d.day - keine nacht für niemand

Dienstag, 22. Juni 2010

Mo, 21.6.10 (Di, 22.6.10, 5:50): Soul der Seelchen

Der olle Freund und seinerzeit Mentor N.B. hätte mir das wahrscheinlich um die Ohren gehauen: Cassandra Steen gut zu besprechen ist ein "No-Go" für jeden ernst zu nehmenden Musikjournalisten. laut.de hat's vorgemacht. Dennoch, gerade sowas reizt mich ja, wider die Stachel der Soul-Polizisten zu löcken. Zumal das Seelchen ögyr mal wieder sehr nah am Wasser gebaut hatte. Also so besprochen:

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Retterin aller Seelchen

Cassandra Steen beglückte auf der Freilichtbühne Krusenkoppel mit ihrem Soul.

Kiel. Vielleicht das schönste Kompliment für Cassandra Steen, die unermüdlich das Publikum für seine sangliche wie klatschende Mitarbeit Lobende und ihm mit ihrer bezaubernden bis einlullenden Stimme Seelenfutter Gebende: Ein Mädchen im Rollstuhl steht aus diesem auf und tanzt, versonnen seinen Teddy umarmend, direkt vor Cassandra, die davon so gerührt ist wie wohl jeder im Publikum im Krusenkoppel-Amphitheater - auch von ihren Songs.

Ja, stimmt, da ist viel Kitsch im Spiel, zu viele allzu einfache Reime, wenn die Echo-Preis-Gewinnerin 2010 ihren Soul zelebriert, nur selten so schwarz, wie Soul eigentlich sein soll, dafür umso himmlischer strahlend, wenn sie ihre betörende Stimme in die hoffnungsvollen Höhen der Erlösung aller Seelchen schraubt. Kitsch wird da Kunst, wo eine so authentisch am Werk ist, eine, die an ihre Songs glaubt. Also weg mit diesem nur der Vollständigkeit halber erwähnten Kitsch-Verdikt. Denn wenn selbst ein hartgesottener Rezensent bei jedem zweiten Lied nah am Wasser gebaut hat und die Tränchen nicht nur sein Knopfloch längst überflutet haben, dann muss da etwas sein, was man - ganz vorsichtig - göttlich nennen kann.

Glaube, Liebe, Hoffnung durchziehen den ganzen Sommersonnwendabend auf der Krusenkoppel. Steen singt gleich zu Beginn eines ihrer "Lieblingslieder": "Es ist wahr" heißt es - und ist es. Zart kommt es daher und doch kraftvoll in Stimme und Überzeugung, dass irgendwie doch alles gut werden wird. Steen ist damit wie wir "Gefallen nach oben", wie der nächste Song titelt. Auch wenn sich ihre Band dabei in allerlei durchschaubarem Pop-Bombast verliert, ist das so direkt in die Seele gepfeilt, dass man bei diesem Rhythmus einfach nur mit muss. Steen lässt uns nicht geh’n, nicht abschweifen von ihrem Pfad der soulischen Erleuchtung. Vor allem, wenn sie im Duett mit ihrem Background-Sänger Daniel - "eine Entdeckung von Xavier (Naidoo)" - singt. Zwei Seelen im einverstandenen Soultakt. Ebenfalls im Einklang der Seelen ist Gitarrist Daniele mit Soli, die aus den ohrwurmigen Melodien unendliche spinnen. "Himmlisch hendrixsch" fällt einem dazu schon wieder ein.

Doch zurück auf den Boden der Tatsachen. Steens Stärke ist, dass sie in all dem Verzaubernden auch Sozialkritik unterbringt. In "Glaub ihnen kein Wort" spricht sie einem Drogensüchtigen Mut zu, und damit "allen Menschen, die es schwer haben, aber trotzdem nicht aufgeben, sondern aufstehen" (wie das Mädchen im Rollstuhl). Seltsam, dass sie uns mit solchen Songs süchtig macht nach der Droge ihrer Stimme, die auch Alicia Keys’ "If I Ain’t Got You" oder Seligs "Ohne Dich" so seelchensüß covert, dass man das Original glatt vergisst.

Selbst ein Requiem wie "Unendlich" wird so zum Rettungsanker, nicht zu schweigen von der Zugabe aus Steens alten Glashaus-Zeiten: "Wenn das Liebe ist ..." - was ist dann dieser Abend? Unbedingte Liebe einer Sängerin zu ihren Songs und die der Seelen, die ihr in stehenden Ovationen zufliegen.

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Man merkt dem an, dass zwei Seelchen in meiner Brust rangen, beide natürlich lächerlich: das des Musikjournalisten, der sich damit innerhalb der Zunft unmöglich macht, und das dessen, der sich der Wahrheit der "Immer ist Situation" verpflichtet fühlt. Diesen Konflikt gut gelöst, denke ich, und sinke Steen-beseelt in die Kisschen ;-)

Montag, 21. Juni 2010

So, 20.6.10 (Mo, 21.6.10, 9:25): Liebe ist ...

Nach nunmehr völliger Ver-rückung des Tag-Nacht-Rhythmus so genannt abends ins Theater im Werftpark durch den Kieler-Woche-Massen-Irrsinn gewandert. Dort mal wieder das eigentlich ja schon bekannte und viel besungene Erlebnis, dass Kunst einen anders geworden entlässt, als man in sie hinein gegangen ist.

