dann nachts bin ich dreitagebärtig
und das dreitäglich nicht gelebte leben
riecht – sagen wir: duftet dornröschend – aus mir
ein bisschen unsauber.
dann tags bin ich gut rasiert,
mein dank gilt gilette
und anderen klingen, die mich
dreifaltig gnädig guillotinierten
dem gulli als grund,
dem kuli den schwund
noch hoch angerechnet,
als sensendes übrigem schlund.
dann nachtmittags: meine geschwüre
aus hecheln der armen ritter:
ein jagdhund, der bellt
auf brüchigem ... wund.
denn alle, die bärte tragen,
dürfen drei tage auf kaperfahrt fahren.
rasierst du sie dann,
du kommst dem parkett noch anzüglicher an.
das licht durch die ferne des fensters, wie es scheint neblich, vom neumühlenen hügel aus blick über die förde, das ufer, gegenüber, nicht sichtbar. die übersicht vom regal aus mit büchern in der stadtteilbibliothek ostufer über das, was neben den büchern steht: das fleisch, wenn auch dunstig, durstig, das wahrhaft gelebtbare, das nicht im geist der bücher steht. allein, in den büchern als geistiges getränk steht, wie du dein labor einrichten sollst. 1976: lego, ergo sum.
BC 232, ein standard-transistor, relativ resistent oder auch tolerant, dieser transfer-resistor, gegen unfreiwillige überspannung, npn, silizium, nicht das geheimnisvolle (und spannungs-sensible) pnp-germanium. minuspol, das abzügliche an kollektor und emitter, an der basis der positivismus des pluspols. quellen und senken von spannung. der strom fließt eben nicht von plus nach minus. weil die elektronen negative ladung haben, werden sie vom negativen abgestoßen und streben zum positiven. durch den nebel lichtet sich dieses einfache richtungsverhalten der „elementarteilchen“. und ich verstand, damals, 1976, bibliothek, stadtteil, blick aus dem fenster ans unerreichbare ufer, das fremde, gegenüber. kathode und anode, dazwischen das gitter, gefängnis, als die instanz der steuerung. was dringt durch, was wird moduliert geschirmt? der transistor, das kleine schwarze ding, das kästchen des heimlichen hausfreunds, auf dem zahlen stehen und drei drähte raus ragen. und wenn du die zu heiß lötest, stirbt das siliziumkriställchen.
im regal gegenüber, neben den schaltkreisbüchlein, die abteilung philosophie, etwas für erwachsene, also hochbegabte ihr kinderlein kommet zu früh. hoimar von ditfurth, „am anfang war der wasserstoff“. am anfang die letztbegründung eines basalen elements, wo im periodensystem ((„ha, he, liebe bcnofne! na, mig all sips klar?“ „ein skandinavischer titan mit verchromtem magen wandert nach feconicuzn“, so zehn jahre später, im nebanfachchemiestudium, die brüchige eselsbrücke, auf der wir, komillitone alexander und ich, uns das „perry rhodan system“ merkten: haha wie wasserstoff, hey wie helium / lithium, beryllium, bor, kohlenstoff, stickstoff, sauerstoff, flour, neon / natrium, magnesium, aluminium, silizium, phosphor, schwefel, chlor, argon / nebengruppe 1 (wo die p-orbitale mit elektronen aufgefüllt werden): scandium, titan, vanadium, chrom, mangan, eisen, kupfer, kobalt, nickel, kupfer, zink)) der anfang wie am anfang der bibel das wort war, das mit „h“ wie mit „der HErr spricht“ anfängt, auch mit „w“ wie „WEr bin ich?“. mit einem buchstaben weit hinten im alphabet. als wäre aller anfang schon immer sowas wie fast am ende. auch der des verstehens, was die welt ... und so weiter ... im innersten ... und so weiter ... zusammen ... und so weiter ... hält. was also schöpfung ist, während man als brillenschlangig neunmalkluges kind gerade begreift, dass man selbst ein einmaldoof geschöpftes ist, nur damit so gar nichts anzufangen weiß – außer wasserstoff. aus etwas, das fleisch ist. nur ist das mit dem geist einfacher, verstehbarer, transistorischer, npn, statt pnp. kathode statt anode. im richtigen innigen fluss der elektronen.
das licht durch die ferne des fensters, das auf die buchseiten und ihren schwarz-weiß-kontrast zwischen sein oder nicht-sein, in und zwischen den zeilen, scheint. ein bleiches licht 1976, ein herbst vor dem deutschen. ein jahr davor.
als der war, die RAF gegen die zeitraffer mg’te, damals, ein jahr später, litt ich in dessau, wo meine oma und mein opa wohnten, letzterer „verdienter erfinder des volkes“ (er hatte kühlwagen mit revolutionär neuen aggregaten bestückt, ein exportartikel der damaligen DDR), herbstferienfrierend, was deutschland war, geteilt in 6 gegen 60 millionen (und vielleicht noch 18 dazu). die ver-schleyer-ung der herrschenden verhältnisse in ein drama, das wie wasserstoff war, am anfang – oder npn.
