Ich tapferes Schreiberlein erst wieder viel zu spät aus den Daunen an die Feder. Dann aber agiler Schaffensrausch, bei dem selbstreflexiver Weise der Texte mal wieder alles mit allem hirten(buch)stäblich zusammenhängt.
Nachgetragen von gestern, doch erst heute fertig gemacht, leider viel zu wenig gute Stellen aus dem Interview mit Ines Lindner, Intendantin des Forums der Muthesius-Kunsthochschule, einbauen könnend, der Vorbericht über das
Symposion "RestNaturen". Viel nachgedacht über den philosophisch-phänomenologisch-ideologiekritischen Hintergrund, davon aber nur wenig und auf Zweizeiler heruntergebrochen untergebracht. Die Zeilen füllen sich zu schnell mit dem Abraum des Nachrichtlichen. Dennoch ganz gut gelungen:
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Reanimation natürlicher Reste
Das Symposion des Forums der Muthesius-Kunsthochschule spürt den "RestNaturen" nach.
Kiel. Natur spielt in Kunst und Wissenschaft seit jeher eine große Rolle, zumeist jedoch im Gegensatz zur Kultur, dem vom Menschen geformten Raum. Doch ist ein solches Naturverständnis zeitgemäß? Sind die Landschaften, die wir als ursprüngliche Natur empfinden, zumindest im dicht besiedelten Europa nicht auch Produkte von Kultur und Geschichte, und kann man den Urwald zurück zwischen Beton und Asphalt bringen? Das Symposion des Forums der Muthesius-Kunsthochschule beschäftigt sich am kommenden Wochenende mit solchen Fragen der
"RestNaturen".
Der erste Teil des Symposion-Titels habe schon "etwas Melancholisches", räumt Ines Lindner, Intendantin des Forums, ein. Jedoch seien die Reste von Natur in der Kulturlandschaft auch Ausgangspunkt, im Rekurs auf
Bruno Latours "Politische Ökologie" den Naturbegriff zu hinterfragen und Natur nicht mehr als Gegensatz zum Sozialen zu denken, sondern "als Ergebnis von historischen Verläufen im Miteinander von Natur und Mensch". Der Soziologe Stephan Lorenz wird dies in seinem Eröffnungsvortrag
"Rückkehr und Verschwinden der Natur" (Fr, 15.30 Uhr) entfalten. Lindner selbst hat in ihrem Vortrag (Sa, 10 Uhr)
"Dystopische Landschaften" im Blick, etwa die ostdeutschen Braunkohlereviere, die man versucht zu "renaturieren", dabei aber wieder nur eine Kulturlandschaft, beziehungsweise deren Reste, durch eine andere ersetzt. Die reinstallierte Natur ist hier ebenso ein Kunstprodukt wie der vorherige zerstörerische Eingriff des Menschen.
Naturräume wie "der deutsche Wald" sind hochgradig symbolisch aufgeladen, insofern immer auch Kulturlandschaften. Das Symbolische früherer Nutzung bleibt auch bestehen, wenn sich die Natur "Peripherien, Lücken im Flächennutzungsplan" zurückerobert - etwa den ehemaligen innerdeutschen Grenzstreifen. In ihrem Vortrag
"Vom Todesstreifen zur Lebenslinie" (Sa, 12 Uhr) berichten die Biologin Elke Körner und Helmut Maack vom BUND, wie ehemals getrennte Kulturen durch ein einzigartiges Biotop miteinander verbunden werden, ohne dass die lebendige Geschichte dieser Landschaft in Vergessenheit gerät. Mit Geschichte von Natur und Kultur setzt sich auch die Berliner Künstlerin Ulrike Mohr auseinander. Ihr Projekt
"Restgrün" (Sa, 11 Uhr) zeigt, wie sich Natur, Gesellschaft und Geschichte im städtischen Raum gegenseitig durchdringen. Sie siedelte Bäume, die auf dem mittlerweile abgerissenen
"Palast der Republik" wild gewachsen waren, in anderes städtisches Brachland um.
Um städtische Brachen, zeitweilig aus der Nutzung gefallene Flächen, kümmern sich auch Berliner "Guerilla-Gärtner". Die Gartenbauwissenschaftlerin Julia Jahnke stellt dieses “politische Gärtnern" vor (Fr, 16.30 Uhr) - "konstruktiver ziviler Ungehorsam, pragmatische Einmischung in Gestaltung öffentlicher Räume, kreativ und subversiv". Ines Lindner sieht darin auch "das Widerständige" von Natur im Verhältnis zum Gesellschaftlichen - als eine Art "Gegenkultur". Die Kunst- und Kulturhistorikerin Susanne Hauser setzt diesen Gedanken in ihrem Vortrag über
"Die Ästhetisierung der Brache" (Sa, 15 Uhr) fort, indem sie aufzeigt, wie sich Künstler solcher Natur, die sich an den städtischen Raum evolutionär angepasst hat, gestalterisch annehmen.
Neben solchen praktischen Zugängen zu den
"RestNaturen" reflektiert das Symposion auch den theoretischen Diskurs darüber. Barbara Nemitz von der Bauhaus-Universität Weimar beleuchtet
"Das vertraute Fremde, das fremde Vertraute", das Künstler am Vegetativen reizt wie bestürzt (Fr, 18 Uhr). Der Künstler Miron Schmückle zeigt, wie Walton Ford mit seinem
"Bestiarium" Natur zum Kunstprodukt medialisierte (So, 10 Uhr). Abschließend (So, 11 Uhr) provoziert der Muthesius-Ästhetik-Professor Norbert Schmitz mit seinem Vortrag über den
"Zoo als wahres, weil ästhetisches Bild der Natur".
