Dienstag, 1. Juni 2010

Mo, 31.5.10 (Di, 1.6.10, 2:52): The Scream of the Butterfly

"When the music 's over", kann man nicht unbedingt über sie schreiben. Nicht un.bedingt. Was an einer "conditio sine qua" (sic!) des di.gi.ariums liegt: Nämlich dass es nicht oder nur andeutend berichten kann, was zu Interferenzen in der so genannten Wirklichkeit führte, die sich wiederum auf seinen Text auswirkten, dergestalt dass die "pretty.public.privacy" publiziert gleichsam unprivat würde. Oder auch unpolitisch, was die Veröffentlichungspolitik und das Politische des Privaten des di.gi.ariums betrifft. Hier noch etwas in Rätseln gesprochen: eine Art Chaostheorie des di.gi.ariums, in und zu der das Konzept p.p.p noch fortgeschrieben werden müsste (was ich auf später (oder nie, weil es sich u.a. hier aus sich selbst hinreichend notwendig ergibt) verschiebe).

Kurzum, was Lilly und mich heute am meisten beeindruckte, steht (bald, noch nicht jetzt) woanders – und kann sich allenfalls von dort wieder ins di.gi.arium einschleichen.

Nicht minder beeindruckend dennoch der chaostheoriepraktische Flügelschlag des Schmetterlings hernach, nach der "Musik":

Wieder daheim, Lilly seltsam eigenweltlich schmetter(sch)lingend, legt DJane Lilly dies auf:



Eine Aufforderung zum Tanz.

Und so bewegen wir uns auf dem Dancefloor der nächtlichen Wohnung, wie sich vielleicht vor 42 Jahren in dem Haus, das diesem als Ruine wich,



verschoben nicht nur um Jahrzehnte, sondern auch wohl etwa drei Stockwerke den Himmeln von damals (Sommer 2006) wie jetzt wieder näher (projizierlicher linker Rand der Ruine), Hippies bewegten. Wir tanzen diesen Tanz von damals, der etwas ebenso Morbides (over!) wie Lebendiges (Butterfly!) hat, denn darin singt Jim Morrison ((der dritte im Bunde der J.M.'s von heute ;-)): "Before I sink / Into the big sleep / I want to hear / I want to hear / The scream of the butterfly".

Und dieser Schmetterling flattert und schreit und schreibt und schreitet und singt mit da direkt vor mir, an mir, mit mir, in mir. Lilly. Und ich tanze, erst zögernd, dann mehr und mehr ihrer Trance, ihrem Körper folgend, mit ...

So, 30.5.10 (Di, 1.6.10, 1:17): Beete & Bestien

Dritter Tag beim Symposion "RestNaturen". Diesmal schon um 10 Uhr da, ein Zeitpunkt, wo ich noch nicht vernehmungsfähig bin. Muss ich aber auch nicht, weil ich ja nur aufnehmen muss. Schaue aus dem Fenster und lausche den Vortragenden. Wieder diese gestern geschilderte plötzliche, enlightenment-flackernde Aufmerksamkeit, weil das alles total spannend ist.

Hab' Lilly schlafen lassen, mich leise sohlend aus dem Haus geschlichen.

Zurück, erwacht sie eben, und ich sprudele sie mit dem soeben Erkannten zu, welche Thesen sie rhetorisch überzeugend kontert, geschult an Platons Symposion.

Schreibe wie folgt, etwas in Eile, doch in leichtem, noch mitdenkenerviertem Fluss, weil's für die morgige Ausgabe der KN gebraucht wird:

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Beete und Bestien in Brachen

Das Symposion "RestNaturen" des Forums der Muthesius Kunsthochschule blickte auf das Verhältnis von Natur und Kultur.

Kiel. "Kultur ist die Natur des Menschen." So spitzt Norbert M. Schmitz, Professor für Ästhetik an der Muthesius Kunsthochschule, in seinem Abschlussvortrag die Debatte zu, der sich drei Tage lang das Symposion "RestNaturen" widmete: Sind Kultur und Natur Widersprüche? Wie müsste man den Naturbegriff neu fassen, um Natur in Wechselwirkung mit Kultur und Gesellschaft besser zu verstehen?

Schmitz' Thesen: Der Zoo ist ein wahres, weil ästhetisches Bild der Natur. Im Zoo wie auch im Garten wird die Natur von ihrer "Unerbittlichkeit", der darwinschen Logik des Fressen und Gefressenwerdens, befreit und kommt in ihrer Ästhetisierung eigentlich erst zu sich. Natur sei nie ursprünglich, sondern immer schon ein Kunstprodukt. Insofern sei auch die Erhaltung der Natur weniger eine ökologische als eine ästhetische Überlebensfrage. "Natur muss erhalten werden, weil das Schöne erhaltenswert ist."

Dass dies zwar provokant formuliert ist, aber doch zutreffen könnte, dass man ausgehend von Bruno Latours "Parlament der Dinge", das eine Einbeziehung der Natur und ihrer "Interessen" in demokratische Netzwerkprozesse fordert, Natur und Kultur statt als Widerspruch als gegenseitig Vernetztes denken kann, darauf wiesen auch andere Vorträge des Symposions hin. So beschäftigte sich die Kunst- und Kulturhistorikerin Susanne Hauser mit Industriebrachen, auf denen sich Flora und Fauna nicht nur wiederansiedeln, sondern sie paradoxerweise auch zu Biotopen mit einer Artenvielfalt machen, die in der "unberührten" Natur nur selten anzutreffen ist. Kultur- und Naturgeschichte verschränken sich in solchen "anarchischen Niemandsländern" auf einzigartige Weise und werden so zu Orten botanischer und zoologischer Forschung wie auch zu "mythischen Wildnissen einer merkwürdig verbrauchten Art". Ähnliches lässt sich entlang des ehemaligen "Eisernen Vorhangs" beobachten, der nunmehr von Naturschützern zum "Grünen Band" ausgerufen wird - mit dem Ziel, sowohl die "neue" Naturgeschichte als auch die vergangene menschliche Geschichte dort zu dokumentieren. Wo Kulturgeschichte verfällt, wird Naturgeschichte geschrieben und umgekehrt.

