d.day - keine nacht für niemand

Dienstag, 2. Februar 2010

Mo, 1.2.10 (Di, 2.2.10, 6:34): Kunst als Hobby

Man muss davon ausgehen, dass das hier nicht Kunst ist. Jedoch besitzt es den Möglichkeitssinn zur Kunst. Dies ist eine Fläche - kaum ein "Raum" -, in der Kunst entstehen könnte. Deshalb wird sie aufgespannt.

Meine Hobbys sind: ... Kunst.

Plötzlich eine Leichtigkeit gespürt, das keine-nacht-für-niemandige Textfenster heute hier auszufüllen, nach stundenlanger Beschwernis und Damoklesschwertdrohung. Mit Lilly NZZ-Doku über Alberto Giacometti ("Die Augen am Horizont") geschaut. Eine ganz konventionelle Künstler-Doku, in der jedoch das Ringen um Kunst, was Kunst eigentlich ist, das Gelingen im Scheitern, deutlich wird.

Dabei rhythmisch Pistazien geknackt.

War den ganzen Tag mit Film beschäftigt, die Februar-Ausgabe des Newsletters von infomedia-sh.de fertiggestellt und verschickt. Und wieder gedacht, dass man auf der falschen Seite der Kamera und des Netzes steht, dass ich hinein will.

Das schon lang. Erinnert, wie ich als junger Jugendlicher im "Dritten" die Reihe "Film als Hobby" schaute und fasziniert war. Nachmachen wollte. Eine der ersten Hobby-Serien im TV, 1965 bis 1974 gemacht von Jan Thilo Haux und Max Rendez. Über Super-8-Amateurfilm, selbst aber noch auf 35 mm gedreht. Da wurden so Tricks beigebracht wie animierte Buchstaben als Titel für den Hobby-Urlaubsfilm. Kunstunterricht. (Im Netz noch ein Interview mit Haux u.a. darüber gefunden.)

Damals noch keine Kamera besessen, dann das Super-8-Dingens von Quelle, dem irgendwann die Batterien ausliefen, wodurch es zerstört wurde, mit dem ich aber u.a. dies gedreht hatte. Inzwischen hab' ich die VideoCam im iPhone immer dabei, müsste sie nur mehr nutzen.

Eben auf dem Boden unterm Schreibtisch dies gedreht, was unvermutet hier vielleicht Kunst geworden ist:



Aus der Hand geschöpft - und gedreht.

Kunst ist überall. Meine Hobbys sind: ... überall.

Montag, 1. Februar 2010

So, 31.1.10 (Mo, 1.2.10, 6:31): Diffusion der Zeit

Der nächste dämmerungsaktive Tag samt daraus folgender Verwerfungen. Bin fahrig, unkonzentriert und unaufmerksam. Lilly leidet darunter. Im Wannenwirbel dann aber wieder unvermutet innig. Denke fortwährend darüber nach, wieso ich mich so schwer tue. Es ist kein Schlafmangel, nur dessen Verschiebung. Womöglich ist es eine versteckte Eigenschaft von Zeit.

In diesen stillen Tagen, in denen ich die Arbeit fast nebenbei erledige, erscheint die Zeit löchrig, unkontinuierlich, zuweilen singulär. Immer noch zeigen die Armbanduhr und die Uhr am Herd Sommerzeit, also gehen eine Stunde vor. Aber das spielt kaum eine Rolle. Ob es 14 oder 15 Uhr ist, scheint noch einen Unterschied zu machen, 5 oder 6 Uhr dagegen keinen. In den Nachtperioden stockt die Zeit manchmal, verweht, locht ihre Stechuhrkarte. Oder lässt ganze Stunden aus, in denen man dämmerte. Oder auf einer anderen Ebene wach war. Morgen- und Abenddämmerung sind auch ununterscheidbar, anders als im Sommer. Das Himmelsblei spiegelt sich vollmondig im Schnee, diffundiert. Schwerflüchtiges Metall, Feststoff als Wolkendes.

Der Takt der Zigaretten, der Takt der Filmminuten nicht zuende geschauter Filme, "La vie en rose", "Harry Potter und der Gefangene von Askaban", "The Doors" (letzterer interessant wegen der Darstellung ähnlicher Zustände). Der Rascheltakt gestapelter Bücher, aufgeschlagen auf dem Rücken liegend, tontürmender Papierhaufen. Überall Verzetteltes. Camping der Gedanken.

Ebenso fetzenhaft, provisorischvisonär das Denken, aufflammend, verschwindend, unerinnerlich, zerfasert wie das zerrissene Hemd und der Laut seines mürbe gewordenen Stoffs. Unankömmlich, weil unabkömmlich. Eingegittert in die sich genommene Freiheit.

Die Zeit verliert ihre Struktur - nicht zuletzt durch den Dauerschnee, dessen Fall "zeitlich" recht synchron zu diesem Zustand ist -, das Jahrezeitliche. Eine Gleichförmigkeit, die dennoch Wellen schlägt - mit vielen Tälern. Amorphe Aggregatzustände der Psyche, eine Erweichung, ein Zartwerden, das ins Unsichtbare hinüber irrlichtert. Ein Ausnahmezustand, der durch seine Dauer und damit den Verlust von Dauer, durch seine Regel, undefinierbar verschwimmt. Ein Erlahmen auch, darüber hier nachzudenken. Schleichen die Tasten, reihen Allgemeinplätze, Ungares, Skizzen, Verzetteltes.

