Montag, 8. März 2010

So, 7.3.10 (Mo, 8.3.10, 4:01): "der kampf geht weiter!"

einze[i/l]lig, aber nicht
einsilbig:
was bleibt, ist
unbeirrt.

(epitaph für rudi dutschke zum 70.)

Sonntag, 7. März 2010

Sa, 6.3.10 (So, 7.3.10, 5:50): Beats und Bratwurst

Wiederum verspätet die Zeit und ihren schneienden (und scheidenden), dann wieder schmelzenden Verlauf wenn nicht einholend, dann überholend, bin ich mit Foto-Kollege Bevis in der Nacht der Clubs zum Start des Kultur-Rauschs unterwegs.

In der Endstation Halle400 rege ich mich darüber auf, dass immer noch und immer wieder der Mainstream den House verstümmelt. Liegt daran, dass ich derlei in der metamorphen Form Goa in den frühen 90ern komplett verdrogt erlebte und (nach)ersann. Jetzt aber bin ich zu nüchtern, als in den Party-Girlies nicht bloß von ihnen selbst inszenierte Sexabziehbilder zu sehen. Eigentlich ja gut, dass ich mich nicht umgarnen lasse, zumal das Lilly "live und in Farbe" besser kann, besser, weil geistiger, also körperseelisch vermittelter. Kurzum: poetischer. Die dummstrohpüppienden Chicks nerven einfach mit ihren Handys. Kommt das hier rüber, in dieser Textbratwurst?

--- snip! ---

Bühnen, Beats und eine Bratwurst

Auf Tour durch die Nacht der Clubs zum Auftakt des Kultur-Rauschs.

Kiel - Wie vielfältig die Kieler Club-Landschaft ist, will der Kultur-Rausch alljährlich zeigen, und demonstriert all die Kontraste und Gemeinsamkeiten "guter Nachbarschaft", unter welchem Motto seine zwölfte Ausgabe einen Monat lang steht, gleich zu Beginn in der Nacht der Clubs.

Geradezu ein Sinnbild für kontrastreich gute Nachbarschaft erleben wir am Ende unserer Tour an und in der Halle400. Innen ist auch um Mitternacht die Tanzfläche mehr von psychedelischen Lichtspielen der Latenite Extravaganza House als von Tanzbeinen erfüllt. DJ Francesco Diaz aus dem Hamburger Upper East wirkt mit seinen poppig weichgespülten House-Beats noch recht extravagant, um nicht zu sagen deplatziert. Überhaupt mag man über solche allzu mainstreamige Art des House streiten. Doch soeben hat der Shuttle-Bus eine neue Ladung zumindest der Kostümierung nach tanzwütiger Party-Girlies angekarrt, die den Anfang machen, obwohl manches noch mehr mit dem Handy als den Highheels herumwirbelt. Es wird noch telefoniert und gesimst, ob in der Bergstraße "eventuell mehr geht". Draußen erwärmt man sich derweil an einer zünftigen Bratwurst vom Schwenkgrill, ein würzigerer Geschmackskontrast mit einem Hauch von Kieler-Woche-Rau(s)ch.

Weder von Kultur, noch von Rausch ist hier also viel zu spüren, wobei wir mal zugute halten wollen, dass es dem Kultur-Rausch auch um die Erweiterung des Kulturbegriffs geht. Insofern: Biedere Lightshow-Extravaganz und Würstchen, das passt schon. Es geht aber auch anders. Wie im KulturForum und benachbartem STATT-Café, die schon um 20 Uhr rappelvoll sind und wo sich A cappella-Grooves und solche der funkig-jazzigen Art die Bühnenklinke in die Hand geben. Das Funk Kombinat Kiel mixt den gehaltvollen Aperitif und lässt hören, wo im Jazz der Hammer hängt, genauer: die Hammondorgel, und der gitarreske Funke mit einem Schuss Santana aus dem soliden Amboss von Perkussion und Bass geschlagen wird. Derlei Grooves kann man auch nur mit dem Mund machen. Die fünf Jungs von High Five beweisen es vor übervollem Haus im KulturForum. A cappella-Gesang, der viel mit Mundschlagzeug und satten Beats arbeitet - und mit gewitzten Texten etwa über die Eigensinnigkeiten von Frauen im Kaufrausch. "Wie Pech und Schwefel" vereinigen sich die fünf kontrastierenden Stimmen zu einem auch kabarettistisch hochexplosiven Gemisch, das ebenso die gute Nachbarschaft der Close Harmony perfekt beherrscht.