Natur und Kultur stehen also offenbar in einer vielschichtig verwobenen Wechselwirkung gegenseitiger Beeinflussung und Bedingung, die auch soziale Implikationen zeitigt. "Guerilla-Gärtner" in den Metropolen eignen sich öffentliche Räume wieder an, indem sie Beete auf die Brachen pflanzen. Die Gartenbauwissenschaftlerin Julia Jahnke und die Stadtplanerin Ella von der Haide illustrierten dieses "politische Gärtnern" unter dem Motto "Eine andere Welt ist pflanzbar!" am Beispiel des Berlin-Friedrichshainer Gemeinschaftsgartenprojekts "Rosa Rose". Mehr noch als die gärtnerische Besetzung von Brachen versuchen solche Ansätze zudem, eine "partizipatorische urbane Landwirtschaft" zu etablieren und so den sozialen wie kulturellen Gegensatz zwischen Stadt und Land aufzuheben.

Auch in der Kunst selbst wird der Naturbegriff problematisiert, wie der Künstler Miron Schmückle exemplarisch am Werk Walton Fords demonstrierte. Ford, dessen "Bestiarium" noch bis zum 6. Juni in der Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof (Berlin) zu sehen ist, machte mit seinen großformatigen, lebensgroßen Tier-Aquarellen Furore. Ganz bewusst malt Ford nicht "nach der Natur", sondern findet seine "Modelle" in Präparaten des New Yorker naturhistorischen Museums und in Tierzeichnungen aus der Kolonialzeit des 18. und 19. Jahrhunderts. Das Tier ist dort wie im Zoo als inszenierte Natur ausgestellt. In Anlehnung an die naturalistische Tiermalerei etwa des US-amerikanischen Ornithologen John James Audubon zeigt Ford die "gebändigte Bestie", das Tier im anthropozentrischen Zugriff des Menschen, und setzt es in allegorische Zusammenhänge, die einen tiefsinnigen, wenn auch nicht moralisierenden Blick auf das herrschaftliche Verhältnis des Menschen gegenüber der Natur - nicht zuletzt der eigenen - werfen.

--- snap! ---

Schicke auch Bilder dazu an die Redaktion, etwa dieses, das ich im Netz fand, und das mich seltsam berührt:

Bildunterschrift: Vom Eisernen Vorhang zum Grünen Band - eine Brache an der ehemaligen innerdeutschen Grenze im Wendland wird zum Biotop (Foto: erlebnisgruenesband.de)



Berührung deshalb, weil mich der Grenzstreifen von je beschäftigte, im widerständigen Nachhall seiner Einebnung Beet war für manche Bestienblume etwa im "MERz.Monstrum", zu welchem Text über die durch kapitale Grünwucherungen unsichtbar gewordene Grenze ich damals dies comic-collagierte.

Das Niemandsland der Grenze auch als poetischer Frei- und Wucherungsraum (mit einer bis dahin selten gefundenen Wort-Bio-Diversität ;-). Neu bemonstert. Und hier also der Wachturm, gestürzt wie so ein T-Rex in einem Animationsfilm über das Leben und Scherbensterben der Saurier. So hingefallen, hingegeben ...

Im übrigen hängt wieder alles mit allem zusammen (was natürlich nur mein Hirnkopf so projiziert/entwirft), nämlich diese Symposionsfrage nach Kultur vs. Natur mit der "Flugschrift Naturwissenschaft als Herrschaft", an der ich dieser Tage in anderem Zusammenhang wieder werkelte. Welche Dialektiken sich auch in obigem Text als Orgelpunkt, wenn auch kaum wahrnehmbar echoend, wiederfinden.

Dann auch im Gespräch mit Lilly, die mir fasziniert (und mich faszinierend) ihre Platon-Lektüre vorträgt. Wie nämlich Platon schildert, wie die Liebe aus einer Trennung entstanden ist. Dass (hier sehr vereinfacht wiedergegeben) der ursprüngliche Mensch, der sowohl weiblich als auch männlich war, von den Göttern zwecks seiner besseren Beherrschbarkeit in Zweierlei zerteilt wurde, welche Teile nun nach Wiedervereinigung (siehe Grenze/Grünes Band oben) in der Liebe streben.

Was wiederum damit zusammenhängt, worüber wir später sprechen, sehr ernst, sehr umschlungen und auch sehr zwei statt nur zweisam: Was wir einander sind und nicht sind, sein können und nicht sein sollten, waren, wären ... Ertrinkende am selben Rettungsring, der aber uns immer noch und wieder umreift. Und dass wir gleichwohl uns schwimmen lassen wollen, schwimmen lernen lassen wollen.

Wir sind einander - ja, vielleicht das: Beet und Bestie ((auf unseren von einander berosten Brachen)).

Sa, 29.5.10 (Di, 1.6.10, 00:51): Die Natur der Kultur

Wollte eigentlich schon vormittags, aber nicht aus den Federn gekommen. Also erst nachmittags zum Symposion "RestNaturen" in die Kunsthalle.

Dort vor mich hingebrütet, irgendwie noch denkbenebelt von gestern.

Dann aber wieder dieses eingefangen Werden, wenn da vorne jemand steht und laut denkt. Dieses plötzliche Aufwachen aus dem Zuhördämmer (der auch im Dämmer seltsam alert ist, sozusagen antennisch aufgehorcht, selbst wenn erst nur Rauschen ist). Holla, was war das? Das ist ja interessant. Eigentlich wache ich nur davon auf, dass der eben da vorne geäußerte Gedanke sich in mir schon weiterdenkt, sich vermischt mit Erinnertem, schon mal anders irgendwo Gelesenem, Metaphern, Gedichtzeilenabraum aus Brachen, die im Hirn eh darauf warteten, so neu bepflanzt (und in der Folge beackert) zu werden.

Kultur vs. Natur, wobei das eben kein Gegensatz ist, sondern sich somit auch in meinem Denka[n/b]wesenheitsmodus verschränkt, also ...



vs.



Wobei in beiden aus diesem Denkstrom heraus ge-iPhonten Pixies eben immer beides ist, nur in unterschiedlicher Mischung, Präsenz, Vorderhintergründigkeit usw.

Voll davon und etwas, das sich schon wieder verskassibert, romantisch anverwandelt, nachhause. Lilly gefont, die - oh, Überraschung (*freu*) - sich schon im Zug hierher befindet.

Dann ist sie da. Und, da wir uns lange nur virtuell gesehen hatten, auf angenehme, wiederentdeckungsspannende Art ein bisschen fremd(elnd). Dann aber wieder diese Nebenundineinanderliegenvertrautheit beim Filme Gucken, ihr Bratkartoffeln mit Zucker Braten, Würstchen heiß Machen.

Ist Lilly für mich Natur oder Kultur, was bin ich für sie? Oder eben beide beides? Aber dann in welchem vice-versa-Mix?

Im Nachtkaffee, den ich uns erhitze, wirbeln Schwarz und Milchweiß im Moment des Eingießens umeinander, bevor sie einander brünetten.

Samstag, 29. Mai 2010

Fr, 28.5.10 (Sa, 29.5.10, 22:20): Guerilla Computing

Beim Symposion "RestNaturen" in der Kunsthalle interessanter Vortrag über Guerilla Gardening. Selbst sind die GärtnerInnen - und widerständig. Passt auch gut zur Flugschrift, an der ich immer noch rumbastle - als LaTex-Guerillero. Alles Try and Error, weil ich TeX nicht mehr gut kann. Aber das Pflänzlein wächst und gedeiht aus der Dateienbrache. Bald kann man's ins Netz umpflanzen.

Fritz-Kola getrunken. Guerilla-Getränk (jedenfalls hier dazu ernannt ;-)

(Passendes Bild auf der Kunsthallen-Toilette an der Tür gefunden und geschossen:)

Freitag, 28. Mai 2010

Do, 27.5.10 (Fr, 28.5.10, 4:45): bilderblind

denn von den blinden bildern werd' ich blind,
wie sie sich wickeln auf die weiße leinwand.
ich bin nicht, war nicht, werde, was sie sind,
ihr pate, der sie schneidet, anverwandt.

dem blinden leih' ich meine sonnenbrille,
der seenot manchen rettungsring geworfen.
und all den unverklärten zwingt die zwille
die wahrheit auf, die wunde unter schorfen.

wir sehen, und wir singen eh in nacht,
was wir gefühlt, geseh'n und ausgedacht.
wir sind der letzte sender, der noch sendet.

was wir begonnen, ist, was noch beendet,
wird nicht, doch jetzt und gestern angefangen,
was morgen noch im herz uns hält umfangen.

Donnerstag, 27. Mai 2010

Mi, 26.5.10 (Do, 27.5.10, 4:35): Flugschrift

Überraschende Mail am Nachmittag, dass die 1992 vom AutorInnenkollektiv J.M., W.W., P.L. und G.N. verfasste "Flugschrift Naturwissenschaft als Herrschaft" offenbar noch immer in der Welt kursiert und sogar gelesen wird. 18 Jahre nach ihrem Entstehen. P.L. hat eine Anfrage von einem Arbeitskreis "Kritische Physik" an der TU Berlin erhalten, der sich auf die Flugschrift bezieht. Selbst voller Verwunderung darüber mailt sie das gleich weiter (nach Jahren mal wieder was voneinander gehört).

Wie sind die Studis und Promovierenden des Arbeitskreises wohl an die Flugschrift gekommen? W.L. (ehemals W.W.) findet sie sogar bei Amazon, dort allerdings nicht lieferbar, wohl aber in einem Worpsweder Antiquariat, für 32 Euro.

Hab' selbst gar kein aktuelles Exemplar mehr, nur ein zerfleddertes und mit zahllosen Zetteln vollgestopftes Exemplar der ersten Version von 1991.



Und vor allem die Dateien, vermutlich verschollen. Die Berliner wollen das Teil daher einscannen. Schaue aber dennoch mal in einer verstaubten Box mit alten Disketten (3,5 Zoll, 1,6 MB Speicherkapazität, Steinzeit). Und da finden sich tatsächlich welche, wo "Flugschrift" drauf steht. Hatte damals vier Backups gemacht, der Sicherheit halber. Was sich gelohnt hat, eine von den vier Disks ist noch lesbar, wenn auch eine Datei darauf kaputt zu sein scheint. Sofort auf die Festplatte kopiert - und ans AutorInnenkollektiv versandt.

Bin plötzlich zittrig aufgeregt von dieser Wiederentdeckung - und dass sie sich noch wieder ins digitale Leben zurückholen lässt. Schon P.L. fragte in ihrer ersten Mail aber, inwieweit das alles noch aktuell für uns AutorInnen ist. Sind wir noch so drauf wie vor 18 Jahren? Haben wir das in der Flugschrift Geforderte für uns wenigstens umgesetzt?

Finde dies im di.gi.arium von 2000, wo ich darüber schon mal nachdachte – damals als Schreibknecht für ein Wirtschaftsmagazin (also für "die Bösen").

Stimmt noch.

Dann in Aktionismus verfallen, um aus den damals in LaTeX geschriebenen Dateien wieder lesbaren Text, ein PDF zu machen. LaTeX auf dem Mac installiert, von dem die ollen Dateien aber nur noch partiell kompiliert werden. Die LaTex-Standards haben sich eben in 18 Jahren auch verändert, manche alten Script-Befehle werden nicht mehr übersetzt. Nach endlosem Rumprobieren zaubert das Mac-LaTex dann aber doch ein PDF aus dem prähistorischen Datenwust. Und da steht es plötzlich wieder auf dem Schirm, das alte Layout (leicht verändert wegen anderen Umbruchs), in der Schrift von damals, dieser amerikanisch anmutenden alten Times (geTeXte Dokumente erkennt man immer noch gleich an der Anmutung des Schriftbilds).



Nun muss man nur noch bisschen an den Dateien basteln, um sie möglichst nahe an das Layout von damals heranzubringen. Und das z.T. verlustig gegangene (kaputte Einzeldatei) Einleitungskapitel dann vielleicht doch einscannen. Oder Abtippen.

Und dann ist sie wieder in der Welt. Soll dann ins Netz gestellt werden.