Eine Form des Verschwindens infolge Abusus der Droge Zeit, kreiselkompassionierte Einhelligkeit in irgendwas wie Dunkel, das doch lichterloht, selbst im Traum während der jeweils dreistündigen Schlafabschnitte, die sich zum Dutzend addieren und so die Tagnächte halbieren.

Mühsam dann hier dies fortwährende "TEXT über den TEXT", was nicht nur die Leser nervt. Aber leider entschwinden mit den zerschmelzenden Zeitskalen auch Ereignishaftigkeiten, die zumindest anekdotisch zu vermelden wären. Wie ich das schreibe, fällt mir unverwandt assoziiert (der Konnex bleibt im Dunkeln) ein: "Arsen und Spitzenhöschen". Das ist anekdotisch! Auf der schwungkunst.de unter dem Stichwort "Höschen" gesucht und Erbaulicheres gefunden, als man unter dem berühmten "schwarzen Pullover, der eigentlich ein Sweatshirt ist", nicht findet. Der Google-Eckermann hat viele Höschen an, meist imaginiert feuchte.



Einfach selber mal ausprobieren und die "büxe.der.pandora" öffnen. Anexorische Anekdoten über meinen damaligen sexsehnsüchtigen Status, die aus 10 Jahren Distanz irgendwie putzig in ihrer wild geworden kleinbürgerlichen Wichsstubenhöckrigkeit wirken.

Sonntag, 31. Januar 2010

Sa, 30.1.10 (Sa, 30.1.10, 13:22): Markttraumwirtschaft

Übernächtigt, sprich schlaflos morgens auf dem Wochenmarkt. Fleisch für Fondue. Und Käse für soundso. Der Käsemann beredt über den Ziegen-Gouda, von dem er mir ein Schnitzlein abschneidet zum Probieren: "Wenn er warm wird aus dem Winter jetzt, schmeckt er noch intensiver."

Warm werden, ja, aus dem Winter, ach. Etwas wie Sehnsucht geht mit mir nachhause. Die Sommertage, wenn der Spargel wächst, das herbstliche Obst. Eisig weht es mich jetzt an, das Fleisch im Rucksackrückenmark. Die Spieße hineinstoßen nachher, Tauchbad der Gemüsebrühe. Farbfederfernsehen auf Sprung.

Trunken jetzt bettwärts, à la Uhrwerk Orange. Besser ist das. Erwachend dann die Brühe, das Brüllen, das Flüstern aus dem Gulliver.

Samstag, 30. Januar 2010

Fr, 29.1.10 (Sa, 30.1.10, 5:50): schnee.wehen

In Schlaf verschneit bis 16 Uhr. Am Fenster türmt sich kleine Wehe, ausgeschaut und angeweht.

Spinat zum Frühstück.

Die Mühe, aus der Müde zu entschwinden, jeden Tag neu.

Abends nach Arbeit parallel in den Zimmern, schiebevertürt, ich los in die TraumGmbH zu Michy Reincke. "Für immer blond, blond, blond, bis zum Horizont". Reinckesch reimen müsste man können. Oder besser nicht. Bier geschüttelt, weil ungerührt. Fremdelnde Arbeit.

Wieder draußen schneeweht es noch mehr, feiner Staub wie in einer ertaubenden Mondlandschaft. Horror vacui. Man müsste erfrieren können. Der Rhythmus des Tritts heimwärts. Schneeeulen imaginiert, Hedwig ...

Zurück im Heim studiert Lilly gerade Surrealismus. Aus dem Netz "Un chien andalou" von Buñuel und Dali gekramt. Angeguckt. Die Sache mit dem Auge, die Sache mit den Ameisen.

Fotofilmcollage, 40 Sekunden aus Nachtnichtslicht:



Dann "Steppenwolf" vorgelesen, Tractat, und steppenwölfisch gerudelt. Dann "Dune - Der Wüstenplanet", woraus man diesen Jules-Verne-Touch hätte videosamplen können - zu den im Schnee erstöberten Snapshots.

Seit Tagen und Nächten seltsam drahtlos, marianengräberisch, arktisch. Reincke singt "Alaska" von der äußeren Kälte die nur (er-)innerlich eine scheinbare ist. Innen ist Lilly. Gurken für die Rättlein und uns. Filmfraß. Süß und ehrenvoll, wie sie strumpfbehost durch unseren Bau stäpfelt. Als wehe auch hier Schnee. Wir imaginieren die Wirkungen halluzinogener Drogen, die wir nicht genommen haben. Es sei denn, es scheint mir so, hier, in der Tablette Text. Algenbefall aus "Naked Lynch". Über Blauäugiges senke ich endlich die Li(e)der, wie die Frem(d)en.