Um die Grooves der Stimme(n) geht es auch im Blauen Engel. Joy Smith beweist dort, dass selbst eine jugendliche Stimme schon wie die einer weisen Soul-Lady klingen kann. Von Joys angekündigter Heiserkeit ist dabei kaum etwas zu spüren, es sei denn, man interpretierte sie treffend um in einen Soul-Sound, der gecoverten Songs wie Alicia Keys' "If I Got You" das Feuerwasser reichen kann. Begleitet unter anderem von ihrem Vater Mark Smith an Keyboard und einer funkigen Gitarre probiert sich Joy längst nicht mehr nur aus. Ebenso elegant wie versiert schnurrt sie durch die Register ihrer ungewöhnlich vielschichtigen Stimme zwischen engelhaften Höhen und "schwarzen" Tiefen.

Joy Smith hat den Soul und R'n'B mit Löffeln gefressen, die Band The Beat Goes On den rock'n'rollenden "Sound der Sixties". Die sechs älteren Herren geben davon in der Hansa48 so manche gereifte und gut abgehangene Kostprobe auf der "Route 66" in alte Zeiten, die wieder ganz und gar modern sind, weil sie nie alterten und altern werden. Manches bleibt einfach immer jung, wovon man sich auch im Luna überzeugen kann. Dort erweist sich das Hamburger Quartett Herrenmagazin als gelehriger Schüler der Hamburger Schule, die in den frühen 90ern den deutschsprachigen Rock neu definierte. Die Band in klassischer Besetzung, zwei Gitarren, Bass und Schlagzeug, hat "auf einer unsichtbaren Reise dasselbe Ziel": Nämlich Punk und Rock'n'Roll in kontrastierend gute Nachbarschaft zu bringen. Herrenmagazins Songs brauchen dabei selten mehr als zwei Minuten, um ihr Centerfold klar und bündig aufzuklappen. Feine Sache, das. Trotz Sound-Problemen nach fliegendem Wechsel eines defekten Gitarrenverstärkers.

Dass ein paar Schritte durch den erneuten Neuschnee weiter, in der Schaubude, die Band Supermutant Herrenmagazin als "unser Support" bezeichnet, ist wohl etwas hoch gegriffen. Dennoch weht durch Supermutants angepunkte Songs ein den Hamburgern nachbarschaftlich verwandter Geist: Plötzliche Rhythmus- und Stimmungswechsel, Punk allenfalls als Haltung und Folie, auf deren rutschiger Oberfläche man den deutschen Rock wieder und wiedermal neu erfinden kann. Weiter so, freut man sich - und möchte weiter so ins Weltruf, wo Captain Capa "elektronische Tanzmusik für alle bieten, die sich lieber was mit Gitarren angehört hätten". Das klingt schon dem Vernehmen nach interessant. Allerdings schlägt hier der Terminplaner kontrastreich ins Kontor. Um 21.30 Uhr, als wir das erste mal pünktlich zum angekündigten Termin im Weltruf auftauchten, spielten sie "noch lange nicht", um 23.30 Uhr sind sie leider schon "längst durch". Egal, es gibt ja noch Myspace, wo man dem Duo nachträglich lauschen kann.

Indes zeigt dieses Verpassen eine kleine Schwäche der Nacht der Clubs: Wer in nur einer Nacht durch möglichst viele der Kieler Clubkulturen rauschen möchte, ist darauf angewiesen, dass die angegebenen Anfangszeiten einigermaßen stimmen. Wenn man aber in der Piola-Bar, wo es laut Programm ab 20 Uhr schon karibisch zugehen soll, auch um 22 Uhr noch vom Türsteher auf später vertröstet wird, muss sich ein solcher Club nicht wundern, wenn er gähnend leer bleibt. Es sei denn, man könnte statt Karibik noch 'ne kontrastierende Kulturbratwurst ziehen wie vor der Halle400.

--- snap! ---

Was soll (und will) uns dazu die Bratwurst sagen? Phallussymbol, in das ich mich gerne (ab)gebissen sähe?

In der kurzen Pause vor dem Luna, wo Bevis eine Pizza-Ecke verhaftet, stehe ich (verraucht-berauscht) an der Ecke, und seine Kamera verzeichnet ein ziemlich treffendes ögyr-Bild: Intellektuell genervter Gesichtsausdruck. Zigarette natürlich. Sartre! Nietzsche? Adorno!



Wie war das nochmal gestern mit der zutiefst modernen Romantik?

Dieser Bart in meinem Gesicht! Wa(s)chbärig. Aber auch landstreichend im Wortgetüm.

Und die Wurst liegt mit ihren nur zwei Enden schwer im Gedärm. Nachts im sterilen Loft ohne nostalgisches Orangen-Uhrwerk trinke ich das konsequent weg (was auch das Ohrrauschen verstummen lässt) und habe dazu auf dem rechten Mac-Schirm das Continuo der "Haifischbar-Nacht" im NDR - all die schlagerromantische Seefahrtsromantik. Zum Weinen, also Nein-Schreien.

