Donnerstag, 1. Juli 2010

Mi, 30.6.10 (Do, 1.7.10, 4:18): Mozart, Mahler, Klavki und derlei Melancholien

Datumsmäßige Endzeitmelancholie, denn mit diesem Post ins di.gi.10 ist Halbzeit, halbes Jahr rum. Ende des ersten Buches, wenn man das Ding denn in Folianten teilen will.

"Bleiben Sie dran!", ermutigt die Behörde Gauck all diejenigen, die sich grämen, dass Staatsämter in diesem Lande nicht demokratisch, sondern nur von seinen demokratisch so genannt Legitimierten vergeben werden. Irgendwie hat es mir der olle Rostocker Pastor angetan (wollte ja selbst mal Pastor werden, wäre vielleicht nicht der übelste der Wahlfreiheitsgrade gewesen). Aber weiter regieren die Wulffe im durchsichtigen Schafspelz. Kurzum: Wir Schafe weiden weiter, nagen an der Narbe. Wir bleiben dran. Demnächst auch in diesem Theater (dann wieder faustischer).

Vorerst begnügen wir uns mit Mozarts "Prager" und Mahlers "Titan(ic)" wie folgt:

--- snip! ---

Klangfarbenmalerei zwischen blass und bunt

Jubiläumskonzert des Kammerorchesters der CAU im Schloss

Kiel. 30 Jahre hat das Kammerorchester der Christian-Albrechts-Universität im Rücken, da kann man sich zum Jubiläum schon mal zwei sinfonische Schwergewichte vornehmen. Unter der Schirmherrschaft von Kulturminister Ekkehard Klug und der bewährt umsichtigen Leitung von Klaus Volker Mader lagen im Schloss Mozarts "Prager Sinfonie" und Mahlers "1. Sinfonie", die nicht von Ungefähr den Beinamen "Titan" trägt, auf den Pulten.

Mozarts Spätwerk, das in Nachbarschaft zum "Figaro" und "Don Giovanni" entstand, gilt nicht nur wegen des fehlenden Menuetts als besonders. Die "Ouvertüre" des 1. Satzes ist die längste Einleitung, die Mozart je schrieb. Durch dieses Adagio muss sich das Orchester entsprechend mühsam durcharbeiten, bevor es im Allegro-Teil spielfreudig befreit Fahrt aufnehmen kann und Mozarts Klangfarben mit bewegtem Buntstift vor allem der Streicher nachzeichnet. Angenehm leicht federnd setzt man die dynamischen Akzente, wenn auch die Durchführung wieder zur etwas blassen Durststrecke gerät.

Das alte Diktum, dass Mozart nicht eine Note zu viel geschrieben habe, scheint auch im 2. Satz stellenweise außer Kraft gesetzt. Doch so verschwommen der Beginn des Andante wirkt, so zupackend farbenfroh gestalten die Holzbläser den nach Moll eingetrübten Stimmungswechsel nach der Exposition. Überhaupt musizieren Mader und sein Orchester die "Prager" insofern "romantisch", als sie Mozarts freimütige Abweichungen vom sinfonischen Formschema seiner Zeit als Spiel mit Färbungen des Gefühls deuten. Bei solchem expliziten Interpretationswillen verzeiht man intonatorische Schwächen der Bläser gerne.

Die wiegen schwerer in Mahlers filigraner, bewusst auf der brüchigen Kippe stehenden Lautmalerei im 1. Satz seines "Titans". Indes tut Mahlers untergründig auch immer ironischer, beinahe schon postmoderner Klangzitatkunst ein etwas schräger Kuckucksruf nicht unbedingt Abbruch. Zudem gelingt es dem Orchester, die flirrende Ambivalenz der Mahlerschen "Soundscapes" abzubilden. