Sonntag, 26. November 2006

Strategien gegen den abgeklärten Blick

Das Symposion „Gegenbilder“ ging in der Kunsthalle dem Bildbegriff kritisch auf den Grund.

Kiel – In einer ihrer 62 Fotoarbeiten, die Katharina Sieverding im 20 Sekunden-Rhythmus projiziert, hat sie ein Bild des Stelenfeldes der Berliner Holocaust-Gedenkstätte mit einem Übersichtsplan des KZ Sachsenhausen überblendet. Ist solche frappante geometrische Ähnlichkeit ein Gegenbild? Wenn ja, „gegen“ was? Was ist hier das „vor Ähnlichkeit Entstellte“ (Walter Benjamin)? Ist am Ende sogar die Vortragsform, die eigenen Arbeiten als Bilderflut zu präsentieren, bei der nur Zeit für einen flüchtigen Blick bleibt, so ein mehrfach gebrochenes, „widerständiges“ Gegenbild?

Fragen, denen am Wochenende in der Kunsthalle das vom Forum der Muthesius Kunsthochschule veranstaltete Symposion „Gegenbilder – Zu abweichenden Strategien der Kriegsdarstellung“ nachging. Eines gleich vorweg: Das Gegenbild und wie man es machen könnte wurde nicht gefunden, für Gastgeberin und Forumsintendantin Petra Maria Meyer „bleibt es ein Suchbegriff“. Auch weil die Frage nach dem Gegenbild, nach Strategien gegen die nachrichtlichen Bilderfluten aus Krisengebieten, immer eine Frage nach dem Bild selbst ist, was es ist, was es kann und was nicht. Spätestens seit den Bildern des 11. Septembers 2001 besteht in der Bilderwissenschaft eine gründliche Skepsis gegenüber dem Bild, vor allem gegenüber dessen Anspruch, ein authentisches Abbild der Realität zu geben, der seine Macht begründet. Aber noch tiefer lässt sich der Zweifel am Bild ansiedeln, wie Hubertus von Amelunxen, Direktor der „Ecole européenne supérieure de l’image“ in Poitiers, in der Podiumsdiskussion zu denken gibt. „Ist nicht jedes Bild schon ein Gegenbild, weil zwischen ihm und dem Abgebildeten schon durch den Vorgang des Abbildens eine Differenz herrscht?“ Und umgekehrt: Falle nicht jedes Gegenbild, weil es eben auch ein Bild sei, dem gesellschaftlichen Vernutzungsprozess anheim? Müsse eine Gegenbildstrategie nicht vielmehr an den Distributions- und Nutzungszusammenhängen von Bildern ansetzen, statt am Ikonografischen selbst?

Dass ein Bild nicht losgelöst Information vermittelt oder darstellt, sondern immer in einem Kontext von Produktion und Wahrnehmung steht, scheint, so zeigte das Symposion, ein möglicher Schlüssel zu „widerständigen Strategien der Intervention gegen den abgeklärten Blick“ (Meyer). Der Berliner Kurator Frank Wagner machte dies am Beispiel von Peter Weiss’ „Ästhetik des Widerstands“ deutlich. Darin werde das Herrschaftsbild des Pergamon-Altars in einen anderen Kontext gestellt und werde dadurch vom Bild zum Gegenbild. Auch der Wiener Medienphilosoph Hans-Dieter Bahr sieht Gegenbildnerschaft „in der Darstellungsweise, nicht im Sujet, das dem Bann des Vorbilds und Nachahmens verhaftet bleibt“. Sehen werde heute als passive Reaktion gedeutet, anders als in der Antike, wo Sehen als aktiver Akt galt, als „Blick“ und „Einsicht“. Dem „totalitären Anspruch“ des Bildes als bloßem Abbild müsse man begegnen, indem „man den Zweifel am Bild dem Bild selbst einbeschreibt“, so Peter Hendricks, Fotografie-Professor an der Muthesius Kunsthochschule.

Was so theoretisch diskutiert wurde, findet sich zum Teil in Katharina Sieverdings „Denkbildern“ als Praxis wieder. Sie „entstellt die Bilder zur Kenntlichkeit“, indem sie sie aus ihren Macht ausübenden Kontexten löst und durch Kollisionsmontagen neue, widerständige Kontexte herstellt. Besonders interessant sind dabei ihre „Steigbilder“, weil sie in diesen weniger gesellschaftliche Missstände anprangert, wie das schon John Heartfield tat, als vielmehr die Frage nach dem „sich ein Bild Machen“ selbst stellt. Ging das Symposion von Kriegsbildern als brisantem Spezialfall der Bild-Gegenbild-Problematik aus, zeigt Sieverding, dass auch die bildgebenden Verfahren der Medizin gezeichnet sind von einem technokratisch „abgeklärten“ Positivismus, der das Bild über das Abgebildete, hier den Patienten als Mensch stellt.

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