Im Regal schlummert noch unzusammengeklebt das Revell-Modell 1:1200 der Titanic. Genau! Wir wollen aufgehen im Untergehen. Iceberg ahead!

Fr, 5.3.10 (So, 7.3.10, 4:40): Uhrwerk-Orange

Infolge Schlafkrankheit (und von Erkältungssekret gluckerndem rechtem Innenohr) wieder mal mehr als einen ganzen Tag im Verzug im di.gi.arium und auch sonst.

Indes, die Nacht zum Arbeitstage aufheben (oder absenken) (und den darauf folgenden Tag zu übernächtigen), das konnten schon die Romantiker: Für KN beim chiffren-Konzert des NDR-Chors und Elbtonalpercussion mit Hommagen an Schumann und Mahler. Nah diesen Stimmungen, die sich da verraten, sagen wir ruhig mal wieder: kassibern. Top Secrets aus verhärmten und selbstverschütteten Seelenprotokollen (gerührt und nicht verschüttet).

Ich schreibe wie folgt darüber (nur zur Illustration hier gepostet - und auch dazu, einen Diskurs über die Modernität der Romantik einzuleiten):

--- snip! ---

Wiederentdeckte Romantik

NDR-Chor und Elbtonalpercussion beim chiffren-Konzert in der Halle400

Kiel - Die Romantik war der Moderne und damit auch der Neuen Musik lange Zeit suspekt: Zu schwärmerisch schienen den Neumusikanten, die sich unter anderem mit streng seriellen Kompositionstechniken beschäftigten, die weltschmerzenden Waldeinsamkeiten Schumanns oder auch des Spätromantikers Mahler. Dass letztere beiden in diesem Jahr einen runden Geburtstag feiern (Schumanns 200. und Mahlers 150.), nahmen der NDR-Chor unter Leitung vom Philipp Ahmann und die Schlagwerker von Elbtonalpercussion zum Anlass, im Chorschaffen der Jubiliare und jener zeitgenössischen Komponisten, die sich mit diesem intensiv auseinandersetzten, zu forschen.

Unter dem Motto "Urlicht" förderten sie dabei in der Halle400 erstaunliche Nähen zwischen der "aus der Welt gefallenen" Romantik und der Moderne zu Tage. Schumanns "Romanzen für Frauenstimmen und Klavier op. 69" vertonen zwar Gedichte unter anderem von Joseph von Eichendorff, traten aber nie aus dem Schatten der Vertonungen von Mendelssohn und Brahms. Gustav Mahler gar schrieb keine genuine Chormusik, sieht man mal von der Verwendung der Gesangsstimmen aus "Des Knaben Wunderhorn" in der 2. Sinfonie oder seinen "Liedern eines fahrenden Gesellen" ab. Letztere Kompositionen sind jedoch unbedingt chorisch gedacht, wie Clytus Gottwald in seinen Bearbeitungen für Chor a cappella von 2001 und 2009 beweist. Die Instrumentalstimmen verwebt Gottwald als die Texte vielfach brechende, raunende bis den Schmerz harmonisch zuspitzende Chorstimmen mit der eigentlichen Gesangsstimme zu einem klangflächigen Geflecht, das wie aus verborgenen Schichten des Bewusstseins und der Originalkompositionen herüberschallt.

Der NDR-Chor bedient sich dabei einer eher schlichten Gesangstechnik, die romantische Schweller und Rubati meidet, das Gefühl des "Ich bin der Welt abhanden gekommen", das Mahler wie Schumann umtrieb, aber gerade dadurch umso eindringlicher evoziert. Eine Seelenerforschung, die die Romantik als ausgesprochen modern ausweist. Wilhelm Killmayer schließt daran an, indem er in der Chorliedersammlung "... was dem Herzen kaum bewusst ..." (1995) Eichendorffs Texte noch einmal vertont, in einem Idiom, das wiederum das "Romantische" modernen Chorsatzes zeigt. Buchstäblich im Geiste Schumanns ist auch sein Stück "Schumann in Endenich" für Klavier, E-Orgel und Schlagzeug komponiert. Düster gräbt es in den Seelenqualen, die Schumann nicht nur im psychiatrischen Krankenhaus, sondern vor allem in seinen Innenwelten erlitt.

Dass Schumann das "romantische Gefühl" auch dramatisch dachte, zeigen "Mitternachtsstücke" aus seinem Tagebuch, Entwürfe zu Melodramen, die Mauricio Kagel für Chor- und Sprechstimmen und Instrumente vertonte. Sicher das "neutönendste" Stück des Abends, gleichwohl so nah an Schumanns Sinn und Sinnlichkeit, dass auch in ihm eine moderne Romantik aufscheint.