Währenddessen mit Lilly gechattet, die am Text über Malmsheimer bastelt - mit einer bewundernswerten Akribie. Ihre erfrischenden Ideen und Fundstücke, die sie schickt. Nachdenken über Sprache und ihre vorgefertigten Muster, die auch das Denken bestimmen. Passt zur Flugschrift. Insofern - immer noch an Fragen solcher Natur dran.

Mittwoch, 26. Mai 2010

Di, 25.5.10 (Mi, 26.5.10, 4:36): Märchen heißt Lilly

Lilly liest Moers' Blattverschränkungen, ich die paar Jahrhundertjahrzehnte vorher. Die Gesten sind die gleichen, die des sich aus der Distanz im Traum Vereinens.

Unsere Emoticon-Inflation, diese Grußgesten über 300 Kilometer durch das Netz, in dem wir uns kennenlernten, darauf zurückverzichtet, dennoch wissend, wie nah uns das wifi-fällt.

Schreibe indes über Seltsamkeiten der poetischen Moderne wie folgt:

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Dem Märchen die Gesten abgelauscht

Rolf Becker las im metro-Kino aus J. M. Barries "Kleiner weißer Vogel".

Kiel. Wenn die Elfen fliegen, sich im Traum recht irdisch geben, wenn sie Peter Pan auf schüchternen Schwingen tragen, dann ist Rolf Becker ebenso in seinem Element wie James Matthew Barrie vor gut 100 Jahren. Barrie, dem Becker zu seinem 150. Geburtstag eine Hommage gibt, dessen "Ur-Peter-Pan" "Der kleine weiße Vogel" ein Jahrhundert brauchte, bis er jüngst erstmals auf deutsch erschien, ist einer der Urväter der Märchenliteratur der frühen Moderne. Im metro-Kino lauscht dieser Entführung ins Elfen-Serrail zwar nur eine kleine Schar, die aber ist beglückt.

Barrie ist einer der vergessenen keltischen Autoren, die James Joyce ebenbürtig sind, ein Magier der Märchen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts schon ewig gestrig schienen. Erst "Harry Potter" hat das Legenden Erzählen wieder modern gemacht. Allein, Barrie ist besser, fintenreicher, überraschender. Zumal, wenn Rolf Becker dem unbekannten Genie seine sonore Stimme leiht. Becker kennen wir aus zahllosen Krimis. Noch mehr ist seine Synchronstimme bekannt - als Sprecher für Dokus. Seit langem setzt er sie ein, um Märchen wie dem "Kleinen Muck", aber auch kämpferisch dem "Kommunistischen Manifest" zu Klang zu verhelfen. Jetzt hat er sie einer Seltsamkeit gewidmet.

Peter Pan, den Jungen, der nicht erwachsen werden will oder kann, kennt jedes Kind. Nur kaum einer den Roman, den J. M. Barrie um die Wende des letzten Jahrhunderts verfasste, wenige Jahre, bevor sein Theaterstück "Peter Pan" ein Erfolg wurde. Barrie ist darin ein Hemmungsloser, der der Macht der Fantasie jeden Raum einräumt - ganz bewusst gegen die Zurichtungen des Erzählens, das kurz vor ihm die Moderne installiert hatte. Barrie traut sich, das Unmögliche zu wagen, indem er es fabuliert. Wie der knapp 30 Jahre ältere Lewis Carroll und seine "Alice im Wunderland" wagt er den Schritt in die Möglichkeit des Träumens.

Rolf Becker bringt dieses fantastische Erzählen gestenreich auf die Bühne. Ist schon seine Stimme Märchenonkel genug, Hans Paetsch in nichts nachzustehen, weiß er doch, das Fantastische ganz real zu inszenieren. Wenn die Elfen tanzen, tanzen auch Beckers Hände. Wenn "Captain W.", Barries alter ego, beim Kaffee und Kirschlikör Trinken und einer guten Zigarre aus den Fenstern des Clubs in der Londoner Pall Mall dem Liebespaar aus Marry A. und dem erfolglosen, aber inspirierten Maler William zuschaut, wie sie sich Liebesbriefe in die Kästen des Postamts werfen, ohne sich je, es sei denn in Schrift zu begegnen, dann brennt die Luft, werden Romeo und Julia blass vor Beckers und Barries detail-verliebter Liebesimagination. Ein Handkuss, flüchtige Geste, träumend der Realität geraubt, wird zum Bekenntnis unmöglicher Liebe. Unmöglich? Im Tagtraumraum, den Becker und Barrie aufspannen, ist er die wort- und sinnenreiche Erfüllung.

--- snap! ---

Atemlos vor Märchen nachhause. Dort an den Mac, um den Bootleg herunterzuladen. Stoisch meine Miene als Prinz Zauberberg. Im Spiegel, quecksilbrig, verlebt lebendig. Die Kostüme des Traums - sind der Text.

Dienstag, 25. Mai 2010

Mo, 24.5.10 (Di, 25.5.10, 6:35): Melancholische Minimalmuster

Im Prinz Willy, Fritz-Kola, wartend auf den heute zu besprechenden Gig. Derweil endlich mal wieder lesen, Goetz: "Klage", S. 14, passt:

Vom Gemeinsamen beaufsichtigt: das eigene Handeln, man muss es nur tun, nicht auch noch selbst überwachen. Der Text will aber unüberwacht agieren, absolut autonom. Dabei bringt er einen Autismus der Lebensführung hervor, an dem er selber erstickt.

Bin noch ganz betäubt davon, wie dieser TEXT.über.TEXT auch die (noch anderswo ausführlicher endlich mal zu behandelnde) Problematik des di.gi.ariums auf den Punkt bringt, da geht plötzlich die Musik los.

Also sofort notizverhaftet:

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Minimalistische Melancholien

Mimes of Wine sangen im Prinz Willy am Rand der Apokalypse.

Kiel. "Apocalypse Sets In" heißt das vor genau einem Jahr beim Indie-Label Mindfinger Records erschienene Album von Mimes of Wine nicht von Ungefähr. Wenn die Sängerin und Pianistin Laura Loriga aus Bologna und ihr multiinstrumentaler Duo-Partner Amir Mogharabi aus Los Angeles im Prinz Willy daraus singen und spielen, bleibt vom pfingstlich ausgegossenen Heiligen Geist nur eine geisterhaft melancholische Spur.