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Wo die Liebe hinfällt

Der Jugendclub des Theaters im Werftpark zeigte seine umjubelte Version von "Amor und Psyche".

Kiel. Sie sind der Romeo und die Julia der Antike: Amor und Psyche. Was schon andeutet, dass ihre Liebe eine Geschichte ist, die, so alt wie sie ist, immer neu bleibt. So verwundert es auch nicht, dass der Jugendclub des Theaters im Werkftpark unter der Regie der Tanzpädagogin Tanja Carella und des Tänzers Thomas Hörath vom Kieler Ballett, eine ganz eigene Geschichte dieses (Alp-) Traumpaares erzählt.

Von Aischylos' Tragödie bleiben nur Fragmente, Keywords wie "Verbotene Liebe", "Eifersucht", "Misstrauen", die anfangs über die Videoleinwand flackern, um dann in gleichsam antithetischen Diskussionen näher beleuchtet zu werden. "Wann fühlen Sie sich authentischer, im Glück oder in der Verzweiflung?", fragen sich und das Publikum die 14 Darstellerinnen, die mal siebenfache Psyche versus siebenfachem Amor sind, mal die deren große Liebe beneidende und sich ihr in den Weg stellende Gesellschaft.

Das sind Fragen, die sich die jungen Frauen, auch wenn sie nicht auf der Bühne stehen, vermutlich oft stellen. Und diese persönliche Berührtheit von dem, was sie da verhandeln, spürt man in jeder der eindringlich choreografierten Bewegungen. Wo die Liebe hin fällt, fällt sie auch hin, das Scheitern scheint selbst dem größten Glück einbeschrieben, ja, vielleicht wird Glück erst durch seine Vergänglichkeit als solches erfahrbar. So kreisen die ersten Bewegungen um das "aus dem Gleichgewicht Fallen", um den nahenden Sturz - und das sich dagegen Aufbäumen. In einem Szenenkarussell spielt jeweils ein Paar die vielfältigen Situationen des Liebens, wo es um Vertrauen versus Misstrauen geht.

Psyches Zweifel verstärken sich, denn ihr Amor gibt sich nicht zu erkennen. Er darf es nicht, die Götter haben's verboten. Aus dem Zweifel an der Liebe wird Zweifel an sich selbst und der Gesellschaft, ihren durchschaubaren Regularien dafür, was Schönheit sei. Die Darstellerinnen finden dafür eindrückliche, parodistische Tanzbilder vom Posen für ein Partyfoto bis zum Catwalk auf dem Bürgersteig.

Und immer wieder diese bohrenden Fragen an das Ich, das Du und vor allem an uns, die wir diesem Liebessterbenstanz zusehen: "Lieben Sie den Menschen oder nur, dass Sie ihn lieben?" "Was ist schöner? Sich verlieben oder verliebt sein?" Die Antworten liefern stumme Tanzgesten, die in ihrer Intensität unglaublich sprechend sind. Ein sich Winden und Krümmen, aber auch ein sich sehnsüchtig Weiten. Und Regietricks von bildhafter Kraft, wenn etwa der über der Liebe von Amor und Psyche längst gefallene Vorhang am Rollgestell über die Agierenden gefahren wird.

Am Ende ist das Wort, sind diese drei, die über alle Zeiten ganze Welten bewegen. Gemalt sind sie auf die Maleranzüge, in die sich die Tänzerinnen zum finalen Tanz der Buchstaben hüllen. Kokons der sprechenden Hoffnung der Musen, dass die eingestandene Bühnenhaftigkeit des Gefühls, dass ihr Hinfallen im doppelten Wortsinne Liebe doch möglich macht. Der Vorhang bleibt wie alle Fragen offen. Und lässt uns ebenso tief gerührt wie über Minuten applaudierend zurück.

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Wieder mal nah am Wasser gebaut bin ich, erforschend noch, was denn genau meine Tränen rührte. Die Knopflöcher, die sich über dem stetig wachsenden Bauch um Zusammenhalt bemühen, waren es jedenfalls nur als mögliches, sprichwörtliches Behältnis. Faszinierend natürlich diese Jungfrauengestalten, die Mädchen, wie sie von Liebe reden und schreiten in schwarzen Söckchen. An Lilly all das, als Armor seiner Psyche, der Muse, gesungen. Indes: Welche Dauer ist uns? Wenn keine, so war es schön gewesen, dieses Heimkommen an den Altar, wo die Herzen flackerdochtig verbrennen. Wenn solche, dann die Alltäglichkeit solcher vertrauter Dauer. Dass ich ihr schreibe von meiner Ver-rückung, sie von ihrer. Der Ton auch, wie wir das tun, frech, wortspielend, unserer uns zugesprochenen Worte Roman versprechend.

Die Icons zur Guten Nacht, dies Lächeldings, das Umarmbärchen, das Zeitlauführchen. Und die schwingenden Herzchen überm Smiley. Während ich ihr noch so zur Nacht tippe, rattern die Rättlein am Gitter. Amörchen Lou und Psychchen Lo. Die schnupper-süchtigen Mäuschengesichter. Ich lese ihnen dies vor. Ungläubig schauen sie knopfveräugt. Und die Schnurrhaare zittern. Stehen da, wartend am Gitter. Auf Erlösung. Und auf Futter.