Freitag, 29. Januar 2010

Do, 28.1.10 (Fr, 29.1.10, 4:48): iPixie

Heute in biederen Bildern gedacht und gefühlt. Kamera Seele. Nachts kurz draußen als Eckensteher mit Ziggie. Dabei geknippst für ein Pixie-Buch. Bild dir deine Steinung ;-)

Ich im iElevator (abwärts):



Schneeweh an der Ecke:



Einfahrt ins Gitter, durch das ich (unter anderem mich) siebe:



An der anderen Ecke der kühle Grill der Empfindsamkeit (KI-WM411):



Kein "Blue Moon" über dem Waisenhof, er wolkt violett:



In der Umkleidekabine von H&M das Schwirren der Mädie-Träume. Seltsame Musik sexuell erregten Säuselns. Lilly angestöhnt. Die Bassdrum meines Bierbauchs. Ein Kutscher fährt das Reinigungsgefährt über die Fliesen. Kurz vor Feierabend feudelt er den Fleiß der Verspätung und den Schweiß der Mädchen.

Donnerstag, 28. Januar 2010

Mi, 27.1.10 (Do, 28.1.10, 1:53): Steppenwölfinnen

Lilly bringt von ihrer Expedition in die verschneite Kaufhausstadt Hesses "Steppenwolf" mit. Wir lesen uns abwechselnd daraus vor. Zwischendurch den Käfig der Rättlein ausgemistet. Die Rättlein währenddessen zappelnd am Badewannenboden, eine Geste aus Verzweiflung und unbändigbarer Neugier. Später sitzen sie im neu beheuten Heim auf Ebene Zwei, schleppen behende Futter ins Häuschen, einen Teil verzehren sie gleich dort oben. Nach dem Fraß jedes in seiner Ecke eingerollt und von Verdauung träumend. Tritt man heran, heben sie ihr Näschen. Ehrfurcht vor dieser vegetativen Existenz, vor dieser instinktiven Beschränkung auf das Wesentliche, die Mühsal der Lebenserhaltung.

Harry Haller, das Gehirntier, berichtet ähnliches und vergleicht sich mit dem zauseligen, streunenden Wesen. Verortet sich im Karst, in der Steppe, in der unerträglichen Weitigkeit des Seins. Die Rättlein über das weiße Emaille der Badewanne kriechend, während wir ihren Stall säubern. Blick ins Häuschen, auf die Schlafplätze, die sie mit Heu und Papierfetzen ausgepolstert hatten. Ein Zimmer: die Speisekammer. Die Weisheit der Vorratshaltung, offenbar haben sie ein Bewusstsein von Zukunft, davon, dass das Ende nicht nahe ist, dass man überdauern muss (soll und darf) bis zu ihm.

Durchhalteparolen.



Etwa die Zigarette auf dem Balkon, in Pantoffeln, den Mantel schräg zerknöpft über das Schlafanzügliche geworfen, den Blick ins stöbernde Schneerieseln vor der Rathausturmkulisse. Zweisamer Wolf. Träte man an das Balkongitter, könnte man die Rät(t)erepublik ausrufen. Das bliebe folgenlos - nur deshalb machbar, nur deshalb nicht gemacht.

Zurück in die Rattenrepublik Roman, aus der versäumten in die erzählte Zeit. Erkannt, wie wichtig Erzählen ist. Kein kunstvolles Zubrot, sondern eisern-eisige Ration für die Zukunft des noch nicht Erzählten. Erzählen macht die Vergangenheit für die Zukunft urbar. Wie es dabei so seltsam minutiös die Gegenwart ausspart – und das Ich, das zwar der Form nach Erzähler sein kann, aber immer in der Geste des "Er" und/oder "Sie" distanziert.

Lilly und ich verlieren uns bisschen in der angestauten Nähe, die Distanz negiert. Was würden wir als Wir-Erzählerin von uns erzählen? Ließen wir die dynamische Statik der sich zum Verhaltensrepertoire differenzierenden Sexrituale beiseite? Berichteten wir eher deren Ausbleiben, was so automatisch geschieht, wie wir uns nicht davon erzählen? Das Steppenwolfpärchen im Minimalrudel, Revierkämpfe unnötig, weil einander genügendes Futter. Wir richten uns ein, nicht aneinander aus. Eben das schafft labile Zwischenzustände, Vorstufen des Erzählbaren, nicht zählbare Minuten. Ich koche ihr an der Herdstelle Kartoffeln und Spinat (der "mit dem Blubb"). Erzählt wurde, dass das ein gesundes Essen sei. Wir sind welche, die dem Erzählten Glauben schenken. Beobachte sie, wie sie die zerstampften Kartoffeln mit dem Spinat vermengt und dann einverleibt. Ein wunderlich trautes Bild von Heimat, fast schon Metapher der instinktiven Versorgung des Selbsts.

Durchhaltephiolen.

Als Steppenwolf ist es schon ein Gewinn, ein Lebensbeweis, wenn man diese Zweisamkeit aushält. Dass man nicht mehr flieht in die Einsamkeit (außer der aus Schlaf - und hier im Text), sondern einander nötig hat. Gemeinsame Notdurft.