das licht aus der ferne des fensters, wie es scheint als die schimäre von kalkulierbarer erkenntnis, physik gegen psychologie. die welt berechenbaren außens gegen die welt durchgerechneten innens (erschütternd). in letztere schrieb ich tagebuch, worin vermeldet steht, welche transistoren ich mit welchen elektrolytkondensatoren verlötete, um radios zu erzeugen, die hernach nicht funktionierten. die insignie des scheiterns schon damals im labor, an einem alten küchentisch, in dessen schubladen ich die elektroteile sammelte.
sperrmüll der geschichte. ich zog durch die gemeinde und beutebaute an sperrmülltagen den abgelegten fernsehern ihre platinen aus, ein gefühl wie leichenfledderung. leichen, die ich neu beleben wollte, als wäre ich dr. frankenstein. der ansatz des endes zum anfang. der aufsatz darüber, für den ich einen preis an meiner schule gewann, als schüler noch, schwüler, tastend, aber für weise erkannt. früh verwaisenhofter hofberichterstatter.
das licht aus der ferne des fensters der erinnerung. wie es bleich gewesen war, bleichlichtig und verwund(er)bar eintönig über die seiten schien. die technik des seins, noch so unbekannt (und daher spannend) wie die des nicht seins. to BC or not to BC 232.
der transistor, der transfer-resistor. das widerständige als modulation, die jetzt, vor zwei jahren, sich zum beispiel als tischtuch auffaltete, über dem speckigen tisch der nicht-eingemeindung. und also affront gegen das novemberrevolutionlichtneblige ziel zu verschwinden war. zu verschwinden ...
im licht aus und in die bibliothek zu verschwinden. eine ver(sch)windung des seins in das, was es nicht sein könnte. wie eine verheißung der stromfluss von n nach p, von naturwissenschaft zur poesie. und ich weiß nicht, das hat etwas caspar-david-friedliches: romantik der revolution in eben ihrer nicht-revolution, sondern religion. nach dem periodensystem arbeitete ich an elementarteilchen-flüssen, die sich von der sonne aus ins all ausbreiten. frage war: wer beschleunigt wie, die sonne selbst oder der schock im interplanetaren raum? mein diplomthema. wer liest jetzt das noch, weil ich längst kein physiker mehr bin, vielleicht eher poetischer pnp-philosoph? irgendwo in einer bibliothek steht das noch, nachlesbar. und wären da noch die kinder, die jetzt mit lego spielen und das „ergo sum“ darin vielleicht erahnen, es wären meine. wie die, die nachfragen, was mich damals zum nicht-existenzialismus verurteilte. ich war so unschuldig, ich war so schuldig. ich war so schüler.
denn während der arbeit an den kathodisch-an(ektd)odischen elektronenströmen von der sonne schien mir diese auf den bildschirm mit den tabellen aus zahlen. und mir schien dies wie zumutung. ich konnte die zahlen nicht sehen auf dem schirm, auf den die sonne schien in irgendeinem dieser zu hitzig gefickten auguste anfang der neunziger. aber ein bild. ein bild wie die zerrissene tischdecke zwischen uns, unserem bett nicht, aber tisch. ein bild wie das flehen des lichts jetzt, im november, kühl und daher sehnend. ein licht aus der bibliothek, mit den büchern, den hoffenden, den wirklichen. hinein in all dies unwirkliche, was bleibe, was blieb, was bleiben soll – was liebt.
das licht, damals, im november, geschienen durch das fenster, das ferne. das licht, das neblige.
Das Symposion „Gegenbilder“ ging in der Kunsthalle dem Bildbegriff kritisch auf den Grund.
Kiel – In einer ihrer 62 Fotoarbeiten, die Katharina Sieverding im 20 Sekunden-Rhythmus projiziert, hat sie ein Bild des Stelenfeldes der Berliner Holocaust-Gedenkstätte mit einem Übersichtsplan des KZ Sachsenhausen überblendet. Ist solche frappante geometrische Ähnlichkeit ein Gegenbild? Wenn ja, „gegen“ was? Was ist hier das „vor Ähnlichkeit Entstellte“ (Walter Benjamin)? Ist am Ende sogar die Vortragsform, die eigenen Arbeiten als Bilderflut zu präsentieren, bei der nur Zeit für einen flüchtigen Blick bleibt, so ein mehrfach gebrochenes, „widerständiges“ Gegenbild?