Sonntag, 20. Juni 2010

Sa, 19.6.10 (So, 20.6.10, 7:08): Sound auch der Schwalben

Den ganzen Tag für KN unterwegs. Mittags das Projekt "Urban Audio" auch hier in der Stadt, am Exer, gleich um die Ecke. Ich soundschreibe wie folgt:

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So klingt eine Kreuzung

Das Projekt "Urban Audio" machte auch Kieler Straßenlärm zu Musik.

Kiel. Wenn der Nürnberger Klangkünstler Florian Tuercke und sein Assistent Christian Weiß, bekleidet mit neonorangenen Straßenarbeiterwesten, an der stark befahrenen Kreuzung von Schützenwall/Knooper Weg und Kronshagener Weg/Ziegelteich ihre acht Stative mit langen Alu-Zylindern und gelben Kugeln aufstellen, wirkt das erstmal nicht (kunst-) verdächtig. Ein Vermessungstrupp, denkt mancher Passant, kundigere tippen auf Lautstärkemessung, womit sie nicht ganz falsch liegen.

Mit dem Projekt "Urban Audio" sind Tuercke und Weiß derzeit auf Deutschlandtour durch alle 16 Landeshauptstädte. Siebente Station war am Sonnabend zur verkehrsreichen Wochenmarktzeit auf dem Exer Kiel. "Urban Audio" nimmt eine Art akustischen Fingerabdruck eines innerstädtischen Raumes, transformiert den Verkehrslärm in einen für jede Kreuzung charakteristischen Klang. Dazu hat Tuercke eigens Instrumente konstruiert. In denen befinden sich Klaviersaiten, gestimmt in den acht Tönen der D-Dur-Tonleiter. "D-Dur wegen D wie Deutschland", schmunzelt Tuercke. Den Straßenlärm nimmt die gelbe Resonatorkugel auf, konzentriert ihn auf sie Saite, die dann im Takt der vorbei fahrenden Fahrzeuge schwingt. Ein Tonabnehmer verwandelt dies in ein Signal, das per Funk an das Mischpult im Begleitwagen gesandt wird. Dort entsteht eine Art Sinfonie der Kreuzung. Elektronik ist nur zur Verstärkung und Sammlung der Klänge im Spiel, ansonsten hört man den analogen Saitenklang.

Durch die Verteilung der Tonleiter entlang der Kreuzung, auf Verkehrsinseln und Grünstreifen, entsteht, so Tuercke, "ein kompositorischer Raum". Er begreift das Projekt weniger als Klanginstallation, denn als "Kollateralkomposition, an der jeder vorbeifahrende Autofahrer beteiligt ist, seine 'Stimme' einbringt". An den Kopfhörerstationen des Studio-Fahrzeugs kann man das live mithören: Im Takt der Ampelphasen klingen Schützenwall und Knooper Weg in e-moll, während der Verkehr auf Kronshagener Weg und Ziegelteich nach D-Dur schwenkt. Zudem setzt jedes Fahrzeug, abhängig von Geschwindigkeit, Anfahr- und Bremsverhalten, einen rhythmischen Akzent.



Zum kompositorischen Akt gehört dabei auch, dass sich Tuercke die Landeshauptstadtskreuzungen vorher per GoogleMaps genau anschaut, auslotet, wie die Instrumente aufzustellen sind. Klanglich attraktiv sind für ihn Kreuzungen mit vielen Abbiegerspuren, weil die den Sound der Stadt vielschichtiger machen. Vor Ort wird dann freilich noch experimentiert.

Im Internet werden die so in etwa einer Stunde Aufnahmezeit entstehenden und mit synchronen Filmbildern vom Kreuzungsverkehr illustrierten "Großstadtsymphonien" auf www.urban-audio.org veröffentlicht. Schon jetzt kann man hören, wie Magdeburg musiziert, in etwa zwei Wochen auch, wie Kiel klingt. Passanten konnten sich während der Aufnahme ein Hörbild machen. "Vor allem Kinder sind fasziniert von dem Klang, der aus Geräusch entsteht", erzählt Tuercke. Vielleicht weil ihr Gehör noch offener ist, als das Projekt unseres für den Klang unserer Kreuzungen erst eröffnet.

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Wo wir schon mal da sind, am Exer, am Wochenmarkt, entdeckt Fotografenkollege F.P. noch eine weitere Story. Und die gilt es gemäß Auftrag der Redaktion ("Schreibt die Geschichten, die ihr findet") gleich einzugemeinden für unser Brötchen-Blatt. Hier das Treffen der Kieler Schwalben-Fahrer. Wie folgt geschrieben und gelinkt.

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Schwalben auf Kieler-Woche-Ausflug

Ein zwei- bis dreirädriges Oldtimer-Treffen konnte man am Sonnabendmittag auf dem Exer bestaunen. Dort hatten sich Mitglieder des Simson-Stammtischs Kiel versammelt, um mit ihren Mopeds der Marke Simson ihre 3. Kieler-Woche-Ausfahrt zu starten. Schwalbe wird "der Käfer unter den Mopeds" aus der zu DDR-Zeiten in Suhl angesiedelten Motorroller-Schmiede Simson wegen seiner an einen Schwalbenflügel erinnernden Radabdeckung genannt. Und Schwalben sind ebenso wie der Trabbi längst Kult. Auch aus einer gewissen "Ostalgie" heraus, aber vor allem, "weil man daran noch selber herumschrauben kann", so Gerrit Thomsen, einer der Mitbegründer des seit drei Jahren existierenden Kieler Simson-Stammtischs.