--- snap! ---

... und träume danach kongruent dieses:

In einem wuchernden Loft, in dem innovative Medienschaffende (Künstler halt ...) nicht nur völlig neuartige Produkte kreieren, sondern auch darauf pochen, dass Kreativität nur in völlig neuen Büroatmosphären und -surrounds gezüchtet werden könne. Etwa in dem Loft, wo sie die Wände bewalden mit schlingpflanzenartigen Orangen-Gewächsen. Die bringen keine prallen Früchte hervor, sondern nur Mini-Orangen, die es allerdings nicht nur aromatisch in sich haben. In jeder Frucht von Cocktail-Kirschen-Größe entfaltet sich immer noch eine Frucht. Bis zu fünf Litern Saftkonzentrat könne man aus jeder dieser orangenen Perlen gewinnen, versprechen die Künstler. In der Tat: Beißt man auf eine, explodiert eine Saftflut im Mund, bis man erbricht.

Lilly, der ich den Traum berichte, meint, derlei sei wohl sexuell zu deuten. Ich meine eher, es sei das Kern/Konfusionsprinzip der Poesie: In einem Wort steckt schon das ganze Gedicht, wenn nicht Epos.

Egal. Die Loft-Bewohner stellen noch mehr Erstaunliches aus: In weit gespreizten Beeten, beleuchtet von LEDs, züchten sie bio-digital-dynamische Disketten. Ich frage: "Wer braucht heute noch Disketten?" Sie kontern: "Wer brauchte zu Zeiten des Buchdrucks noch Papyrus?" Disketten seien eine Speicherform, die ihren Charme durch ihr Historisches, ihre Abgelebtheit, ihr Verschwundensein entwickelte. Nun gibt's also auch die Bio-Variante.

Wirkt ein bisschen wie aus Cronenbergs "Naked Lunch"-Verfilmung, wo Schreibmaschinen zu Käfern mit Mösen metamorphen. Allein, wenden die Züchter ein, auf eine Diskette passe ein halbes meiner di.gi.arien, wenn man nur das ASCII-sierte Wort nimmt. Und das war schließlich am Anfang dieses seltsamen neuerlichen Endes der EDV. Ich beiße in eine dieser Uhrwerk-Orangen und speichere diesen, genau diesen hier Sub(t)raumtext auf einer dieser bio-gedenkenden Disketten aus sündig-saftigem FLEISCH.

Freitag, 5. März 2010

Do, 4.3.10 (Do, 4.3.10, 23:50): singend gesunken

Das Thema von gestern variiert, ausgebaut im Krebsgang zum Sonett. Dazu Film aus altem Super-8-Material, das ich 1988 aufnahm. Und nochmal "Wie Wolken um die Zeiten legt", das Versfragment aus Hölderlins trunken entworteter Zeit im Tübinger Turm. Natürlich auch eine Reminiszenz an Klavki. Vertont mit einem Ausschnitt aus Gerald Eckerts "Wie Wolken um die Zeiten legt".

Die Stimmung der Saiten der Lyra heute: Lilly. Wie immer ein Vermissen. Und ein Himmelchen in Sky-pe.

--- snip! ---

singend gesunken

"wie wolken um die zeiten legt" (friedrich hölderlin)

wie wasser sich ums wort gelegt, in eis
umschlossen über lang vergang'ne zeiten
als sehnenderes kyrie eleis,
bevor es singend sank ins sich verschweigen.

die teiche schließen sich noch fest um nachen.
des hades fährmann braucht 'nen packeisbrecher.
ich rufe ihn mit meines ruders sprachen,
und freud weist ihm den weg in den versprecher.

wir streiche(l)n ihm die wortverspielten zeilen
aus seinem fahrplan des zu früh versinkens
und handeln aus verspätung, ein verweilen.

die wolken legten zeit um uns're gläser,
in denen wir des totenschiffers winken
missachteten als trunk'ne wortverweser.

Donnerstag, 4. März 2010

Mi, 3.3.10 (Do, 4.3.10, 20:35): sinkend gesungen

Trinke Fritz-Cola im Prinz Willy, die, wenn man sie mit dem Strohhalm aufsaugt, koffeinisch voll reinzimmert ins Oberstübchen.

Warten auf Singer-Songwriterin Stefanie Hempel, die von Nachtzügen singt und dem eigentümlichen Gefühl zwischen willkommenem Abschied und sehnsüchtigem Heimweh darin. Und am Rande berichtet, dass viele Nachtzuglinien mangels Frequentierung längst eingestellt sind, somit ein poetischer Ort verschwindet.