Fragen, denen am Wochenende in der Kunsthalle das vom Forum der
Muthesius Kunsthochschule veranstaltete
Symposion „Gegenbilder – Zu abweichenden Strategien der Kriegsdarstellung“ nachging. Eines gleich vorweg: Das Gegenbild und wie man es machen könnte wurde nicht gefunden, für Gastgeberin und Forumsintendantin Petra Maria Meyer „bleibt es ein Suchbegriff“. Auch weil die Frage nach dem Gegenbild, nach Strategien gegen die nachrichtlichen Bilderfluten aus Krisengebieten, immer eine Frage nach dem Bild selbst ist, was es ist, was es kann und was nicht. Spätestens seit den Bildern des 11. Septembers 2001 besteht in der Bilderwissenschaft eine gründliche Skepsis gegenüber dem Bild, vor allem gegenüber dessen Anspruch, ein authentisches Abbild der Realität zu geben, der seine Macht begründet. Aber noch tiefer lässt sich der Zweifel am Bild ansiedeln, wie Hubertus von Amelunxen, Direktor der „Ecole européenne supérieure de l’image“ in Poitiers, in der Podiumsdiskussion zu denken gibt. „Ist nicht jedes Bild schon ein Gegenbild, weil zwischen ihm und dem Abgebildeten schon durch den Vorgang des Abbildens eine Differenz herrscht?“ Und umgekehrt: Falle nicht jedes Gegenbild, weil es eben auch ein Bild sei, dem gesellschaftlichen Vernutzungsprozess anheim? Müsse eine Gegenbildstrategie nicht vielmehr an den Distributions- und Nutzungszusammenhängen von Bildern ansetzen, statt am Ikonografischen selbst?
Dass ein Bild nicht losgelöst Information vermittelt oder darstellt, sondern immer in einem Kontext von Produktion und Wahrnehmung steht, scheint, so zeigte das Symposion, ein möglicher Schlüssel zu „widerständigen Strategien der Intervention gegen den abgeklärten Blick“ (Meyer). Der Berliner Kurator Frank Wagner machte dies am Beispiel von Peter Weiss’
„Ästhetik des Widerstands“ deutlich. Darin werde das Herrschaftsbild des Pergamon-Altars in einen anderen Kontext gestellt und werde dadurch vom Bild zum Gegenbild. Auch der Wiener Medienphilosoph Hans-Dieter Bahr sieht Gegenbildnerschaft „in der Darstellungsweise, nicht im Sujet, das dem Bann des Vorbilds und Nachahmens verhaftet bleibt“. Sehen werde heute als passive Reaktion gedeutet, anders als in der Antike, wo Sehen als aktiver Akt galt, als „Blick“ und „Einsicht“. Dem „totalitären Anspruch“ des Bildes als bloßem Abbild müsse man begegnen, indem „man den Zweifel am Bild dem Bild selbst einbeschreibt“, so Peter Hendricks, Fotografie-Professor an der Muthesius Kunsthochschule.
Was so theoretisch diskutiert wurde, findet sich zum Teil in Katharina Sieverdings „Denkbildern“ als Praxis wieder. Sie „entstellt die Bilder zur Kenntlichkeit“, indem sie sie aus ihren Macht ausübenden Kontexten löst und durch Kollisionsmontagen neue, widerständige Kontexte herstellt. Besonders interessant sind dabei ihre
„Steigbilder“, weil sie in diesen weniger gesellschaftliche Missstände anprangert, wie das schon John Heartfield tat, als vielmehr die Frage nach dem „sich ein Bild Machen“ selbst stellt. Ging das Symposion von Kriegsbildern als brisantem Spezialfall der Bild-Gegenbild-Problematik aus, zeigt Sieverding, dass auch die bildgebenden Verfahren der Medizin gezeichnet sind von einem technokratisch „abgeklärten“ Positivismus, der das Bild über das Abgebildete, hier den Patienten als Mensch stellt.
so nimm denn / auf den knien vor dir / zugewandten, wissenden nicht / aber glaubenden / liebenden / hoffenden / so großen worten sich verkleinernd zugetanen / anheischigen / die hybris in jedem schritt / und die hyperbeln in hyperlinks.
als wäre / ist jede erinnerung / fotocopyandpaste / spiegleinspieglein an die wand gestellt / wo du siehst, was du unter dich lässt / von wo du dir aufschauend / dich in die himmel des irdischen kniest.
als wäre / ist das licht nicht / die andere seite der schwärze / nicht die andere der zwei seiten des silberlings / den du wirfst am gesundbrunnen / auf die gleise / als wäre es nichts / das nichts / als wäre es.
so knie denn / nimm die hände zu dir / leg sie an dich / gegürtete, gefesselte und betende an den / stätten des strangs / die strenge nicht mehr angestrengt / ein leichtes in ihrem blick.
als wäre / als wäre / als schiene, was zu scheiden wäre / geeint und gemeint / als bild am altar / wo wir nein sagen: nein, ich will! / wo wir nichts sagen, nur wollen.
auf knien der erde / ein bisschen näher / dem himmel ein bisschen / entfernter / und also in mitten / so seh’ ich dich beten / wo wir uns betten / und büßen aus licht.
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