Die Ergebnisse solcher Schraubertreffen waren auch am Exer zu bewundern, etwa ein Schwalben-Duo, ein Dreirad, das einst als Krankenfahrstuhl diente und von den Kieler Simsonikern liebevoll restauriert wurde. Sogar eine Taxi-Variante des Zweisitzers ließ hier seinen charakteristischen Zweitakter-Sound hören.

"Wir sind kein Club oder Verein, bei uns gibt's keine festen Regeln, es geht locker zu", ermuntert Thomsen Interessierte, am 5. Juli, 20 Uhr zum monatlichen Simson-Stammtisch im El Paso zu kommen, um mehr über das Kult-Moped zu erfahren. Dank der bundesweit vielen Fans der Schwalbe werden inzwischen sogar wieder Ersatzteile hergestellt, so dass man auch alte Garagenhüter wieder flügge schrauben kann. Fahren kann das bis zu 60 km/h schnelle Moped jeder Inhaber eines Klasse-B-Führerscheins - oder um es im Jargon der Schwalben zu sagen: "Wer im Besitz einer solchen Fahrerlaubnis ist."

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So gleich zwei Stories im Kasten, abends weiter zum Brass-Band-Konzert in der Petruskirche.

All das nach Mitternachtserschöpfungsschlaf in den Morgenstunden geschrieben. Und Lilly von Schwalben vorgeflügelt. Sie ist ver-rückt genug, mir darin zu folgen.

Samstag, 19. Juni 2010

Fr, 18.6.10 (Sa, 19.6.10, 2:50): Schrille Stille

Von Stille kann kaum die Rede sein. Schrilles Tröten weckt den, der wie Mao "nie vor Mittag aufsteht" (die Tatsache des erst spät Aufstehens wurde neulich in der Dokureihe "Die großen Diktatoren" auf Phoenix dem Genossen Mao angelastet. Freilich, auch kulturrevolutionäre Massenmörder werden erst nachmittags krea[k]tiv - auch so eine Schrille der Stille).

Getrötet wird, weil die deutsche Fußballseele im Hinterhof des Sommers vorm Balkon nach der heutigen WM-Schlappe im Walde pfeift, also trötet, was meine Lunge jedenfalls "am Morgen" noch nicht hergibt.

Wie dem sei, nur eine Anekdote (auch, wie die lautstarken Vuvuseelen die Rättlein verstören). Abends muss ich los zum chiffren-Konzert in der Landesbibliothek im Sartori&Berger-Speicher. Der Weg führt - so oder so gewandelt - durch die Kieler-Woche-Mob-Massen, dieses vergnügt-versuchte Völkchen, das aggressiv wirkt. Überall wird gepöbelt. Nichts einzuwenden gegen Feiern, allein, warum muss dabei mein Vorurteil vom Proll (nicht vom Proleten!) immer wieder bestätigt werden?

Weil auch die Stille schrill sein muss. Schreibe so vorgestimmt wie folgt:

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Das Schrille der Stille

Neue Musik aus dem Ostseeraum in der Landesbibliothek

Kiel. Ein Spielzeugklavier tickt durch die Skalen einer imaginären Spieluhr, und vom Tonband dröhnt es düster aus von Hand betrommelten Klaviersaiten. Etwas unbehaglich mutet das an für das Wiegenlied, das Tomi Räisänen bei seinem "Dreamgate" im Sinn hatte, nämlich das sanfte Einschlummern eines Kindes ins Reich der Träume. Was die Auslotung neuer Klangsphären betrifft, ist es dennoch das interessanteste Stück, das das Lübecker Ensemble "Neue Musik im Ostseeraum" in Zusammenarbeit mit dem Projekt "chiffren" und der Deutsch-Finnischen Gesellschaft am Freitag in der Landesbibliothek präsentierte.

Der Finne Räisänen, der auch über seine Komposition "Around the circle" bereitwillig Auskunft gibt und dabei allzu naheliegende Assoziationen ans Kreisen mit seinem Klangarrangement für Flöte, Viola und Klavier, das eher spiralige Struktur hat, widerlegt, lässt das Stille oft schrill wirken - und umgekehrt. Auch "Saar" ("Insel") für Klarinette und Violine von der Estin Helena Tulve ist klanglich nichts für romantische Robinsons. In das Gehör ebenso konzentrierenden wie verengenden Vierteltonintervallen tastet sich das Stück an ein Zentrum heran, das es doch als Geheimnis unberührt lässt. Mit bewusst schrillen Streicherhöhen arbeitet Tulve sich auch in ihrem Klaviertrio "lumineux/opaque" an diesem geheimnisvollen Mittelpunkt Stille ab.

Juste Janulyte, Litauerin und als 1982 Geborene die jüngste Komponistin dieses Abends, fordert Klarinette, Violine und Klavier auf: "Let's talk about shadows"! Der monochromen Musik verpflichtet, beleuchtet sie das Changieren von Klangfarben, indem sie das Spiel eines begrenzten Toninventars in lichte und schattige Momente taucht. Verwandt ist ihre Musik damit der viel älteren ihres Landsmanns Osvaldas Balakauskas. Seine 1974 komponierten "Nine springs" (hier in der Fassung für Flöte, Cello und Klavier) erkunden sein System der "Dodekatonik" mit nur neun Tönen, die fast klassisch modern, dabei jedoch verspielt an Volksmusik gemahnend, um die Kontraste von schrill und zart tanzen.