D'accord und auf der Nachtradlinie zurück nachhaus nachkoffeinisiert matt ermüdet wie folgt sinkend gesungen:

--- snip! ---

und sinke in die kissen,
in denen noch träume singen,
um neuen gesang
darin zu versenken.

keine tränenmeere mehr,
eher die stillen teiche,
wo traute, traurige nachen
heimllich im schilf verschwinden.

das haben die dommeln gesungen
im rohr, die alten songs
vom winken, von nacht
und dem mond überm see,

der silbern singt, denn
die weiden sind aus gold,
wenn sie in seinem schein
versunken schweigen.

so sank der tag in die nacht,
die vom tag sang
die schütteren lieder
unterm gesenkten haupt der himmel.

Mittwoch, 3. März 2010

Di, 2.3.10 (Mi, 3.3.10, 5:31): Traurige Clowns

Erster Tag seit Wochen ohne Lilly. Die verwaisten Räume, das wieder allein Sein. Reminiszenz an vor einem halben Jahr.

Ich räume auf, gehe den Jobs nach. Für KN abends bei Mike Krüger im Kieler Schloss. Traurige Veranstaltung. Traurig, weil ich es in all dem Spaß Machen bleibe. Hernach differenzierte Kritik, kein Verriss, sondern sich nippelnd eingemeindend:

--- snip! ---

Der Nippel passt noch durch die Lasche

Mike Krüger witzelte im Kieler Schloss zwischen Kunst und Abfall.

Kiel - Noch hat niemand eine Verpackung erfunden, die stabil ist und sich dennoch leicht öffnen lässt. Insofern ist Mike Krügers Evergreen "Sie müssen nur den Nippel durch die Lasche zieh'n" so aktuell wie vor 30 Jahren und wird nicht minder nostalgisch ausgelassen mitgesungen. Aber selbst wenn dem nicht so wäre, würde Krüger im Kieler Schloss nicht davor zurückschrecken, die alte Nummer nochmal zu bringen. "Is' das Kunst oder kann das weg?" titelt sein neues Programm, das leidlich neue Nippel durch uralte Laschen zieht.

Um die Antwort auf die Frage im Titel gleich vorwegzunehmen: Ist keine Kunst, kann weg! Gleichwohl ist solche Langlebigkeit einer angejahr(zehn)ten Komikermasche und dass darüber immer noch herzlich gelacht wird, bis die Schenkel glühen, auf die man sich ob Krügers Gag-Staccato schlägt, bewundernswert. Offenbar gibt es unvergängliche Witzstrukturen, die nur geringer Aktualisierung bedürfen, um immer noch zu zünden wie ein China-Böller am Silvesterabend. Dass Frauen weder ordentlich Auto fahren, noch dasselbe einparken können, ist längst von der Wirklichkeit widerlegt. Aber als Topos für derbe Scherze taugt es nach wie vor. "Wenn der Mann getrunken hat, bitte nicht ans Steuer setzen. Da kann wirklich mal die Frau fahren", flachst Krüger, nimmt sich die geschickt inszenierte Pointenpause und schiebt den Lacher-Turbo nach: "Außer sie ist Bischöfin." Das ist zwar unter der Gürtellinie des guten Geschmacks, aber letzterer ist ohnehin nicht Krügers Kunst, kann also weg. Ebenso weite Witzfelder bieten ihm Alkohol und seine Nebenwirkungen (in der Hit-Persiflage "Ein Korn, der deinen Namen trägt") sowie das alternde Ehebett. Das Wasserbett, das sein witzelndes Ich angeschafft hat, um das Eheleben in neuen Fluss zu bringen, nennt die Gattin trefflich "Totes Meer". Ah, das macht lange Lacher auf kleinstem Witzraum.

Das ist womöglich doch Kunst, die nicht weg kann, wenn Krüger seine Mini-Sottisen aus den noch nicht ausgepackten Umzugskartons zieht. Kennen Sie den, den kürzesten Arztwitz? "Kommt ein Zyklop zum Auge-Arzt ..." Na, der braucht ein bisschen, ist fast schon zu wortverspielt für sein Publikum, das mit ihm in die Jahre gekommen ist. Oder der hier: "Was ist süß und schwingt sich von Ast zu Ast? - Tarzipan!" Kein Kalauer ist Krüger zu platt, als dass er ihm nicht mit sicherem Gespür auflauern würde. Zumal sich in manchem - nicht nur behauptet - aphoristische Dimensionen auftun: "Was haben Schmetterlinge im Bauch, wenn sie verliebt sind?" Und was ist in all den auf der Bühne gestapelten Kartons, die übrig geblieben sind vom Umzug vom provinziellen Quickborn ins mondäne Hansestädtchen Hamburg? Die "Pampers-Bestellung für Oliver Pochers neues Baby?" Auf jeden Fall eine Steilvorlage für den nächsten Gag von "Wunderkind" Mike, den seine Mutti einst warnte: "Du musst öfter deine Windeln wechseln, sonst wirst du am Po noch wunder, Kind!"