Lauras metaphern- und bilderreiche englische, zuweilen auch französische Texte drehen sich um Abschiede, um Aufbrüche ohne in Aussicht stehende Ankunft, um tränenverregnete Sonntage und die dazu passenden Stimmungen, ums Suchen um des Nicht-Findens willen. Ein lyrisches Mantra, das in jedem Song ganz bewusst recht ähnlich klingt, weil es das immer gleiche Gefühl von existenzieller Verlorenheit in seinen potenziell unendlich zahllosen Schattierungen auslotet. Auch die Musik, Lauras Klavierbegleitung und Amirs Soundscapes auf Flöte, Akkordeon, Dulcimer sowie Glockenspiel und Klangschalen, hat so etwas minimalistisch Kreiselndes um ein melancholisches Gravitationszentrum.

Meist wenig aufschlussreich sind die "Klingt wie"- oder "Einflüsse"-Listen auf Myspace-Seiten, bei Mimes of Wine dagegen geben sie sehr gut die avantgardistische Richtung vor, listen sie doch neben Namen wie Meredith Monk, John Zorn oder Sonic Youth auch Eric Satie auf. Der Klavierexzentriker scheint mit an den Tasten zu sitzen, wenn ihnen Laura ihre quirlig grollenden bis klingelingischen Loops einbläut.

Zwischenzeitlich löst das beim Zuhörer auch eine gewisse Langeweile aus - allerdings die gute, in meditative Zustände versetzende Langeweile, dies leer Werden, um noch besser zuhören zu können. Wem das zugunsten einer gewissen Schläfrigkeit nicht gelingt, den weckt Lauras intensiver Sirenengesang, wenn er sich aus Murmeln, Raunen und Flüstern in hymnische Höhen schwingt. In eine Exaltiertheit, die trotz Lautstärke dennoch eine seltsam zurückhaltende Zartheit bewahrt. Als behalte das Dunkel, das ihre Texte durchwebt, auch im Strahlen noch seine Macht.

Und weiter gehen die "silly mirror games", die liebessehnsüchtige Erhitzungen auf Distanz der Bilder und Gefühlsprojektionen halten, brechen sich die Glanzlichter in apokalyptischen Lupen, die Laura auf das leise Leid hält. Um aus diesem Trott plötzlich und unvermutet in einen geschwinden Foxtrott zu gleiten, zu schön freilich für die Wahrheiten der Melancholie.

Nach 45 Minuten melancholischer Intensitäten, manchen Herzzerreißungen, die so klingen, als rieselte - mitten im Frühling - irgendwo ein Herbstblatt zu Boden, weil sich Herbst schon immer auf Herz reimte, bleibt man als staunender Zuhörer zurück in einer Stimmung, die etwas minimalistisch Reduziertes hat. Ein Zustand kurz vor Dämmer und Traum und doch erleuchtet "from your golden heart, from the ground".

--- snap! ---

Passt.

Wie dies, geknippst rechts von mir, der Mantrablick währenddessen auf die Tapete an der Säule in der Mitte des Prinz Willy.



Melancholie. Muster. Fritz-Kola gezischt, noch eine, als Trost.

So, 23.5.10 (Di, 25.5.10, 5:33): Frühlingslied

Sing, sing, Vögelein,
es ist Nacht,
und die Galle grünt schon schwarz
dem Nest entgegen.

Schlaf, schlaf, Vögelein,
es ist Tag,
und die Sonne scheint so kühl
an Maiens Himmeln.

Sag, sag, Vögelein:
Wer sang dir
dieses Lied vom Winterschrein
so fern dem Lenz?

Flüster, wisper, Vögelein,
jenem Dichter
sein eig'nes Siebenschläferlied
ins taube Ohr hinein.

ögyr liest's

Sonntag, 23. Mai 2010

Sa, 22.5.10 (So, 23.5.10, 1:39): Treppauf

Schon wieder blaue Stunde. Für meine Verhältnisse früh auf, weil die Raumpflegerin kommt. Bin aber noch gebläut vom Schlaf und kommunikationsarm. Geflohen daher, um die defekte Brille (Bügel ab) zum Optiker zu bringen. Dachte, der schraubt da was, dann ist sie wieder ganz, aber nein, muss eingeschickt werden. Jetzt also Wechsel zwischen Ersatzbrillen, eine für fern, eine für nah.

Fahrstuhl kommt nicht, daher zu Fuß treppauf, befürchtend, außer Atem zu kommen. Ist aber nicht, bin stoisch steigend und laufe, denkend in Bläue noch aus dem Traum, bis in den 4. Stock. Kurz orientierungslos. Aha, Abzweigung zum Laubengang verpasst.

Kohlrausch-Knick, Diskontinuitäten, nicht differenzierbare Treppenfunktionen des Denkens, Sehens, Empfindens. Ganz seltsame Stimmung den ganzen Tag.

Verscheucht mit den verzettelten Brotjobs. Dann los, vom Fotografenkollegen an der so genannten KAISERTREPPE am Hauptbahnhof in seinen Kraftwagen aufgenommen, zum Lutterbeker. Dort kühle Notizen zu emotional gemeinten Chansons, deren Texte mir aber zu leer erscheinen. Schlechte Reime. Alles zu einfach, zu durchschaubar.

Wieder wach, sozusagen, erst, als ich auf dem Rückweg weiter an das Nachtsichtgerätprojekt denke, als ich die Treppe aufwärts gehe, die vom KN-Gebäude zur "Hohe Str." führt, ein Ministräßlein, das ich über die Woche x-mal gehe. Jetzt, nachtdämmernd, ein heftiger Anflug von klaustrophobischem, aber als kreativ impulsiv empfundenem Fremdheitsgefühl in der vertrauten Umgebung. Halte mich - mit Beschluss, damit es symbolischer ist - am Geländer fest und sage fürs Protokoll: "Uff". Dann Foto.