Veijo Meris verträumte und dennoch humorvoll antiromantische Gedichte aus dem Zyklus "Kesä ja talvi" ("Sommer und Winter") vertonte der Deutsche Benjamin Schweitzer ebenfalls klassich modern, als säßen die Zwölftöner hinter seiner Feder. Eine treffende musikalische Sprache wie auch für Hölderlins spätes und enigmatisches Gedicht "An Zimmern". Im Tübinger Turm sei der Dichter umnachtet gewesen, heißt es. Wie wach er dennoch war, kann man empfinden, wenn Schweitzer den Bariton Dieter Müller bei dem Vers "O Teurer, dir sag ich die Wahrheit" aufschreien lässt. Ein schriller Schrei aus der Stille.

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Hölderlin wieder und die Turmmetapher. Und die des Schreis aus der Stille - und der Stille im Schrei. Braucht das noch ein Gedicht als Ergänzung?

Ja, die Stille (vor diesem Schuss).

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schrille stille

"ist irgend eins, das einer seele g'nüget? ist ein halm, ist eine gereifteste reb' auf erden gewachsen, die ihn nähre?" (friedrich hölderlin / scardanelli)

schon an der mutterbrust war diese stille,
das saugen selbstgefällter existenz.
es war nur eingebor'ner wunsch, nicht wille:
bevor ich was besaß, war's insolvenz.

"ich schrieb, ich schrie", als kind schon buchgestäbe
in einem wort verlierend, zu verzieren
noch jeden schrei, auf dass er rasch verwehe.
in schriller stille standen brav die stiere.

wie sie vor roten tüchern blieb ich liegen,
stellte stürm'sche wecker stillend weiter.
im turm steh' ich, wo seine wänd' zerstieben.

dem grab die schrille stille vorzuschreiben,
hab' ich mich aufgemacht zum fortschrittschreiter.
ich bin das schaf, die hirten zu beweiden.

Freitag, 18. Juni 2010

Do, 17.6.10 (Fr, 18.6.10, 3:36): Kiel bloggt

Soll für KN (als Füllstoff fürs nahende Sommerloch) eine Serie basteln. Arbeitstitel: "Kiel bloggt". Sprich Kieler Blogs und ihre Blogger vorstellen. Die Idee dazu hatte ich nicht ganz ohne eigennützige Hintergedanken, denn vielleicht kann ein KN-Kollege ja auch eine Folge über dies hier schreiben ;-)

In der ersten Recherche dazu den ganzen Tag versurft. Ich dachte erst, dass die Zahl der Kieler Blogger überschaubar wäre. Weit gefehlt. Schon in einem Artikel vom August 2008 verzeichnet kielmonitor.de 73 Kieler Blogs. Uff, schon mal die Hälfte angeklickt. Ist natürlich auch allerlei Abraum dabei, sprich Blogs, die schon seit Monaten keinen Eintrag mehr haben. Die schmeiß' ich gleich raus. Es bleiben aber noch genug, um sich rettungslos zu verzetteln. Man wird sie in "Klassen" einteilen müssen und dann den jeweils interessantesten Vertreter raussuchen.

Dennoch enervierende Fundstücke.

Legende, nicht nur wegen der Klickzahlen, ist ja schon MC Winkels. Ein Blog-Entertainer und Hiphop-Musiker dazu. Und eitel. Aber an dem kommt man natürlich nicht vorbei.

Als Bio-Blog über die Transgender Sven/Svenja unbedingt dabei: Svenja-and-the-City. Aber wie man bei ihr liest, will sich Svenja nach gelungener Geschlechtsumwandlung nicht mehr auf das Thema reduzieren lassen. Trotzdem auch theoretisch interessant zur Frage der Identitätsinszenierung in Blogs.

Herausstechend auch Sebastian Galkas 77jahre.de, worin er in Anlehnung an Kempowskis "Echolot"-Projekt Briefe, Postkarten &c. dokumentiert, die genau vor 77 Jahren versandt wurden. Das Blog als Gedächtnis ...

Jetzt mal das Klicken, bei dem der Browser heißläuft (Safari ist in der neuesten, gestern upgedateten Version noch träger geworden), auf morgen verschieben.

Und an Lilly denken (und ihr die Daumen drücken). Mementum Lilly ist eh das Monsterchen aus "Toy Story", das sie mir geschenkt hat, das an der Schreibtischlampe hängt und im Sommernachthauch aus dem geöffneten Fenster leicht vor sich hin [sch]win[g/k]t - mit monströs vergrößertem Schatten an der Wand :-)

Donnerstag, 17. Juni 2010

Mi, 16.6.10 (Do, 17.6.10, 1:33): projektionsprojektion

Weitere Skizzen zum Projekt Projektion. Mit Photoshop folgende selbstähnlichen Montagen erster



und zweiter



Ordnung erzeugt.

Dann bei Sommeraufgang am Balkon noch dies gebastelt. Schwenk in die Sonne hinterm Rathausturm auf dem iPhone "this is a recording"-recordet, dann die Wiedergabe dessen mit der miniDV-Cam abgefilmt:



Erstmal nur Vorstudien.

Derweil bin ich voll im Projektionsmodus der Projektion, wenn ich Carsten Klatte heute in der Schaubude wie folgt bespreche ((Alliteration in der Überschrift - Alliteration ist ja auch eine Art Projektionsprojektion)):

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Rock'n'Roll mit "religio"

Carsten Klatte bekannte sich in der Schaubude zum Rock'n'Roll als Lebensart.