So windelweich stammtischfeuerwerkend geht es vergnüglich durch den Abend, unterbrochen von den knittelversenden Liedern des Barden Mike, die weg können, sind keine Kunst, auch wenn sie den Nippel zuweilen blues-verschmitzt durch die Comedy-Lasche ziehen.

--- snap! ---

Lange gearbeitet an diesem Porträt eines traurigen Clowns.

Weiter in der Nacht mit Lilly telefoniert. Unser Säuseln, die zarten Andeutungen und schwingenden Po.esie-Schläge. Letztes Gute-Nacht-Telefonat.

Danach noch KN-Vorbericht über die Nacht der Clubs im anstehenden Kulturrausch. Textfragmente im Kreisverkehr, Materialversammlung, nicht viel, aber mehr.

Langer Tag, leer, voll durch die Telefonate mit Lilly entlang ihrer Route, dem "long way home". Ex Home. Das Schüchterne des Schürzen Hebens. Traurig schminken sich die Clowns ihre Lippen kussrot.

Dienstag, 2. März 2010

Mo, 1.3.10 (Di, 2.3.10, 5:33): Seidiger Restschnee

Den ganzen Tag eine seidige Müdigkeit oder auch Einverstandenheit, Harmonie mit den "Verhältnissen". Und der letzte Tag vor Lillys Abreise zurück nach G.

Fast sieben Wochen haben wir alles geteilt, junge Liebe, aber erst heute, letztmöglich, der lange Spaziergang durch den noch wintergrauen Tag, der gleichwohl schon so etwas wie Frühlingserwachen ahnen lässt. Sie will ans Wasser, das innerstädtisch noch durch Hafenanlagen abgesperrt ist, dann aber an der Kiellinie Kontakt. Am Seehundbecken ein einsamer Seehund, der seine stoischen Runden zieht. Eisgrau alles, noch fehlend das Grün. Die ganze Meile bis zum Landtag, dann abgebogen in den südlichen Ausläufer des Düsternbrooker Gehölzes, wo der Schnee noch dicht sich schmiegt an die Wege. Treppenaufstieg ins Licht. Eine Lichtung, in der hoch oben der Wind rauscht. Stehen bleiben, atmen, küssen. Und weiter übers schneebedeckte Feld der Krusenkoppel. Auf dem Gipfel himmelsnah armgebreitet.



Abstieg entlang der Freilichtbühne, wo ich in der Kieler Woche immer "gewaltig leise", den Konzerten des Kulturamts, lausche. Davon berichten, der rasende Reporter, jetzt schleichender Reiseführer. Zurück vorbei am "Louf", Klavkis Schreibdomizil die Sommer davor. Und im letzten Spätsommer 08, als wir in Strandkörben lungernd die Espressi im Dutzend bestellten, redend über Literatur. Wehmütig schaue ich auf die noch bedeckten Körbe, das dürre Oliv der Planen, und denke an die Pläne von damals. Und dass Lilly da schon - irgendwie - da war, weil sie jetzt da ist. Licht ist Arbeit.

Ein Outdoor-Gefühl, das sich in Heimatliches verwandelt (aus dem Offenen an den Ofen), als wir der Stadt wieder näher kommen, während ich ihr berichte, wie es sich gestaltet, wenn schüchterne Männer an feengleichen Frauen "schrauben". Manchmal jahrelang. Löste sich ihre "Mutter" zu rasch unter meinen Schraubschlüsseln? Wäre mehr Sehnsucht glücklicher gewesen? Seltsam, wie ich mich bei dieser, ihrer Frage nach ihr sehne. Wie ich sehne, obwohl das Sehnen mit ihr erlöst ist - oder gerade deshalb? Ist Sehnsucht noch süchtiger, wenn man sich an sie erinnert?

Wieder im Buchladen, in dem ich etwas von Wohnzimmer oder Bibliothek empfinde. Erschöpft auf dem Kundenpolster sitzen und entzückt zuschauen, wie Lilly Bücher findet, sie mit Zärtlichkeit anfasst. Ihr Lächeln dabei. Ich schenke ihr Thommie Bayers "Singvogel", als sie entdeckt, dass das unsere Geschichte erzählt: älterer Mann, in Medien machend, wird von junger Frau, Studentin, angemailt, und es wird Liebe draus.

