Mi, 12.5.10 (Do, 13.5.10, 3:06): Schnitt zum Schnitter
Beim Fahrradfahren, selbst bei kleinen Steigungen, schon wieder diese ohnmächtige Atemlosigkeit. Nur mangelnde sportliche Betätigung oder das Warnzeichen wie 2001, als ich den Harriesstraßenberg nicht mehr ohne Erschöpfung hochkam zum Papenkamp-Puppenheim? Damals kurz vor dem Infarkt.
Diesmal, beschließe ich also, werde ich nicht rechtzeitig beim Arzt sein, sondern ausharren den Untergang. Treppab, also atemerleichtert, zum Interview-Date mit GMD Fritzsch im Kieler Schloss (Künstlereingang). Wegen u.a. Mahler, Vierte, zweiter Satz, diesem "Tanz auf dem Scherbenhaufen" (Fritzsch).
Ich schreibe, vorberichte wie folgt:
--- snip! ---
Jubilieren auf dem Scherbenhaufen
Im 8. Philharmonischen Konzert stehen die Jubiliare Mahler und Schumann auf dem Programm.
Kiel - "Wir jubilieren mit dem Jubiliaren", scherzt Kiels GMD Georg Fritzsch mit Blick auf das Programm des 8. Philharmonischen Konzerts, in dem aus Anlass des 150., respektive 200. Geburtstags Gustav Mahlers "4. Sinfonie G-Dur" und Robert Schumanns "Konzertstück für 4 Hörner und großes Orchester F-Dur, op. 86" gegeben werden. Jubilieren werden das Philharmonische Orchester und Fritzsch zumindest bei Mahler jedoch "nur so als ob".
"Ich dirigiere Mahlers Vierte zum ersten Mal, und ich habe sie anfangs unterschätzt", gesteht Fritzsch. Viele sehen in ihr die romantischste, am wenigsten tragische, ja kindhaft-naive "Humoreske". Doch in Fritzschs Interpretation ist sie ein visionäres Brückenstück zwischen den frühen und den späten Sinfonien, ein außergewöhnliches Zeugnis der "Gebrochenheit". "Wie einen am schönsten Tage im lichtübergossenen Wald oft ein panischer Schreck überfällt", so beschrieb schon Mahler die Grundstimmung seiner um 1900 komponierten Vierten. Fritzsch ist fasziniert, wie Mahler "etwas aufbaut", nur eine Kulisse, "und es dann zerfallen lässt - ins Nichts". Er sieht darin Mahlers Ahnung, dass "die bürgerliche Euphorie der Gründerzeit nur das Vorspiel zum Weltkrieg war, der Europa zum ersten Mal im 20. Jahrhundert in Schutt und Asche legte". So sei der gemächliche Ländler im zweiten Satz nicht nur wegen der "Todes-Fiedel" imgrunde "ein Tanz auf dem Scherbenhaufen".
Nicht auf dem Vulkan? Nein, meint Fritzsch, "Vulkan ist mir da eine zu irdische Metapher", Mahler gehe es vielmehr darum, "nicht vom Diesseits ins Jenseits, sondern auf eine Welt hinter dem Jenseits - in die Katastrophe" zu blicken. Eine Endzeitstimmung, die auch im vierten Satz mit dem Lied "Das himmlische Leben" aus "Des Knaben Wunderhorn" (Sopran: Heike Wittlieb) fortlebe, fast schon als Abrechnung mit dem Romantischen. Fritzsch lobt, wie Mahler "es immer mehr verengt, eine klaustrophobische Stimmung schafft". Und "wie genau er Klänge komponiert" - Mahler textgetreu zu spielen, sei "schon die halbe Miete". Für Fritzsch, der "etwa zu Bruckner eher aufschaut", war das eine inspirierende Erfahrung: "Hier ist man, ob man will oder nicht, emotional immer mitten drin."