Kiel. Wer nimmt heute noch seine Musik so ernst, dass man dies mit dem alten lateinischen Wort "religio" belegen könnte? Nicht vordergründig im Sinne einer Religion, sondern als eine Haltung, eine Lebens-, Denkungs- und Bekenntnisart, so klingt Carsten Klattes Rock'n'Roll, wenn der aus Kiel stammende Berliner Singersongwriter seine Songs in der Schaubude präsentiert.

Als so fest an den Rock'n'Roll à la Bob Dylan oder Neil Young Glaubender ist man heutzutage in der Diaspora - oder auch "Happy Few", wie eine der schönsten Hymnen des Abends titelt. Das ist nicht nur ein Liebeslied, sondern auch eines an eben diese "religio", sich bewusst zu sein, dass man nicht Masse ist, sondern Mensch und als solcher immer wieder allein und existenzialistisch Geworfener. "We are killers on the lose, trying to produce the blues", singt Klatte nicht nur mit seiner ebenso warm-sonoren wie im Schrei angenehm rau werdenden Stimme, er betet es.

Das macht das Hymnische nicht nur dieses Songs aus. Aber auch, welche Töne Klattes durchdachten Kompositionen und seine Band für solche Worte finden. Rock'n'Roll, getränkt vom Geist des Folk und des "Neowestern", in welche selbst gezimmerte Schublade Klatte sich ehedem fügte, der seine harmonischen Fundamente auf komplex gedrechselte Akkordsäulen stützt und damit umso bodenständiger ist, weil man darauf ein Himmelsgebäude errichten kann. Wie Neil Black, der auf seiner Geige für ätherische Entrückung genauso wie e-gitarren-ähnliche Rock-Sounds sorgt. Erdige Grundierungen schafft Sebastian Scheibes fünfsaitiger E-Bass, der zusammen mit Klattes akustischer Gitarre, Geige und den blues- und zuweilen sogar jazz-inspirierten Beats von James Schmidt an den Drums einen für ein Begleittrio erstaunlich satten, manchmal geradezu symphonischen Sound erzeugt.

Klatte und sein Trio sind so - etwa auch in der im langsamen Walzertakt bezaubernd innig sinnierenden Ballade "Unbroken" (spontaner Publikumskommentar: "Superschön!") - den Rock'n'Roll-Göttern nahe und wagen doch die Gottferne. Denn nur Nähe und Distanz im richtigen Verhältnis ebnen die Pfade und Plätze "In The Garden Of God". Klattes Texte, stets dem auch Rebellischen der "religio" Rock'n'Roll verpflichtet, wissen um die endgültigen Verluste des Paradieses, auf das man allenfalls noch ein Requiem singen kann. Wo in glühendem Uptempo solche "Good Ol' Ties" abgeschüttelt werden, flirtet Klatte mit den düstereren Varianten der Schau durch Himmel und Höllen: Nicht nur in "All That Blues", worin er die Motive eines Selbstmordattentäters erforscht, der am postmodernen Fehlen von "religio" und damit Sinngebung verzweifelt, auch mit "Godlike", dem in seinem Brückenschlag zu Nick Cave und der Poetik Blixa Bargelds wohl interessantesten Song eines Rock'n'Rollers aus und in Passion.

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Bildimklangimkopfzersprungen nun in die Projektion Bett projiziert.

Mittwoch, 16. Juni 2010

Di, 15.6.10 (Mi, 16.6.10, 18:33): Videograffiti

Weiter über das Projekt Projektion nachgedacht. Will das noch mobiler machen und eine Art "Videograffiti" projizieren. Bisschen anarchische Kunstaktion. In Nischen und schräg projiziert. Wackelprojektion wie Wackelkamera.



Auf Pirsch für Projektionsorte, vielleicht auch über gesprühte Graffiti rüberprojizieren, Bildschichtungen.

Dazu braucht's einen mobilen Projektor, z.B. diesen:



Leider recht teuer ((künstlerische Produktionsmittel)). Und auch lichtschwach, aber es soll ja eh trash-mäßig werden. Und auch der Projektionsabstand zu gering, da wird man mit vorgebauten Linsen nachhelfen müssen. Die halbe Nacht im Netz unterwegs, total verzettelt, um was über die Mini-Kinos herauszubekommen.

An den Aiptek kann man übrigens das iPhone direkt anschließen, dann vielleicht auch projizieren, was man gerade filmt, nämlich die Projektion. In etwa wie hier, aus dem WG-Video vom 18.7.1993 (G.N. und ich diskutieren über die "Schachtelung" des möglicherweise ohnehin nur projizierten Seins):



Lilly findet die Idee gut. Chat mit ihr über philosophische Fragen der Person als Projektion, vielschichtig. Kleines nächtliches Philo-Kolleg. "Ideenrecycling", wie Lilly das treffend nennt.

Dienstag, 15. Juni 2010

Mo, 14.6.10 (Di, 15.6.10, 4:56): Projekt Projektion

Früh auf, um 9, weil los zum Familienfest: der Paten-Oheim wird 80. Noch nachts Hymnchen gedichtet. Dabei wieder nahwässrig gebaut. Sentimentalitaten (sic!).