Wieder zuhause liest sie es in einem Rutsch. Und ich an unserem "Nostalgieabend" neben ihr im Bett lehnend Tim & Struppi Comics, "Die sieben Kristallkugeln", "Der Sonnentempel" und "Der Fall Bienlein". Den "Sonnentempel" hatte ich als Kind, weil es noch keine Kopierer gab, ausgeliehen aus einer Bücherei, mal abgezeichnet. Rührend finden wir das beide nachträglich. Über das Wasser der Förde, eisgrau, schaue ich gen Neumühlen-Dietrichsdorf, wo irgendwo auf dem Blocksberg (sic! die Straße heißt so) die Zweigstelle der Stadtbücherei steht, wo ich die Comic-Bände dada-mals immer wieder auslieh und von wo man auf das gegenüberliegende Fördeufer sch[a/e]uen konnte, durch die Regalgitter, wo ich jetzt stehe, an eisgrauen Frühstjahrsnachmittagen. Wie sich das alles fügt, verzahnt, fast tränen-tropfend, sinnlich sentimental.

Seidiger Tag, seidige Nacht. Restschneevongestern.

Montag, 1. März 2010

So, 28.2.10 (Mo, 1.3.10, 5:27): Jurassic Park

Sonntagsgräue, wäre da nicht das Lillylicht, das schon mittags mich wachstrahlt, und auch wenn ich mich in Arbeit verliere am Nachmittag und Abend. Der infomedia-Endspurt gestaltet sich mal wieder zäh, Ringen mit dem Datenwust, der nur halbwegs brauchbar angeliefert wird. Herumhocken auf Herrschaftswissen, zu mühsam, es weiterzugeben.

Dennoch gut gestimmt im stoischen Abarbeiten. Denkfaul die Handgriffe tun und sich befrieden. Man sitzt warm und trocken, verdient sein Geld als Tippse. Was kann daran verkehrt sein?

Und immer wieder das kleine große Glück der Ausflüge von den Tasten ins Lillyzimmer. Den letzten "Harry Potter" geguckt. Saga jetzt erstmal zuende. Das Universum, das sich da entfaltete, schon wieder geschlossen. Ein bisschen Trauer.

Lillys Daten von den Festplatten zusammensammeln, auch ihre KN-Artikel. Archivarbeit, die etwas enorm Beruhigendes hat, weil sie den Verlauf der Zeit dokumentiert. Deshalb auch das di.gi.arium: Zeit auf Festplatten festhalten, damit sie Spuren hinterlässt.

Melancholische Stimmung also im sich Regen, immer wieder von so filmerzählerischen Weltentwürfen aufgehellt. Und bei Lilly in ihrem Zimmer. Ein Häuschen, vor dessen Fenster es ruhig gleich schon wieder dunkel werden kann. Hier hat Welt keinen Zutritt. Wir aber Zutritt zur Welt, die sich aus Worten und deren Gebilden schafft. Bohème pur.

Draußen weiter Regen. In den Nachrichten heißt es, ein Sturm fege heran. Einer der ersten des Frühlings. Heimeliches Gefühl dabei unter der Decke in in jeder Hinsicht gut geheizten Zimmern.

Sonntag, 28. Februar 2010

Sa, 27.2.10 (So, 28.2.10, 5:06): Dekompostierungsmaschine

"Dichtung ist die Dekompostierungsmaschine der Sprache." Satz, der mir im Traum einfiel, bereits im Traum als Kommentar zum Traum. Mir träumte nämlich von einer Dekompostierungsmaschine, die aus Humus wieder die Pflanze zusammensetzt, aus der die Humuspartikel durch Kompostierung entstanden sind. Nach dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik ist eine solche Maschine nicht möglich, im Traum schon. Bevor die Dekompostierungsmaschine zum Einsatz kam, hatte die Entropie eines sozialen Systems, in dem ich mich befand, zugenommen, indem es zerbröselt war. Reißende Bindungen, Freunde, die sich nicht mehr verstehen, weil sie plötzlich unterschiedene Sprachen sprechen. Oder ein Haus, das explosiv eingestürzt war.

An einer handelsüblichen Kompostierungsmaschine fand ich jedoch einen Hebel, der sie reversibel arbeiten ließ. Man lud den Schotter auf ein Förderband, das sich in die Maschine fraß, und hinten kam wieder ein ganzes Haus raus. Oder aus Silbensplittern wurde eine ganze Geschichte, die hinten, am Ende der Dekompostierungsmaschine, als Film flimmerte, erst schwarz-weiß zuckend, sich dann mehr und mehr zu einem 3D-Hologramm zusammensetzend. Darauf ich, wie ich ein riesiges Orchester dirigiere. Ich sehe mir dabei von hinten zu (also von hinter der Leinwand, von dem Ort aus, wo ich zerborstene Celli auf das Förderband schaufele), wie ich einigermaßen hilflos dirigiere. Dennoch wird irgendwie Sinfonie daraus. Ein monumentales, kunstmonströses Geburtstagsständchen für eine verstorbene, jetzt aber wieder quicklebendige, Patentante. Gleichzeitig aber Geburtstagsgeschenk vom Filmteam, den Arbeitern, die die Dekompostierungsmaschine bedienen, für mich, der ich schon immer mal ein Orchester, ein ganz fettes, dirigieren wollte.