Jetzt beim dies Erzählen bin ich nicht einsam, nur äußerlich, innerlich hallt ihr gesunder Schlaf durch zwei Schiebetüren der Imagination. Die Wärme ihres Leibes ersetzt - selbst entfernt - die Heizung, ihr Atem im atemlos aufgegeilten Kuss stillt meine Luftnot.

Die Rättlein derweil haben sich im Karst der Holzebene Zwei einander eingekuschelt, die Schwänze verknotet. Unwillig öffnen sie die Äuglein, sperren die Verließe der Ohren auf. Sie sind untrennbar. Wie wir, dichtende Steppe und musische Wölfin.

Mittwoch, 27. Januar 2010

Di, 26.1.10 (Mi, 27.1.10, 2:01): Füllfunk

Mal wieder grundsätzliche Zweifel am Projekt di.gi.arium. Was soll's, wozu mache ich das? Zumal es sich träge hinschleppt wie die dauermüden Tage und Nächte. Warum schreibe ich etwas hinein, wenn es nichts zu schreiben gibt? Oder ich leihe eh nur aus, was an anderen Schreibplätzen entstand. Textabwurfstelle, Online-Kassiber.

Die Entdeckung des di.gi.ariums 2000 war die radikale Strategie der "ppp - pretty.public.privacy". Inzwischen ist sie längst von den im Netz wuchernden Blogs überholt. Es gibt radikalere Konzepte - wie Hasan Elahis "tracking transience.net". Elahi, ständig reisender Medienkünstler, wurde aufgrund seiner arabischen Herkunft vom FBI als Terrorismusverdächtiger verfolgt und musste, um diesen Verdacht zu entkräften, lückenlos dokumentieren, wo er sich wann aufgehalten hatte. Er machte Kunst daraus, im Netz kann man seit 2002 jeden Moment auf GoogleMaps sehen, wo er sich gerade aufhält, welche Flüge er benutzt, was er gegessen und welche Geldtransaktion er wo wann gemacht hat. Elahi füttert das Netz und das FBI live mit seiner "privacy", schüttet die Ermittler mit Daten zu. Seine These: So entsteht wieder Privatheit, weil die komplette Veröffentlichung aller privater Informationen diese wertlos macht. Was alle wissen, ist nicht mehr wissenswert. Ein dialektisches Setting, wo die totale Öffentlichkeit wieder in Privatheit umschlägt, weil sie uninteressant für die öffentlichen Augen und Ohren wird. Das Alltägliche ist eben trivial. Und dadurch egal. Elahi macht die Ermittler nutzlos, weil sie nichts mehr zu ermitteln haben.

Interessant: Indem man total(itär) berichtet, wird der Bericht zur leeren Information, zum Füllfunk. Das hat poetologische, erzähltheoretische Implikationen: Offenbar wird eine Erzählung durch das interessant, spannend, was sie weglässt, ausspart, verheimlicht und so Andockstellen für die Fantasie des Lesers schafft. Was wiederum den allwissenden Erzähler voraussetzt. Oder den, der allwissend ist, indem er aus seinem Allwissen auswählt und so die Informationsvergabe kanalisiert, lenkt. Lässt man die Informationsvergabe überborden (Overflow), versinken die Informationen im eigenen Strudel. Eine Art umgekehrter Datenverlust durch Datenüberfluss.

Das merke ich auch an der eigenen Datensammelwut auf den Terrabyte-Festplatten. Selbst bei einigermaßen guter Datenpflege und Archivierungsstrategie verschwinden Daten dadurch, dass es zu lange dauert, sie aus dem steig wachsenden Archiv herauszusuchen. Beispiel von heute (und diversen gleichen Vorgängen ehedem): Ich layoute eine Anzeige lieber ganz neu, als sie aus schon layouteten Elementen früherer Anzeigenlayouts zusammenzubasteln, weil das neu Eintippen und Formatieren schneller geht als die Suche nach den Fragmenten bereits geronnener Arbeit. Oder beim manischen Archivieren von Filmen: Von manchen TV-Mitschnitten habe ich mehrere Versionen, weil es zu lange dauert, im Archiv zu forschen, ob ich den und den Film nicht längst aufgenommen hatte.

Das Archiv als schwarzes Loch, in dem die Daten verschwinden, indem sie hineingesaugt werden. Der Text nicht mehr als Hirte, sondern als Scheune der Vorratsspeicherung. Vielleicht hat das Projekt di.gi.arium2010 darin seinen Sinn, dass ich das Hirtenhafte, Vagabundierende der erzählten Daten wiederfinde, dass ich mir – wie hier ohnehin schon intuitiv geschehend – Strategien des Weglassens erarbeite – bei gleichzeitiger Perfektion des Füllfunks.

So also wiedermal hier, das hat sich füllfunkend erhalten, "TEXT über den TEXT". Das Nach- und Auserzählen der Erzählung des Erzählten und des zu Erzählenden. Erzählung als Zusammenführung von Bytes aus den digitalen Zettelkästen – insofern wieder Epigon und Apologet von Schmidts "Zettels Traum".



Beglückend und beruhigend auch, dass sich die wesentlichen, weil immer wieder auftauchenden Fragenkonglomerate, Forschungsgegenstände meiner Kunstausübung schon recht früh gestellt haben. Dass ich immer noch an den Antworten forsche, sie wieder und wieder reformuliere, mag Hinweis darauf sein, dass es wichtige Fragen sind.