Unter all den rund 30 Jahre Älteren plötzlich selbst das Gefühl von Alter. Feist geworden, blutüberdrücklich, angekommen. Einerseits erschreckend, dann wieder Gefühl von Aufgehobenheit. Streife zwischen zwei Essen rauchend am Laboer Quai entlang. Blick über die Förde zurück zur Heimatstadt. Hafen, Segelboote. Ein Meer erzählt. Verse im Kopf, lieber nicht aufgeschrieben auf den Notizblock in der Sakkotasche. Wieder rein. Gespräch mit dem Onkel (Bruder der Mutter), der, seit er 70 ist und von seiner Tochter (Cousine) ein Laptop geschenkt bekam, begeistert im Netz surft. Ob ich Sites kenne, die "anti" seien? Er meint's politisch, gegen die herrschenden Verhältnisse. Mit Kommis hat er indes nichts am Hut, sie hätten ihn, den Güstrower, "40 Jahre eingesperrt". Natürlich schwierig, denn wer, wenn nicht die Genossen sind noch gegenan? Empfehle ihm schließlich die nachdenkseiten.de, die ich von Lilly kenne. Er notiert sich den Link mit Akribie auf seinem Tischkärtchen, das er sich zu weiteren Tischkärtchennotizen in die Sakkotasche steckt.

Die Schätze des Wissens. Das alte "Zur Sache, Schätzchen". Sachdienliche Hinweise für die, die wie ich die Revolution nicht mehr machen, geschweige erleben werden. Dies Mauerdings vor 20 Jahren war ihnen Revolution genug. Dennoch dieses intuitive Unbehagen an dem, "das nicht ist, wie es bleibt" (Heiner Müller).

Überhaupt müsste auch ich mal wieder mehr Politik machen.

Im Chat mit Lilly mich wach enervierende Überlegungen zu Postmoderne, zum Verschwinden der übrigen (erzählten) Zeit in den Wirrungen der Netzgegenwarten. Weitere Anfeuerung für's Projekt Projektion:

Bräuchte nur einen Beamer und könnte damit von meinem Balkon aus die weiße Wand gegenüber im Hinterhof bespielen. Dort Filmchen projizieren oder Bilder. Zu unmöglichen Zeiten, morgenfrüh wie jetzt, wo keiner hinschaut. Das unwahrgenommene Kunstwerk. Nur so ist es frei von Pose. Totale (Anti-) Inszenierung, nerdisch. Performance vor keinem Publikum - oder nur zufälligem, das sich umso mehr wundert. Daraus eine Regelmäßigkeit entwickeln, die dennoch unberechenbar, anarchisch bleibt. (Tages-) Zeit auch dekonstruieren.

Hier schon mal Montage, wie das mit den Bildern von gestern aussehen könnte. Projektion auf die Leinwand des Netzes vorerst, projektilhaft.



Bei hellstem Sonnenlicht projizieren, die Bilder nur schemenhaft ... etwa so. Eine Erahnung ...

So, 13.6.10 (Di, 15.6.10, 3:59): Rosa Subs

Sonntagnachmittag (kurz nach'm Aufstehen ;-) in Gaarden im Subrosa für KN, um so'ne Singersongwriterin zu besprechen, die über ihrer Gitarre zum "akustischen Kaffeekränzchen" vor sich hin sinniert. Musik als philosophischer Akt, diogenestonnig. Hör' mir das an und süff'le Club-Mate. Spärliche Notizen, weil ich den Text kaum verstehen kann.

Vorm Aufbruch backbone home noch Pinkeln. Im rosa Klo. Vollgegraffitit. Was mich anrührt. Rote-Hilfe-Sticker, die alten, hier noch gefroren gegenwärtigen Traditionen des revolutionären Kampfs. iPhone gezückt und Doku gemacht.





Reißverschluss wieder zu, Restharn ins Unterhöschen, dann raus zum Rad. Schleichwegroute zurück, über die Norddeutsche (Berg-) Straße, dann abwärts den Hang entlang durchs sonntäglich raschelnde Grün. Während es von weit und auch näher aus den Fenstern fußballsummt.

Wieder zuhause, grillt der Hinterhof ruchbar. Und die Vuvuzelas tröten bei jedem Tor. Vier sind's, wie kurzer Klick auf's EyeTV-Fensterchen bestätigt. Ebenso blöd wie doch "naja-okay", diese Fußball-Verrücktheit.

Protokolliere das Lilly im Chat (die musikkopfhört und daher davon unbeeindruckt bleibt), die Phonstärken im Hof. Idee für neues Projekt - davon morgen.

Untergründeln macht Spaß.

Sonntag, 13. Juni 2010

Sa, 12.6.10 (So, 13.6.10, 4:13): Die Grillen des Verrisses

Frühabendlich Grillen, das Fleisch vertrocknend auf dem Rost. Wieder diese unbedingte Melancholie, dass alles vergeht, in das sich mein Zahngereih schlägt. Eine Art Requiem mit dem noch blutigen ("ein Steak, noch ...") Wein des Abendmahls im Glas.

("Grilling Fields" nannte das C.S. mal wortspielend.)