Steigverwackelt, an der Empfindungsschwelle des Fotosensors. In Photoshop kontrastiert wird die Bildinformation sichtbar. Treppauf. Im selben Moment kommt Surr-SMS (daher die Verwackelung) von Lilly, dass sie jetzt in Schlummer sich legt. Plötzlich wieder vertraut mit Welt, die sich - Kohlrausch-Knick - wieder mit Farbe füllt, mit Lilly-Farben. Am Knick der Waisenhofstr. angekommen Blick auf die Ostseehalle, woraus noch erregte Zuschauer fluten. Gefühl von Vertrautheit plötzlich nach dem der Verfremdung eben. Vorbei am dunklen Fenster von "Gleis 7", dem Modelleisenbahnergeschäft mit den Faller-Häuschen im dunklen Fenstergähnen, heimwärts, ohne Fahrstuhl treppauf. Dort kein Licht gemacht, im Dunklen gesessen noch eine Weile, lauschend meinen mainachtsichtigen Augen.

Fr, 21.5.10 (So, 23.5.10, 0:58): Dialektik der Dämmerung

Weiter fasziniert von den leeren Bildern der Dämmerung, da wo sich die Pupillen maximal öffnen, wo das Farbsehen aufhört, Schichtwechsel auf der Netzhaut von den Zapfen zu den Stäbchen. Der Kohlrausch-Knick beim Übergang vom photopischen zum skotopischen Sehen. Soweit die Physiologie des Gesichtssinns - interessanter noch die damit verbundenen Gefühle, die auch so etwas wie einen Knick aufweisen. Oder eine Art Niemandsland zwischen Tag- und Nachtempfinden.

Das Phänomen Dämmerung als Durchschreiten eines Grenzstreifens. Versuch, diesen diskontinuierlichen Übergang festzuhalten. Fotografisch schwierig, weil die Fotos nie die Farbstimmung wiedergeben. Beispiel hier: Blick aus dem Fenster am Laubengang in westliche Richtung beim Warten auf den Fahrstuhl:



Aufgenommen beim Aufbruch in die Schaubude, um dort "The Magic Touch" zu besprechen, Reggae-Rocksteady-Combo aus Berlin/Leipzig.

--- snip! ---

Reggae auf Rock'n'Rollisch

The Magic Touch übersetzten in der Schaubude den Rock'n'Roll in Reggae.

Kiel. Die Herren aus Leipzig und Berlin tragen wie einst die Pilzköpfe geschniegelte Anzüge. Reggae im Nadelstreif kommt als Rock'n'Roll und orgel-bluesiger Rockabilly auf die Bühne der Schaubude. Und schon nach drei Songs ist das Publikum ein ungestüm tanzendes auf dem Dancefloor.

Rocksteady heißt der Vorläufer des Reggae, der nordamerikanische Altwelt-Funke, der Ende der 60er Jahre dem Reggae und dem Calypso-Feeling den letzten, entscheidenden Kick gab. So retro klingen The Magic Touch, wenn sie in der Schaubude einen frisch blutenden Finger auf eine alte Wunde legen. Selten hört man die Rock'n'Roll-Spuren so altertümlich deutlich im Reggae und Ska. Die magischen Berührer machen das schon im Opener klar: "Hang Em High" nimmt akkordischen Bezug auf das "House Of The Rising Sun" und damit auf einen Klassiker des R'n'B.

Wild fliegen Magic Jo's Finger über die Orgeltastaturen. Wenn Magic Alex an Lead-Vocals und -Gitarre sich ins transatlantisch-partnerschaftliche Zeug legt, ist der Keyboarder im gepflegten Hintergrund, es sei denn er lässt sich zwischenzeitlich zu irrwitzigen Soli hinreißen. In den rein instrumentalen Stücken ist er noch angenehmer ausufernd. Man mag kaum glauben, dass gebürtige Mitteleuropäer den Sound des Zuckerrohrs und seiner Ausgebeuteten so perfekt drauf haben. Immer wieder verwunderlich, wie sie die Karibik auf den europäischen Rock-Punkt bringen.

Beschwingt bis beschwippst agiert nicht nur Jo's Orgel. Auch Magic Sven bietet ein Schlagwerk, das haarscharf neben dem Offbeat und damit wieder "four to the floor" liegt. Ferner ist er der Mann für Back- und erdig-knarzende Lead-Vocals, die dem Rock die gleiche Ehre wie dem Reggae erweisen.

Kurz und bündig sind die Songs der Zauberer zwischen Rock und Reggae. In den Intros wird elegisch breit vorgelegt, um dann fix zur Sache zu kommen. Codas inszenieren die Anzugträger ebenso, wie sie sie meiden. Überraschend offene Schlüsse gehören zum Konzept. Überhaupt ist Reggae ja vielleicht eine unendliche Melodie, ein Lebensgefühl, das singende Höhepunkte hat, aber auch im Schweigen noch nachklingt. Stichwort: Verschleppung der Offbeats treffsicher auf die Eins. The Magic Touch erweisen sich als Magier des Beats, der gleichzeitig extrem ungerade und auf den Schlag genau rockend ist. Das macht ihren Reggae-Rock schwer tanzbar, regt aber doch an zu Bewegungsdrang.

Vielleicht ist dies das Geheimnis einer Musik, die zum Rock'n'Roll ebenso viele Brücken schlägt wie zum manchmal träge, dann wieder hochgeschwind zelebrierten Reggae. Es braucht nur ein paar solcher Songs, bis man sich fragt, ob die Beat-Musik genau so geklungen hätte, wenn sich Beatles und Stones mehr in Richtung Karibik als Indien orientiert hätten.

--- snap! ---

Auf dem Weg vorbei an dem Haus mit dem einzelnen erleuchteten Fenster gestern in dem "Blues"-Triptychon. Sieht jetzt grauer aus, weniger blau, was sich fotografisch nicht reproduziert.

Dann in der Schaubude am Tresen ROT gedämmert



bei einem zu bitter schmeckenden Gin-Tonic (Überlegung, ob auch der Geschmackssinn einen Dämmerungszustand kennt) und in Erwartung der Band. Der Zustand wartender Untätigkeit hat auch etwas von Dämmerung. Das beste Bandfoto ist das,



wo die Band noch nicht da ist. Gedanke an die stark empfundene Anwesenheit bei Abwesenheit. (Auch wegen Entzugserscheinungen von Lilly, Sehnsucht wäre dafür ein zu einfaches, ungenaues Wort. Versuche, diesen Zustand, der auch etwas mit Dämmerung zu tun hat, genauer zu beschreiben - hier mit der Dialektik der Dämmerung).