(nach Diktat in Schlaftherapie vereist (sic!) ;-)

Dienstag, 26. Januar 2010

Mo, 25.1.10 (Di, 26.1.10, 9:27): Psychodynamix

Lilly vor dem Spiegel: Lollipoppisch, girliehaft und doch Antigone, Medea, Tragödin. Ihr Hüpfen, Übersprungshandlung oder genuine Lebensfreude, jedenfalls mich herzhüpfend machend. In der Dusche bei Kerzenlicht (funzliges Ikea-Light): die goldenen Spiegelungen des fahlen Lichts auf ihrer nackten Haut und dem Wasser daran. Danach Gespräche, sie nackt, ich kaue(r)nd bekleidet, auf dem Bett. Kleines Kolleg über Philodelics.

Nachhalle von gestern - oder war das schon vorgestern?

Im Prinz Willy am "Moloko Velocet", der eine jeweils Fritz-Cola war, und wie folgt die Nachtaktiva genipp(el)t:

--- snip! ---

Schaukeln im Klangmeer

Im Prinz Willy nippte man am psychedelischen "Moloko Velocet".

"Um die Hölle auszuloten oder engelsgleich aufzusteigen, nimm nur eine Prise 'Psychodelic'", beschrieb Humphry Osmond einst die Wirkung halluzinogener Drogen wie "Moloko Velocet", jenen amphetaminisierten Milch-Shake, mit dem sich die Kumpels in Anthony Burgess' Roman "A Clockwork Orange" in Stimmung bringen und nach dem sich die Band aus dem französischen Roubaix benannt hat, die im Prinz Willy solchen Bewusstseinszuständen musikalisch huldigte.

Adrien Dreiman (Gitarre, Vocals), Maria Mackenzy (Vocals, Percussion), Arturo Bandini und Piotr Stepanovitch (Gitarren) sowie Aureliano Dimitriov an den eher schüchtern eingesetzten Drums und Raphäel Sollima auf dem Moog-Synthesizer, der als sphärisch waberndes Bassfundament dient, beziehen sich dabei aber weniger auf den psychedelischen Rock der 60er, The Jesus and Mary Chains "Psychocandy" oder seine Triphop-Nachfahren aus den 90er Jahren, sondern auf deren Lebens- und Klanggefühl. So liegt über allem ein Schleier von Hall, der die Silben der englischen Lyrics rund um romantisch milde ("Red Sun") bis beängstigend entweltlichte ("Empty Streets Of L.A.") Entgrenzungserfahrungen zu einem träumerischen Säuseln verschmilzt. Auch die drei Gitarren knüpfen die Enden der Töne zu einer Klangperlschnur zusammen, klingen zuweilen fast unisono, so eng verzahnt sind ihre Riffs.

Die Wirkung solcher Musik gleicht in der Tat einer milden Droge, hüllt den Zuhörer ein, macht ihn weltblind, lässt ihn traumwandlerisch taumeln, wobei letztere Bewegungsanmutung durchaus etwas Tänzerisches hat, dem man in den tiefen Couchen des Prinz Willy jedoch nicht nachkommen kann. So tanzt man mit den Seelensprüngen der Töne, schaukelt sanft im Klangmeer ohne Ufer, wendet sich ab vom schweigenden Festland, das Welt hieß. Oder schaut Sängerin Maria Mackenzy zu, wie sich ihre rotbraunen Strähnen auf der Stirn im sinnlichen Takt wiegen, den sie sich mit dem Tambourin selbst gibt. Ein Blumenkind aus fernen und doch so zeitlos nahen Zeiten.

Bevor man dabei lull und lall wird, lassen Moloko Velocet hinter solchen Milchglasscheiben allerdings auch kleine rockige Fünkchen aufblitzen. Gerade in den improvisierten Stücken, Vorstudien zu Songs, die noch im Kokon zucken, beschleunigen sie den einheitlichen Herzschlag-Trott des "Like A Massive Monotone", ziehen die rhythmischen Zügel an. Ein Blick über den Tellerrand des selbstgewählten Rauscherlebnisses. Man weiß nur noch nicht wohin, wenn der Horizont bis über ihn hinaus gedehnt ist. Folgt nach dem Nirvana vielleicht doch mehr als das wohlig schaukelnde Nichts?

--- snap! ---

Und heute, nachmittags, also frühstmorgens, einsam durch den Kurzstreckenschnee zum KN-Date im Opernhaus:

--- snip! ---

Das Büro als Bühne innerer Welten

Franz Wittenbrinks Liederabend "Sekretärinnen" tippt im Opernhaus die Durchschläge des Persönlichen.

Wenn Sekretärinnen nicht tippen, dann träumen sie - von einer Bühne außerhalb des Büros, manchmal aber auch vom Büro als Bühne. Franz Wittenbrink hat 1995 in seinem Liederabend "Sekretärinnen" solchen Träumen zwischen Farbband und Fernweh gelauscht, was sich in Hamburg als Riesenerfolg mit mancher Überstunde erwies. Nun, "nachdem der Hamburger Ruhm etwas verhallt ist", so Regisseur Jörg Diekneite (in Zusammenarbeit mit Daniel Karasek), singen und sehnen die "Tippsen" im Kieler Opernhaus.