In der Stimmung (sehnsüchtig nach der heute rar werdenden Lilly) also aufgemacht, weiter Wunden im Fleisch und Kreuznägel aufzuspüren. Im Prinz Willy kurz mit Wirt Willy innig gesprochen übers alt Werden, über Frauen, also über Kunst. Dann das Ein-Mann-Duo Groundswimmer zur Club-Mate, die ich strohhalme, um die Wachheit zum Zwecke der Wahrheit coffeinös aufrecht zu erhalten (dämmere dennoch). Nach fünf Liedern (trotzend dem Motto "Love & Peace & Rock'n'Roll") Beschluss: Verriss.

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Folk-Pfade in Jesus-Latschen

Groundswimmer als Ein-Mann-Duo im Prinz Willy.

Kiel. Oliver Di Iorio, durch den krankheitsbedingt ausgefallenen Klaus Pollinger nur die eine Hälfte des Münchner Duos Groundswimmer, erfüllt so ziemlich alle Klischees des Singersongwriters aus dem großen Schmelztiegel des Folk-Rocks: Ein langhaarig bezopfter Mann, eine (meist zu laute) akustische Gitarre, eine (starke, in Erinnerung bleibende) Stimme, nach eigenem Bekunden "Jesus-Fan" und nicht nur wissend, sondern auch verlautend, dass "Lieder zu spielen ein tolles Mittel ist, romantisch zu werden".

Entsprechend hört sich das im Prinz Willy an. Wobei Di Iorio durchaus kein lagerfeuriger Leisetreter ist, das Klischee immerhin bedient er nur selten. Meist reibt er die Gitarre und einmal auch die Mandoline recht ruppig, nutzt mit gedämpftem Saitenschlag auch ihr perkussives Potenzial. Das Attribut Rock ist seinem Folk also angemessen, bringt manche Frische in das ansonsten einigermaßen abgestandene Genregeklapper. Es sind die englischen Lyrics, die Abzüge in der Originalitätsnote gäben, wenn denn eine solche zu vergeben wäre. Das fängt schon beim vermeintlich "einzigen Liebeslied" "Forgive Me" an: "Honey, don't you know, I need you!" Nunja, derlei soll in Liebesdingen öfter vorkommen. Auch, dass "sich die Weltbevölkerung im Krieg befindet" und ergo Di Iorio "dazu auch was zu singen hat", mutet etwas blumenkindisch an - vom ungestümen Seelchen im Jesus-Liebeslied "Holy Man" lieber ebenso geschwiegen wie vom Depeche Mode-Cover "Personal Jesus".

Indes, es gibt auch Abzweigungen von diesen jesus-ausgelatschten Folk-Pfaden. Der Konzert-Opener "Driftin' Alone" fällt angenehm auf durch seinen wuselflinken, rockigen Antritt. Mit "Blind" schaffte es das Duo zurecht auf den US-amerikanischen Sampler "Acoustica Vol. 21", spielt der Song doch elegant mit den Masken des Seins, denen man sich durch bewusste Blindheit entziehen kann. Auch das moritatenhafte "Of The Wall" schlägt der Balladenmonotonie manches intelligente, gleichnishafte Schnippchen, wenn darin, so Di Iorio, "der allgemeine Schönheitswahn" dadurch kritisiert wird, dass der Song einen Mann beschreibt, der sich nicht für die probate Farbdeko für die Wände seines goldenen Käfigs entscheiden kann. Als gut gecovert darf man ferner "Rise" von Pearl Jam-Frontman Eddie Vedder und Beatles' "I Wanna Hold Your Hand" auf Folkisch bezeichnen.

Über solchen gelungenen Stücken vergisst man dann auch gerne das kaum mehr als trällernde Sommerliedchen "Smile", Ohrwurmtiefbohrungen mit Kazoo "zum Mittakteln", wie der Barde aus Bayern das Mitklatschen putzig nennt, oder das allenfalls kirchentagstaugliche "Save My Soul", und erteilt auch dem Ein-Mann-Duo schon mal das folkige Freischwimmerzeugnis.

--- snap! ---

Vielleicht nur eine meiner Grillen, dennoch sich im Verlauf verfestigend. Die Zeilen schon einzeln vorgedacht. Aber wie leid mir das immer tut, solche Wahrheit dichten zu müssen. Da ist einer auf der Bühne, zumal mit "religio", also allein dadurch schon mal sympathisch. Aber nee, das kommt so abgründisch ausgetreten daher, da muss ich die Leviten leseschreiben.

Aber immer der Versuch, sozusagen Erbarmen, das Gute doch auch zu nennen. Selbst bewusst meiner dichterischen Fehlschläge, dieses überhaupt ganzen Komplexes von Scheitern, so eine grund-verschwommene Solidarität. Dagegen dann dies blöde Berufsethos vom Journalisten und dessen unbestechlichen Urteil. Hin&her gerissen statt hin&weg. Auf dem Rad nachhause noch Kampf. Dann losgeschrieben und schauen, was es wird. Leider Verriss. Denn ich wusste, was ich tat. Dem Juso-Jesus-Latschenden innerlich dennoch Abbitte leistend.

Schröcklich, wenn die Dichtung sich zuweilen der Wahrheit verpflichtet fühlt. Einer Wahrheit, die sie nur weiß, aber eben nicht ahnt, noch weniger fühlt.

Trunken davon und vom potenzierten Abendmahlsnachtwein hernach noch vorberichtend Loblügen dem Kieler-Woche-Krusenkoppel-Festival "gewaltig leise" einbeschrieben.

Melancholie darauf im grauen Morgen, stehend, zitternd, rauchend auf dem Balkon. Blick nach Osten, nach G., zur keimenden Sonne.

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