Der Dekompostierungsvorgang scheint aber nur einmal zu funktionieren, augenblickshaft. Man muss einen richtigen Moment abpassen, damit er funzt. Also ziemliches Rumgehühnere mit supergenauen, voll großen und enorm laut tickenden Stoppuhren, die alle genau aufeinander abgestimmt werden müssen. Zeitfragmentierung rückgängig machen. Sie laufen rückwärts. Countdown. Auch die Worte lesen sich alle rückwärts: Kompostor - Rotsopmok.

Mich quält, dass man diesen Augenblick der Dekompostierung doch eigentlich irgendwie dokumentieren müsste. Im Traum ist das die Gewissheit, dass man diesen Traum, so plastisch er ist, im Aufwachen vergessen haben wird, weshalb es eine Maschinerie geben müsse, ihn aufzuzeichnen. Da das eine schöne SF-Geschichte ist, bitte auch gleich mit einem Drehbuchdrucker hinten dran, um das alles nachher, wach, zu verfilmen. Es fällt aber schwer, ein Kamerateam aufzutreiben, das die Szenerie rund um die Maschine filmt. Schließlich leihe ich mir von einem der Rotsopmoks eine Kamera, nur fehlt mir eine MiniDV-Kassette. Der Rotsopmok hat mich noch gewarnt, dass mir die eh nichts nützen werde, denn in Folge des 2. Hauptsatzes der Thermodynamik könnte man den von diesem "verbotenen" Dekompostierungsakt eh nur "live" übertragen. Ein Band werde hinterher nichts enthalten, nur "Humusrauschen". Ich mache mich dennoch auf die Suche. Ich weiß auch genau, wo in dem am Ende der Dekompostierungsmaschine wieder aufgebauten Haus MiniDV-Kassetten zu finden sind. Ich müsste mittels eines "Quantentunneleffekts" mal eben ganz kurz auf die andere Seite, um eine hierher zu holen.

Im Kreis Gelaufe in irgendeiner sich daraus ergebenden Paradoxieschleife, die ich ganz und gar verstehe, aber schmerzlichst in ihr leide. Filme mich dabei nabelschaurig mit der Kamera und lasse das "Humusrauschen" auf das Förderband der Dekompostierungsmaschine fallen, wo es sich mit dem Schotter vermischt und den Hauptsatz überlistend am Ende mit in den Film dekompostiert wird, in dem man nun aber alles, etwa mich, den Dirigenten in dem großen Haus mit dem großen Orchester, sowohl von hinten wie von vorne sieht. Der Angriff der übrigen Zeit auf die Gegenwart.

Schweißgebadet vom Dirigieren aufgewacht. Und noch trunken. Lilly steht vor der Tür und berichtet mir genauso trunken ihren Traum, der ähnliche Elemente durchkonjugiert. Und wegen der "Harry Potter"-Filme der letzten Stunden und jetzt gleich noch eines ("... und der Feuerkelch") gleichsam wissenschaftliches Gespräch über Fabelwesen wie die mich hoch faszinierenden "Dementoren".

Die Schwindelerregung hält den ganzen Tag an. Abends autoaufgefischt von dakro auf einer "Sylvester-After-Show-Party". Reste-Trinken bei Pipe L. in Fr'ort. Schön schräg wir stündlich trunkener werdenden Künstler, all die feinen selbstironischen Inszenierungen und Maskeraden, das Geschichtenerzählen in Gesten. Lilly und ich auf dem Sofa im Nebenraum, das aus lauter Brokat besteht, barocke Szenerie, gleichzeitig lippenfuseliggeredetselig. Blick auf den Flügel, auf dem keine Beethovenbüste steht, sondern ein abgegriffenes Portraitbild von Bernd Begemann. Rauchen am Kamin. Der quälende Traum löst sich in Rauch auf. "Expecto patronum!"

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Bin irgendwie offline wegen der Provider-Umstellung...
oegyr - 21. Jul, 22:52
So, 18.7.10 (Mo, 19.7.10,...
Die Netznische, in die man postet - und die erweiterte,...
oegyr - 19. Jul, 08:54

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