Als einen "Ausnahmezustand am Opernhaus" empfand der musikalische Leiter und Klavierbegleiter der neun singenden Sekretärinnen Michael Nündel die Probenarbeit. "Wir durften etwas wagen, was man in der Oper sonst nie darf: die Musik den Figuren anpassen und umgekehrt, zum Beispiel aus einer rauchig-bluesigen Jazz-Ballade einen aggressiven Pop-Song machen. Wir haben lang gewürfelt, welches Lied wie auf welche Figur passt." Zwar seien Sekretärinnen schon ein Stereotyp, aber ein sehr wandelbarer. "Von der züchtig strengen Königin des Büros bis zur Schlampe, die sich nach durchzechter Nacht lieber die Nägel lackiert als sie auf die Tasten zu setzen, war alles möglich", freut sich Jörg Diekneite über seine Regiearbeit, die "keine festen Vorgaben hatte, sondern im Team erarbeitet wurde".

Gerade auch mit dem Ensemble, in dem sowohl singende Schauspielerinnen wie schauspielernde Opernsängerinnen vertreten sind, die den Parforceritt durch die Genres vom ironisierten Pathos der Arie bis zum mit bewusst kitschigem Sehnsuchtsschmelz lippenbestifteten Rock-Song als "absolut willkommene Abwechslung vom normalen Theaterbetrieb" empfanden. In jeder Operndiva steckt auch ein Pop-Luder, in jeder lasziven Jazz-Lady die ernste Tragödin, so hätten sich "witzige Querbezüge zwischen den Rollen und ihren Darstellerinnen" ergeben. "Dass unsere gebürtige Griechin (Marina Fideli) vom 'Mädchen aus Piräus' singt, lag da nicht nur einfach nahe", weiß Nündel, der in den "Stilen, die krasser nicht wechseln könnten", "tief gefühlte Momente jenseits eines Schenkelklopferabends" entdeckte. "Das ist kein Crossover, uns interessieren die Brüche - in der Musik wie in den Personen."

Wittenbrinks Entwurf ist ohnehin keine bloße Nummernrevue en bureau und mit "Liederabend" sowohl treffend wie den Modus ironisierend beschrieben. Vielmehr ein theatralischer Freiraum, den die Bühnenbildner Elisabeth Richter und Norbert Ziermann und Kostümbildnerin Sabine Keil als "Unterstützung der Rollen" gestalteten. "Jeder Schreibtisch ist eine eigene Lebensbühne", beschreibt Richter ihr Konzept, bei dem die Darstellerinnen auch etwas von sich preisgeben. Und natürlich die Schreibmaschinen: Zwar tippt heutzutage jede Sekretärin am PC, aber die altertümlichen Schreibgeräte waren für Michael Nündel willkommenes Instrument der Perkussion. So rappen die "Tippsen" darauf ihren je eigenen Groove, und das Büro wird zur Weltbühne.

--- snap! ---

Viel Text also, der die Äther und Rät/t/s/le/i/n näh(e)rt.

Tränen derweil, romantische nicht nur, elegische, bei der "Unerträglichen Leichtigkeit des Seins". 27 Minuten vor Schluss schwimmen die Schwäne, lohengrient uns das Schicksal der Fremde nah, näher, nächstens. Nächtens.



Video-Sequenz:

Montag, 25. Januar 2010

So, 24.1.10 (Mo, 25.1.10, 4:48): Unter(m Schreibtisch)bewusstsein

Durch die fortgesetzte Zeitverschiebung beim Schlaf ist mein UBW offenbar gegen Mittag hochaktiv und verrichtet Traumarbeit. Oder es liegt am Schlafplatz auf der Tagesmatratze am Boden des Arbeitszimmers unterm Schreibtisch, wo die Lüfter der Macs surren.



Gegen 14.30 Uhr erneut wie schon gestern aus einem lebendig bildhaften Traum aufgewacht. Die Szenerie ist mir allerdings als schon oft geträumte bekannt: Ich mache verspätet (zeit- und generationenverschoben) nochmal Abitur, muss mich dabei aber nicht anstrengen, weil ich im Traum weiß, dass ich neben dem Abitur ja längst einen Hochschulabschluss in der Tasche habe. Also eine Art "Feuerzangenbowlen"-Szenario, Meyer mit E-Y statt Pfeiffer mit drei F ;-). Dennoch das (quälende) Motiv erneuter (und immer währender) Prüfungssituation. Aus dem Hochzeitsszenario von gestern übernimmt der Traum das Motiv einer Art Abschlussfeier: In ein und demselben Feierstundenhotel treffen ein Jahrgang, der sein 25-jähriges Abitur feiert, und ein Jahrgang frischer Abiturienten aufeinander. Ich bin Mitglied beider, muss also "auf zwei Hochzeiten tanzen". Zwischen den Stühlen, statt auf den Tischen. (Könnte man zu einer komödiantischen Kurzfilmidee ausbauen ...)