Do, 20.5.10 (So, 23.5.10, 0:11): Blues

Im Roten Salon Film über die Hamburger Band "Der Fall Böse", die auf einer Gewalttour durch Australien fast versickert wäre. Gähnende Leere. Ein Film über den Blues in einer Atmo, die den Blues hat, in der leeren Disko.

Mein Leuchtstift in blau.

Draußen Blaue Stunde, jetzt immer später. Und Lauluft. Wandere noch herum und mache Blues-Fotos. Fassaden der Stimmung und des Himmels.







Wiederentdeckt die seit langem immer mal wieder gehegte Idee, einen Film über Nacht zu machen. Unterbelichtung, Schemenhaftigkeit als Bildprinzip. Dazu Blues. Arbeitstitel: "Dunkelblau".

Donnerstag, 20. Mai 2010

Mi, 19.5.10 (Do, 20.5.10, 4:58): Vier Honigbienen mit einer Klappe

Ich tapferes Schreiberlein erst wieder viel zu spät aus den Daunen an die Feder. Dann aber agiler Schaffensrausch, bei dem selbstreflexiver Weise der Texte mal wieder alles mit allem hirten(buch)stäblich zusammenhängt.

Nachgetragen von gestern, doch erst heute fertig gemacht, leider viel zu wenig gute Stellen aus dem Interview mit Ines Lindner, Intendantin des Forums der Muthesius-Kunsthochschule, einbauen könnend, der Vorbericht über das Symposion "RestNaturen". Viel nachgedacht über den philosophisch-phänomenologisch-ideologiekritischen Hintergrund, davon aber nur wenig und auf Zweizeiler heruntergebrochen untergebracht. Die Zeilen füllen sich zu schnell mit dem Abraum des Nachrichtlichen. Dennoch ganz gut gelungen:

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Reanimation natürlicher Reste

Das Symposion des Forums der Muthesius-Kunsthochschule spürt den "RestNaturen" nach.

Kiel. Natur spielt in Kunst und Wissenschaft seit jeher eine große Rolle, zumeist jedoch im Gegensatz zur Kultur, dem vom Menschen geformten Raum. Doch ist ein solches Naturverständnis zeitgemäß? Sind die Landschaften, die wir als ursprüngliche Natur empfinden, zumindest im dicht besiedelten Europa nicht auch Produkte von Kultur und Geschichte, und kann man den Urwald zurück zwischen Beton und Asphalt bringen? Das Symposion des Forums der Muthesius-Kunsthochschule beschäftigt sich am kommenden Wochenende mit solchen Fragen der "RestNaturen".

Der erste Teil des Symposion-Titels habe schon "etwas Melancholisches", räumt Ines Lindner, Intendantin des Forums, ein. Jedoch seien die Reste von Natur in der Kulturlandschaft auch Ausgangspunkt, im Rekurs auf Bruno Latours "Politische Ökologie" den Naturbegriff zu hinterfragen und Natur nicht mehr als Gegensatz zum Sozialen zu denken, sondern "als Ergebnis von historischen Verläufen im Miteinander von Natur und Mensch". Der Soziologe Stephan Lorenz wird dies in seinem Eröffnungsvortrag "Rückkehr und Verschwinden der Natur" (Fr, 15.30 Uhr) entfalten. Lindner selbst hat in ihrem Vortrag (Sa, 10 Uhr) "Dystopische Landschaften" im Blick, etwa die ostdeutschen Braunkohlereviere, die man versucht zu "renaturieren", dabei aber wieder nur eine Kulturlandschaft, beziehungsweise deren Reste, durch eine andere ersetzt. Die reinstallierte Natur ist hier ebenso ein Kunstprodukt wie der vorherige zerstörerische Eingriff des Menschen.

Naturräume wie "der deutsche Wald" sind hochgradig symbolisch aufgeladen, insofern immer auch Kulturlandschaften. Das Symbolische früherer Nutzung bleibt auch bestehen, wenn sich die Natur "Peripherien, Lücken im Flächennutzungsplan" zurückerobert - etwa den ehemaligen innerdeutschen Grenzstreifen. In ihrem Vortrag "Vom Todesstreifen zur Lebenslinie" (Sa, 12 Uhr) berichten die Biologin Elke Körner und Helmut Maack vom BUND, wie ehemals getrennte Kulturen durch ein einzigartiges Biotop miteinander verbunden werden, ohne dass die lebendige Geschichte dieser Landschaft in Vergessenheit gerät. Mit Geschichte von Natur und Kultur setzt sich auch die Berliner Künstlerin Ulrike Mohr auseinander. Ihr Projekt "Restgrün" (Sa, 11 Uhr) zeigt, wie sich Natur, Gesellschaft und Geschichte im städtischen Raum gegenseitig durchdringen. Sie siedelte Bäume, die auf dem mittlerweile abgerissenen "Palast der Republik" wild gewachsen waren, in anderes städtisches Brachland um.

Um städtische Brachen, zeitweilig aus der Nutzung gefallene Flächen, kümmern sich auch Berliner "Guerilla-Gärtner". Die Gartenbauwissenschaftlerin Julia Jahnke stellt dieses “politische Gärtnern" vor (Fr, 16.30 Uhr) - "konstruktiver ziviler Ungehorsam, pragmatische Einmischung in Gestaltung öffentlicher Räume, kreativ und subversiv". Ines Lindner sieht darin auch "das Widerständige" von Natur im Verhältnis zum Gesellschaftlichen - als eine Art "Gegenkultur". Die Kunst- und Kulturhistorikerin Susanne Hauser setzt diesen Gedanken in ihrem Vortrag über "Die Ästhetisierung der Brache" (Sa, 15 Uhr) fort, indem sie aufzeigt, wie sich Künstler solcher Natur, die sich an den städtischen Raum evolutionär angepasst hat, gestalterisch annehmen.