Auch zu Schumanns "Konzertstück für 4 Hörner" hat er eine enge Beziehung, weil er als Kind immer gerne Horn spielen wollte, aber dann vom Vater "doch auf die Posaune verwiesen wurde". Schumann schrieb eines der ersten Virtuosenstücke für das zu seiner Zeit entwickelte Ventilhorn und lotete dessen neue Möglichkeiten sogleich in Gänze aus. Für die Kieler Aufführung konnte Fritzsch das Solo-Horn-Quartett des Leipziger Gewandhausorchesters gewinnen und ist "gespannt, wie die das machen". Das Stück selbst sei in großen Teilen "einfach eine schöne Romanze", zeige aber, wie Schumann das Sinfonische "vom Klavier her" denke, und dass sein sinfonischer Geist "mehr als ein bisschen groß ist".
--- snap! ---
Nachts jetzt jubiliere und trauere ich zugleich am 2. Satz Mahler 4 im Loop. Dem Ländler-Totentanz. 1900 hatte Mahler indes noch 11 Jahre vor sich, beiden geht es eventuell auf den Rest. Und das enerviert Zeitpläne, die nicht geplanten Großprojekte noch anzuschieben, Roman bei mir, das olle Ding, tausend Pläne, ein dutzend Anfänge auf der Festplatte, nichts bisher ewig-fertig gereimt. Nur immer dieses beizeiten Schnitterhafte im Unterton. Der Meister aus Deutschland zog mich, erinnere ich mich, schon an, als ich noch Kind war. Fritzsch, aus Dräääsdn, spricht wie die beruhigenden Stimmen meiner mütterlicherseits Großeltern. Die Oma beim Schneiden des Kohlrabis in Scheiben, der Opa bei der handwerklichen Anleitung, Schrauben mit ihrem Schlitz immer in eine Richtung zu drääähn.
Mahler nun, dies Lebenstodeslustige Ding in der Vierten. Bin hin, nur nicht weg davon. Höre atemlos darauf zu. Mein Totenlied wird indes anders heißen, mehr Slam, und rückgewandtere eigene Requiem-Komposition. Was möge man spielen? Nichts, nur vielleicht nur diese Worte, prosaisch an die ewige Romantik gekoppelt - in geheimer Poesie wie beim Genossen Klavki.
Merke, wie ich sterbe. Merke aber, wie ich warte, dass Lilly anruft, mein Leben. So drehe ich mich, buchstäblich und sportlich im Ländler auf dem Parkett des Büros. Im Arm (aux armes, citoyens!) eben meinen vertrauten Schnitter.
Und der Tanz ist wild, ist rock'n'roll, auch am Abgrund, gerade dort. Ich jubiliere auf dem Scherbenhaufen.
Diesmal, beschließe ich also, werde ich nicht rechtzeitig beim Arzt sein, sondern ausharren den Untergang. Treppab, also atemerleichtert, zum Interview-Date mit GMD Fritzsch im Kieler Schloss (Künstlereingang). Wegen u.a. Mahler, Vierte, zweiter Satz, diesem "Tanz auf dem Scherbenhaufen" (Fritzsch).
Ich schreibe, vorberichte wie folgt:
--- snip! ---
Jubilieren auf dem Scherbenhaufen
Im 8. Philharmonischen Konzert stehen die Jubiliare Mahler und Schumann auf dem Programm.
Kiel - "Wir jubilieren mit dem Jubiliaren", scherzt Kiels GMD Georg Fritzsch mit Blick auf das Programm des 8. Philharmonischen Konzerts, in dem aus Anlass des 150., respektive 200. Geburtstags Gustav Mahlers "4. Sinfonie G-Dur" und Robert Schumanns "Konzertstück für 4 Hörner und großes Orchester F-Dur, op. 86" gegeben werden. Jubilieren werden das Philharmonische Orchester und Fritzsch zumindest bei Mahler jedoch "nur so als ob".
"Ich dirigiere Mahlers Vierte zum ersten Mal, und ich habe sie anfangs unterschätzt", gesteht Fritzsch. Viele sehen in ihr die romantischste, am wenigsten tragische, ja kindhaft-naive "Humoreske". Doch in Fritzschs Interpretation ist sie ein visionäres Brückenstück zwischen den frühen und den späten Sinfonien, ein außergewöhnliches Zeugnis der "Gebrochenheit". "Wie einen am schönsten Tage im lichtübergossenen Wald oft ein panischer Schreck überfällt", so beschrieb schon Mahler die Grundstimmung seiner um 1900 komponierten Vierten. Fritzsch ist fasziniert, wie Mahler "etwas aufbaut", nur eine Kulisse, "und es dann zerfallen lässt - ins Nichts". Er sieht darin Mahlers Ahnung, dass "die bürgerliche Euphorie der Gründerzeit nur das Vorspiel zum Weltkrieg war, der Europa zum ersten Mal im 20. Jahrhundert in Schutt und Asche legte". So sei der gemächliche Ländler im zweiten Satz nicht nur wegen der "Todes-Fiedel" imgrunde "ein Tanz auf dem Scherbenhaufen".