Ich halte erneut eine Rede mit etwa folgendem Wortlaut: "die operettensoldaten der revolution von gestern eilen den operettensoldaten der revolution von morgen zu hilfe (oder fallen ihnen in den schwertarm). was raten die verspäteteten den frühreifen? ))wie rät ein untergang dem nächsten?(( wo berührt sich das kreislaufend? wir sind die großväter unserer söhne, sie die enkel unserer väter." Im Aufwachen, das statt Beifalls geschieht, ist mir der Wortlaut noch erinnerlich. Sofort ins offen gehaltene Word-Fenster notiert.

Auffallend: Die mittags geträumten Träume sind realer als die mitternachts, aber auch „philosophischer“, verschwiemelter, in Rätseln redend, als betreibe der Traum eine Art Denksport.

Dann traumlos weitergeschlafen bis gegen 17 Uhr. Draußen ist es schon wieder dämmerdunkel, und die Rättlein sind aktiv. Sie durchmessen den Käfig auf verschiedenen, immer wieder abgewandelten Pfaden, als wollten sie alle Wege ausprobieren, die vom Häuschen zum Fressnapf und zurück führen. Nähert man sich dem Gitter, nähern sie sich interessiert schnuppernd von der anderen Seite, inzwischen offenbar furchtlos. Durchs Türchen hingehaltene Finger nutzen sie als Leiter oder nagen daran - zart schabend bis zudringlich knabbernd. Beiderseitige Verhaltensstudien, dem UBW unterm Schreibtisch nicht unähnlich.

Passend dazu auch die Verfilmung von Kunderas "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins", die mir Lilly zeigt, den Film immer wieder anhält, um mir zu erläutern, um wieviel differenzierter die Seelenverwandschaftsverwicklungen und dialektischen Figurenkonstellationen in der Romanvorlage geschildert werden. (Ich denke: "der film als das traumverschlüsselte bild des romans, die schrift unter dem schreibtisch." Später noch:

"der traum als die herz-hirn-schranke, brückenkopf der operettensoldateska, die metaphern-schatzend durch die gefilde zieht.")

Sonntag, 24. Januar 2010

Sa, 23.1.10 (So, 24.1.10, 7:10): Die Brüschen der Braut

(Skizze eines Traums, morgens gegen 10 Uhr:)

Die Brüschen der Braut

Die grün und blau geschlagene Braut mit Brüschen und Blessuren im Gesicht und am ganzen Körper. Spuren der Züchtigung durch ein Leben, das nicht glücklich verlief. Ich will sie heiraten.

Es gibt da so ein Komplettangebot, Trauung mit anschließender Feier, Buffet, Hotel, all inclusive. Die Paare heiraten am Fließband, im Akkord, im halbstündigen Abstand, in dem auch das Buffet wieder aufgefüllt wird - leidlich. Essen für alle das gleiche: gebratene Krabben auf riesigen Tabletts aus gepresster und dennoch zerbeulter Alufolie, ebenso Unmengen von Rührei und bleichem Baguette-Brot. Ich, der Bräutigam, strubbelig, Anzug zerrissen, fleckig und mit fehlenden Knöpfen, wie das Brautkleid aus dem Kostümverleih der All-inclusive-Heiratsfabrik.

Die eingeladene Verwandschaft ist einigermaßen erschüttert von diesem Aufgebot, versucht aber, sich das nicht anmerken zu lassen. Lediglich die Patentante kann ihr Entsetzen über die Brüschen der Braut nicht verhehlen. Irgendwann, im Gang zum Klo wirft sie es der Braut an den Kopf, die daraufhin die Patentante mit dem Kopf auf die Türkante schlägt. "Hier! Damit du weißt, wie es ist, wenn einen das Leben so schlägt!" Für die Pateneltern ist die Party damit natürlich vorbei. Sie verlassen meckernd das enge Gastzimmer.

Wir aber feiern gequält weiter, obwohl ich vor der Trauung eigentlich noch ein Interview mit einem bürgerlichen Politiker machen muss, in einem Nebensaal, wo eine Wahlveranstaltung stattfindet, die ich sprengen will, um dort für linke Ideale (oder was ich dafür halte) zweckfremd zu werben. Auf der Versammlung geht es um die Kosten der Integration von Fremden für die Gesellschaft. Sie seien zu hoch und zudem nutzlos ausgegeben, Integration sei gescheitert. Am Rednerpult, während ich Filme von "Gefangenen ihrer selbst" in sehr ärmlichen Verhältnissen (Berliner Mietskasernen aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende und der letzten, Marzahn) projiziere, argumentiere ich in die lärmende Menge, dass die Folgekosten einer nicht versuchten Integration, eine weitere Ghettoisierung von Gescheiterten und Gebeutelten viel höher seien, als jetzt in Integration nach neuen, linken Konzepten zu investieren. Ich werde ausgebuht. Nur der zu interviewende konservative Politiker findet meine Ansichten "putzig", allerdings hätten sie diesen "unangenehmen proletarischen Augout". Kleidete ich sie in bürgerlichere weiße Westen, könnte zumindest er sich mit meinen Ideen anfreunden. Das soll ich aber im Interview nicht schreiben.

