Kaffee auf. Dann nicht rauchend auf dem Balkon, wo der Frühling brüllt und Thymian duftet. Telefon Lilly. Auf dem Weg dahin (und zurück) durch den Schrevenpark erstaunt die Grillgemeinden unter ihren Rauchwolken beobachtet. Gefüllte Eier und Quiche gegessen, genossen.

Spätnachmittags wieder im Textheim. Bestürzt festgestellt, dass die Indoor-Raucherei im Frühlingsfrühabendlicht bereits wieder die üblichen Nikotinablagerungen in den Arbeitszimmerecken zeigt. Aber heute eh nicht rauchend, weil atemlos.

Weiter an den Kleinkramarbeiten. Abends ausführlich mit Lilly getippt. Darin viele interessante Gedanken, die ich erst fürs di.gi loggen möchte, dann aber genau das nicht tue, weil ich ihre und meine zweisamen Gedanken nicht zum Material für den Text vorm Balkon machen will. Nur so viel: Es geht um luzides Träumen.

Morgens um 8, nach zwei Stunden Schlaf aus eben solchem aufgewacht: Darin wurde ein Monumentalstück Wagnerschen Geamtkunstwerkausmaßes aus meiner Feder aufgeführt, mit mir in der Hauptrolle (Autorenfilm ;-). Aber ich habe meinen Text vergessen. Ein Heer von Souffleusen in Gestalt Lillys, vervielfacht, eilt herbei, weiß den Text aber auch nicht. Ich dekretiere, da auch Regisseur, dass der Text entfallen kann. Er sei nicht so wichtig. Film läuft ab ohne Text-Track.

Nachts nach Gute Nacht mit Lilly weiter am Üblichen. Auch dem des di.gi.ariums. Der olle Satz aus den Gedichten von dada-mals: "einer der erste tage des frühlings / zweizolltief das luftmeer ..."

Sa, 24.4.10 (Mo, 25.4.10, 3:40): Archäologie des Textens

Das Versprechen von gestern, dem d.gi.arium mehr vorne stehende Priorität einzuräumen, erwartungsgemäß nicht eingelöst. Das liegt aber auch daran, dass mir zwischen all der Prosa der Arbeit zu seiner Poesie wenig einfällt und der Mut fehlt.

Dass ich wiederum spät erst aus den Federn an die Feder kam, ist allenfalls noch als solches Bonmot eine Erwähnung wert. Und dazu setze ich mal flink den Augenzwinker-Smilie ;-)

Lebensart-Layout war zu durchwursten (der Job ohne Geld, also ungeliebte allmonatliche Ausübung des Hobbys). Dabei diese irre gute türkische Knoblauchwurst verzehrt, die es seit einigen Tagen im SKY-Markt gibt (sonst nur beim Döner-Mann, der sie jedoch irgendwie unwillig verkauft).

Nachts dann an die Texte für KN. Ad 1 über Cinarchea (Teil 2, Preisverleihung). In der Kunsthalle tauche ich struppig auf, schüttele Hände derer, die trotz meiner etwas landstreichenden Erscheinung wissen, dass ich ihnen gewiefte Texte schreibe - der Herr aus dem Ministerium, die Dame von Filmwelt, der infomedia-hurtige Kollege und der sympathisch wirre Festivalleiter. Bin fasziniert von dem akademischen Zusammenhang, von den Archivaren, die Textarchäologie betreiben, namentlich der Fex von der Berliner Firma media-science.de, die "Metropolis" restaurierte (mit dem neu gefundenen Material aus dem Filmmuseum Buenos Aires). Was mich daran fasziniert: die Akribie, das sich Versenken der Archivare in den alten (Film-) Text, dieses unbedingte aufbewahren und wieder hervorrufen Wollen, diese Wiederauferstehungshebammenkunst. Solche brauchen Autoren, die ihre Archive so unpfleglich behandeln wie ich mich selbst.

;-)

Danach weiter im Text für Dota & Die Stadtpiraten. Nachts um weit nach 5 will ich eigentlich einfach nur noch einen alten Text über dieselben recyclen, sprich "anhübschen", gerate dann aber dabei ins Fabulieren, total angefixt vom neuen Album "Bis auf den Grund".

--- snip! ---

Den Liedern auf den Grund gegangen

Dota & Die Stadtpiraten präsentierten in der Pumpe ihr neues Album.

Kiel - "Die Erde ist eine Scheibe und bis zum Rand erschlossenes Land", ein Vers, den man sacken lassen muss. Wenn man denn Gelegenheit dazu hätte, denn solche aphoristischen Wendungen und Hakenschläge folgen in Dota Kehrs Liedern so schnell aufeinander, dass kaum Zeit bleibt, den Mund staunend offen stehen zu lassen.