Neben solchen praktischen Zugängen zu den "RestNaturen" reflektiert das Symposion auch den theoretischen Diskurs darüber. Barbara Nemitz von der Bauhaus-Universität Weimar beleuchtet "Das vertraute Fremde, das fremde Vertraute", das Künstler am Vegetativen reizt wie bestürzt (Fr, 18 Uhr). Der Künstler Miron Schmückle zeigt, wie Walton Ford mit seinem "Bestiarium" Natur zum Kunstprodukt medialisierte (So, 10 Uhr). Abschließend (So, 11 Uhr) provoziert der Muthesius-Ästhetik-Professor Norbert Schmitz mit seinem Vortrag über den "Zoo als wahres, weil ästhetisches Bild der Natur".

Freitag, 28.5., 15 Uhr bis Sonntag, 30.5., 10 Uhr, Kunsthalle zu Kiel. Detailliertes Programm unter www.muthesius-kunsthochschule.de.

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Das fast fertig, Aufbruch zum Literaturhaus, um von dortiger LeseLounge zu berichten. Auf dem Rückweg durch den Pastor-Husfeldt-Park (Erinnerungen an die "dark" Jeanette S.) dieses Bild von Natur (links) und Kultur (rechts) geknippst - Honigernte Nr. 2 in einer lauen Mainacht:



Vorher im Literaturhaus, vor der Lesung, gleich noch zwei Takes fürs Literaturtelefon "geschossen", auf's iPhone, mein mobiles Multimedia-Büro, aufgenommen. Honigernte Nr. 3. Dann die Lesung für KN wie folgt verhonigwabt. Wobei sich seltsame Interferenzen zum obigen Text ergaben: Die Figur ist die Natur der Erzählkultur, genauer: sie entzieht sich, kulturell inszeniert, dem Gärtnern des Erzählens, was wiederum den Akt des Erzählens "natürlich" erscheinen lässt, Wildwuchs, surreale, Max-Ernst-haft-wilde Bildanlage - so Gedanken, die hier nur zwischenzeilig sich eindenken (vielleicht zu viel Schein auf dieses Sein projiziert):

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Vexierspiele zwischen Sein und Schein

Ulrike Almut Sandig und Michael Weins stellten ihre surrealen Texte bei der LeseLounge im Literaturhaus vor.

Kiel. "Das ist die Geschichte von jemandem, den es nie gegeben hat, von mir." So beginnt Ulrike Almut Sandigs Erzählung "Über mich" aus ihrem im Februar im Schöffling Verlag erschienenen Prosa-Debüt "Flamingos". Bei der LeseLounge im Literaturhaus entfaltet sie daraus ein surreales Vexierbild zwischen Sein und Schein und in einander verschränkter Erzählebenen.

Erzählt wird ein Leben rückwärts, von der Gegenwart des hohen Alters zurück zu den frühkindlichsten Erinnerungen. Eine ganz gewöhnliche, millionenfache Biografie, eine Geschichte, die es nicht gibt, weil "sie so viele ist". Aber: "Wenn ein anderer diese Geschichte vorwärts erzählt, dann wird es sie geben ... schauen Sie haarscharf dran vorbei! Was Sie jetzt sehen, bin ich." Kann man seine eigene Geschichte erzählen, ohne sich zu verheddern im Gestrüpp aus Dichtung und Wahrheit? Konstituiert der Akt des Erzählens nicht schon aus sich heraus eine eigene Wahrheit? Poetologische Fragen, die Sandig in ihren sprachlich mit Fein- und Tiefsinn gedrechselten Erzählungen ganz nebenbei antippt. Die Antworten sind die Erzählungen selbst. Denn ein Text "über mich" ist ein solcher, schon indem er es nur behauptet.

Sandig, die nach einem Studium von Indologie und Religionswissenschaft auch am Leipziger Literaturinstitut studierte, übersetzt ihre Lyrik aus den mit dem Leonce-und-Lena-Preis dekorierten Bänden "Zunder" und "Streumen" hier spannend in eine Prosa, die trotz ihrer Vielschichtigkeit etwas Leichtes, Lakonisches hat. Ihr Erzählen folgt dem Grundsatz der Novelle, indem "eine unerhörte Begebenheit" berichtet wird, und ist zugleich das Unerhörte im - nur scheinbar - Gewöhnlichen.

Auch Michael Weins schlägt in seinem nach "Goldener Reiter" (2002) zweiten Roman "Delfinarium", der 2009 im Hamburger Mairisch Verlag erschien, den Funken der erzählerischen Bewegung aus ungeklärten Identitäten. Da ist Martin, der eigentlich Daniel und mit Nachnamen Martin heißt, sich aber nicht traut, diese Namensverwechslung aufzuklären. Gleich im 1. Kapitel die Frage, ob man ein anderer ist, wenn man gerufen wird, wie man nicht heißt. Und wer ist eigentlich die geheimnisvolle Susann, die ihre Sprache und damit ihr Gedächtnis, wer sie sei, verloren hat? Sie soll er als Ersatz-Zivi pflegen, mit ihr in den Zoo gehen, ins therapeutische Delfinarium. Und ist von ihr so fasziniert wie als Kind von den Giraffen, "den Tieren wie aus einem surrealen Film".

Nicht minder seltsam sind die sich der Erkenntnis durch den Leser wie der Selbsterkenntnis immer wieder entziehenden Figuren in seinem Roman zwischen Psycho-Krimi, Liebesgeschichte und verrücktem Road-Movie. Der spielt im Alten Land bei Hamburg, einer zwischen Natur- und Kulturlandschaft verschrobenen Gegend. Heimat, Ankerpunkt für Sein statt nur Schein? Vielleicht - aber: "Nichts ist vertrauenswürdig. Du kannst dich auf nichts verlassen, also fang' gleich damit an!"

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Hier der vierte Stich gegen die Klappe der Honigbienen. Rauschend und berauscht nun selbst in die Wabe Bettklappe, nachdem vorhin noch das fleißige (fünfte) Bienchen Lilly mir allerlei betörende und nachdenkliche Bilder, Sätze, Haikus und Aphorismen in den Denk-dran-Download-Ordner diktierte.

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