Nicht auf dem Vulkan? Nein, meint Fritzsch, "Vulkan ist mir da eine zu irdische Metapher", Mahler gehe es vielmehr darum, "nicht vom Diesseits ins Jenseits, sondern auf eine Welt hinter dem Jenseits - in die Katastrophe" zu blicken. Eine Endzeitstimmung, die auch im vierten Satz mit dem Lied "Das himmlische Leben" aus "Des Knaben Wunderhorn" (Sopran: Heike Wittlieb) fortlebe, fast schon als Abrechnung mit dem Romantischen. Fritzsch lobt, wie Mahler "es immer mehr verengt, eine klaustrophobische Stimmung schafft". Und "wie genau er Klänge komponiert" - Mahler textgetreu zu spielen, sei "schon die halbe Miete". Für Fritzsch, der "etwa zu Bruckner eher aufschaut", war das eine inspirierende Erfahrung: "Hier ist man, ob man will oder nicht, emotional immer mitten drin."
Auch zu Schumanns "Konzertstück für 4 Hörner" hat er eine enge Beziehung, weil er als Kind immer gerne Horn spielen wollte, aber dann vom Vater "doch auf die Posaune verwiesen wurde". Schumann schrieb eines der ersten Virtuosenstücke für das zu seiner Zeit entwickelte Ventilhorn und lotete dessen neue Möglichkeiten sogleich in Gänze aus. Für die Kieler Aufführung konnte Fritzsch das Solo-Horn-Quartett des Leipziger Gewandhausorchesters gewinnen und ist "gespannt, wie die das machen". Das Stück selbst sei in großen Teilen "einfach eine schöne Romanze", zeige aber, wie Schumann das Sinfonische "vom Klavier her" denke, und dass sein sinfonischer Geist "mehr als ein bisschen groß ist".
--- snap! ---
Nachts jetzt jubiliere und trauere ich zugleich am 2. Satz Mahler 4 im Loop. Dem Ländler-Totentanz. 1900 hatte Mahler indes noch 11 Jahre vor sich, beiden geht es eventuell auf den Rest. Und das enerviert Zeitpläne, die nicht geplanten Großprojekte noch anzuschieben, Roman bei mir, das olle Ding, tausend Pläne, ein dutzend Anfänge auf der Festplatte, nichts bisher ewig-fertig gereimt. Nur immer dieses beizeiten Schnitterhafte im Unterton. Der Meister aus Deutschland zog mich, erinnere ich mich, schon an, als ich noch Kind war. Fritzsch, aus Dräääsdn, spricht wie die beruhigenden Stimmen meiner mütterlicherseits Großeltern. Die Oma beim Schneiden des Kohlrabis in Scheiben, der Opa bei der handwerklichen Anleitung, Schrauben mit ihrem Schlitz immer in eine Richtung zu drääähn.
Mahler nun, dies Lebenstodeslustige Ding in der Vierten. Bin hin, nur nicht weg davon. Höre atemlos darauf zu. Mein Totenlied wird indes anders heißen, mehr Slam, und rückgewandtere eigene Requiem-Komposition. Was möge man spielen? Nichts, nur vielleicht nur diese Worte, prosaisch an die ewige Romantik gekoppelt - in geheimer Poesie wie beim Genossen Klavki.
Merke, wie ich sterbe. Merke aber, wie ich warte, dass Lilly anruft, mein Leben. So drehe ich mich, buchstäblich und sportlich im Ländler auf dem Parkett des Büros. Im Arm (aux armes, citoyens!) eben meinen vertrauten Schnitter.
Und der Tanz ist wild, ist rock'n'roll, auch am Abgrund, gerade dort. Ich jubiliere auf dem Scherbenhaufen.
oegyr - 13. Mai, 03:45
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