So auch nach etwas mehr nach einem Jahr wieder in der Pumpe, die Dota und ihre stilistisch versierten Stadtpiraten mit ihrem neuen Album "Bis auf den Grund" kapern. Das Lied vom allzu erschlossenen Land wie auch das aufsässig-sehnsüchtige "Kein Morgen" (vom Vorgängeralbum) skandieren Dotas Fans mit. Aber auch die neuen Songs bergen Hitpotenzial für Hirne und Herzen, die sich von Dotas Texten dorthin entführen lassen, wo die Poesie den Realien des Lebens, Liebens, Leidens und nicht zuletzt des Liedermachens selbst auf den Grund geht.

Wir leben "zu nah am Boden", weiß Dota im gleichnamigen Song und plädiert dennoch nicht fürs Abheben in betäubende Ekstase. Für den Titel- und Schlüsselsong "Bis auf den Grund" steht die "Kleingeldprinzessin", wie sie sich wegen ihrer straßenmusikalischen Herkunft einst nannte, ganz allein mit Klampfe auf der Bühne und "auf einer Sandbank im Ozean", von der aus man den Grund sehen kann. Nicht sie ist dabei das zarte Geschöpf, das sie augenscheinlich ist, sondern ihre Poesie, die sich waghalsig in die Zwischenräume, die Fugen und Widersprüche stürzt. Was könnte man Einsichten wie "die Liebe ist ein Schiff aus Papier mit einem Mann über Bord" noch hinzufügen, als sie einfach so auf dem Grund stehen zu lassen, ihnen mit geradezu in den Boden gebohrter Andacht zu lauschen?

Doch Dota ist eben nicht nur Poetin, die den Geist der Hamburger Schule aus den 90er Jahren, von Bands wie Blumfeld oder Tocotronic, fortsetzt in eine "Berliner Schule" des neuen Jahrzehnts. Sie ist wie diese - womöglich unfreiwilligen - Vorbilder zusammen mit ihren Stadtpiraten auch eine Musikerin, die mittels Ska, Reggae und mancher Jazzplauderei aus den metaphysischen Versen einen Tanz zaubert, der die beklagten und bedichteten Verhältnisse ebenso wie das Publikum zum Tanzen bringt. Vielleicht ist das, mehr noch als diese wahnwitzig tollen Texte, ihre Meisterschaft.

So wird "die schnaubende Wut", mit der sie "Im Glashaus" lauert, nicht nur textlich erfahrbar. Es ist auch eine Nummer, die revoluzzendes Tempo macht. Ein ebenso frischer Wind weht im nächsten Song, fürs nächste Album - Nomen est Omen: "Wir warten auf Wind". Der bläst schon im Untergrund und haucht am Ende offen aus. Wie ein Fragezeichen statt eines Rufzeichens sind die Schlüsse in vielen Songs der Kleingeldprinzessin, die die ganz großen Münzen rocken, rollen und reggaen lässt. Was sie sich ausdenkt, muss sie nicht zu Ende denken, das überlässt sie ganz bewusst dem Publikum. Das verliert in Dotas Liedern den Boden unter den mittanzenden und mitdichtenden Füßen. Denn so soll es sein, wenn man den Dingen auf den Grund geht.

--- snap! ---

Lilly hat zwei Toystory-Figuren erworben. Eine, sagt sie, ist für mich: Das kleine Kunstmonster mit den beweglichen Armen und Beinen und drei Augen im Grinsekopf.

Samstag, 24. April 2010

Fr, 23.4.10 (Sa, 24.4.10, 1:45): Flüchtiges Archiv

Am späten Vormittag Anruf, schneller KN-Auftrag, bitte sofort in die Kunsthalle, um noch fix einen Bericht über das Archäologie-Film-Festival Cinarchea für die morgige Ausgabe zu stricken. Kommt mir nicht ganz ungelegen, weil es mich aus dem Trott der Arbeit in überschaubaren Arbeitseinsatz reißt.

Interview mit Festivalleiter Kurt Denzer über das Festival, wobei am Rande die interessante Frage des Archivierens auftaucht. Nämlich wie haltbar heutzutage nur noch digital angelegte Archive sind. Darüber noch länger nachgedacht. Ob nicht vielleicht sogar Vergänglichkeit von Aufzeichnungen, deren mangelnde Haltbarkeit anzustreben ist. Damit auch eine gewisse Rechtfertigung des Füllfunks hier im di.gi.arium nun schon seit Tagen. Der muss nicht aufbewahrt werden, er entsteht eigentlich nur, um das Tagesarchiv vollständig zu halten. Eine Art Platzhaltertext. Text um des Schreibens willen - und wiederum das reflektierend. Archivierwütige Flucht ins Archiv.

Entschluss: Die Arbeit am di.gi.arium in Zukunft nicht mehr als Letztes des Tages (bzw. der Nacht) machen, sondern vielleicht als erstes der Abendarbeitsphase. Also "bevor" statt "nachdem". Allein schon dieser Entschluss schafft Erleichterung, nimmt den Quälgeist aus dem Archiv, indem er ihn darin einschließt.

So morgen weiter im Archiv, dem flüchtigen.

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