Währenddessen hört man Jubelrufe aus dem Trauzimmer nebenan, wo das Paar vor uns gerade heiratet. Die Braut kenne ich aus Schulzeiten, sie erkennt mich aber nicht wieder. Sie heiratet einen Marineoffizier in Uniform und hat über den unteren Teil ihres Brautkleids eine grotesk große Anglerhose gezogen, Gummistiefel statt Pumps, auf dem Kopf auf dem Schleier eine karnevaleske Kapitänsmütze. Lächerlicher als dieser Aufzug ist die erkennbar plumpe Absicht, lächerlich zu wirken, die Zeremonie nicht ernst nehmen zu wollen. Der Bräutigam ist auffallend übergewichtig (und zauselig wie ich).

Diese Hochzeitsgesellschaft macht sich tuschelnd und verstohlen mit dem Finger zeigend über meine Braut und mich lustig. Sie moppsen, einen Teil des mit Klarsichtfolie abgedeckten Buffets, das für uns bereitgestellt wurde. Ich beschwere mich in der Küche. Die Küchenjungen und schmuddeligen Kaltmamsellen dort aber meinen, es tue ihnen leid, weg sei weg, sie könnten das nicht ersetzen, da der Komplettpreis sehr eng kalkuliert sei. Ich versuche dann noch, den Streit mit den Pateneltern zu schlichten, was wiederum meine Braut erzürnt. Sie verweist auf ihre Brüschen und bittet mich, die Pateneltern doch ziehen zu lassen. Sie verstehe mich, dass ich Harmonie stiften wolle, aber ich solle jetzt "endlich mal zu ihr stehen". Sie müsse aber auch nochmal kurz weg, die Parkuhr laufe ab, sie müsse nachwerfen, ich wisse ja, was Knöllchen kosten und dass wir sie uns nicht leisten können.

Auf dem Rückweg verspätet sie sich. Unsere Hochzeitsgesellschaft macht sich schon mal über die Buffet-Reste her, noch vor der Trauung. Ich halte eine Rede, warum ich SIE heirate, die mit den Brüschen. Gerade deretwegen stünde ich zu ihr, zumal manche der Blessuren ich ihr zufügte, wenn auch im übertragenen Sinne - "Kainsmale unserer Ehe". Überhaupt gehe es um Ideale, dass das Bewusstsein wieder das Sein bestimmen müsse, dialektisch natürlich. Die Argumente aus der Wahlversammlung passen auch hier. Vermutlich, so stelle ich gerade fest, habe ich beide Reden vertauscht. Na egal. Guten Appetit!

Außer mir ist kaum einer gerührt. Nur meine Schwester wirft mir ermutigende Blicke zu und gibt viel zu überschwänglichen Szenenapplaus. Sie trägt das Habit einer Krankenschwester, das sei jetzt modisch und passe ihr wie angegossen, augenzwinkert sie – und: "Nun mal Schluss mit Lyrik und ran an die Krabben (und die Brüschen)!". Dann taucht meine Braut wieder auf, mit noch mehr Brüschen und ein paar blutenden Kratzern. Da alle spachteln und der Standesbeamte drängt, heiraten wir ohne die Hochzeitsgesellschaft. Für Überraschungen waren wir ja schon immer gut, insofern ist das folgerichtig. Die Braut, jetzt meine Frau, bittet mich, sie vorsichtig zu küssen, ihre Brüschen täten so schon weh. Im Klogang von vorhin, wo die Patentante was abbekommen hatte, zieht sie eine abgewetzte Alltagsjeans über ihren nackten, striemigen Po. Ich soll mich bei dieser Umkleide vor sie stellen, weil überall noch Gäste von den Hochzeiten davor herumwandeln, zum Teil bereits sehr beschwippst und obszöne Bemerkungen machend. Und die Augen zumachen! Ihren Po mit den blauen Flecken zeige sie mir nur im Dunkeln, in der Hochzeitsnacht nachher, wenn wir zwischen den abgefressenen Krabbentabletts liegen, oder darauf, im Rühreirest.

Wir schlafen dann dort miteinander – oder doch nur ein, halb in der Küche, halb auf einer zu einem See hinter dem Hotel abschüssigen Wiese voller Kraut, Disteln, Pusteblumen und Gänseblümchen. "Rupfe keines", sagt sie, es komme eh immer "sie liebt mich, du liebst mich nicht" raus, was sich aber auf meine Familie beziehe, die entsetzte, immer noch gierig Krabben pulende aus den letzten Ecken der Küche. Ich möchte ihr den schmerzenden Po mit dem lauen Wasser aus dem Schilf lindernd kühlen. Sie lässt mich aber nicht gehen, eine Handvoll zu holen.

Es wird wieder hell, langsam. Und ein zarter "Nebeltauhauch", so nenne ich es, weht vom See zu uns herüber, wie eine Decke, die uns Schmerzensleute einhüllt. "Siehst", sagt sie, "im Liegen hab' ich Linderung." Bleib' also liegen! Es ist alles von selbst und dir geschenkt.

(ungefilterte Skizze, wie um ca. 10.30 Uhr antastbar)

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