Freitag, 28.5., 15 Uhr bis Sonntag, 30.5., 10 Uhr, Kunsthalle zu Kiel. Detailliertes Programm unter www.muthesius-kunsthochschule.de.
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Das fast fertig, Aufbruch zum
Literaturhaus, um von dortiger
LeseLounge zu berichten. Auf dem Rückweg durch den
Pastor-Husfeldt-Park (Erinnerungen an die "dark" Jeanette S.) dieses Bild von Natur (links) und Kultur (rechts) geknippst - Honigernte Nr. 2 in einer lauen Mainacht:
Vorher im Literaturhaus, vor der Lesung, gleich noch zwei Takes fürs
Literaturtelefon "geschossen", auf's iPhone, mein mobiles Multimedia-Büro, aufgenommen. Honigernte Nr. 3. Dann die Lesung für KN wie folgt verhonigwabt. Wobei sich seltsame Interferenzen zum obigen Text ergaben: Die Figur ist die Natur der Erzählkultur, genauer: sie entzieht sich, kulturell inszeniert, dem Gärtnern des Erzählens, was wiederum den Akt des Erzählens "natürlich" erscheinen lässt, Wildwuchs, surreale, Max-Ernst-haft-wilde Bildanlage - so Gedanken, die hier nur zwischenzeilig sich eindenken (vielleicht zu viel Schein auf dieses Sein projiziert):
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Vexierspiele zwischen Sein und Schein
Ulrike Almut Sandig und Michael Weins stellten ihre surrealen Texte bei der LeseLounge im Literaturhaus vor.
Kiel. "Das ist die Geschichte von jemandem, den es nie gegeben hat, von mir." So beginnt
Ulrike Almut Sandigs Erzählung
"Über mich" aus ihrem im Februar im Schöffling Verlag erschienenen Prosa-Debüt
"Flamingos". Bei der LeseLounge im Literaturhaus entfaltet sie daraus ein surreales Vexierbild zwischen Sein und Schein und in einander verschränkter Erzählebenen.
Erzählt wird ein Leben rückwärts, von der Gegenwart des hohen Alters zurück zu den frühkindlichsten Erinnerungen. Eine ganz gewöhnliche, millionenfache Biografie, eine Geschichte, die es nicht gibt, weil "sie so viele ist". Aber: "Wenn ein anderer diese Geschichte vorwärts erzählt, dann wird es sie geben ... schauen Sie haarscharf dran vorbei! Was Sie jetzt sehen, bin ich." Kann man seine eigene Geschichte erzählen, ohne sich zu verheddern im Gestrüpp aus Dichtung und Wahrheit? Konstituiert der Akt des Erzählens nicht schon aus sich heraus eine eigene Wahrheit? Poetologische Fragen, die Sandig in ihren sprachlich mit Fein- und Tiefsinn gedrechselten Erzählungen ganz nebenbei antippt. Die Antworten sind die Erzählungen selbst. Denn ein Text "über mich" ist ein solcher, schon indem er es nur behauptet.
Sandig, die nach einem Studium von Indologie und Religionswissenschaft auch am Leipziger Literaturinstitut studierte, übersetzt ihre Lyrik aus den mit dem Leonce-und-Lena-Preis dekorierten Bänden
"Zunder" und
"Streumen" hier spannend in eine Prosa, die trotz ihrer Vielschichtigkeit etwas Leichtes, Lakonisches hat. Ihr Erzählen folgt dem Grundsatz der Novelle, indem "eine unerhörte Begebenheit" berichtet wird, und ist zugleich das Unerhörte im - nur scheinbar - Gewöhnlichen.
Auch Michael Weins schlägt in seinem nach
"Goldener Reiter" (2002) zweiten Roman
"Delfinarium", der 2009 im Hamburger Mairisch Verlag erschien, den Funken der erzählerischen Bewegung aus ungeklärten Identitäten. Da ist Martin, der eigentlich Daniel und mit Nachnamen Martin heißt, sich aber nicht traut, diese Namensverwechslung aufzuklären. Gleich im 1. Kapitel die Frage, ob man ein anderer ist, wenn man gerufen wird, wie man nicht heißt. Und wer ist eigentlich die geheimnisvolle Susann, die ihre Sprache und damit ihr Gedächtnis, wer sie sei, verloren hat? Sie soll er als Ersatz-Zivi pflegen, mit ihr in den Zoo gehen, ins therapeutische Delfinarium. Und ist von ihr so fasziniert wie als Kind von den Giraffen, "den Tieren wie aus einem surrealen Film".
Nicht minder seltsam sind die sich der Erkenntnis durch den Leser wie der Selbsterkenntnis immer wieder entziehenden Figuren in seinem Roman zwischen Psycho-Krimi, Liebesgeschichte und verrücktem Road-Movie. Der spielt im Alten Land bei Hamburg, einer zwischen Natur- und Kulturlandschaft verschrobenen Gegend. Heimat, Ankerpunkt für Sein statt nur Schein? Vielleicht - aber: "Nichts ist vertrauenswürdig. Du kannst dich auf nichts verlassen, also fang' gleich damit an!"
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Hier der vierte Stich gegen die Klappe der Honigbienen. Rauschend und berauscht nun selbst in die Wabe Bettklappe, nachdem vorhin noch das fleißige (fünfte) Bienchen Lilly mir allerlei betörende und nachdenkliche Bilder, Sätze, Haikus und Aphorismen in den Denk-dran-Download-Ordner diktierte.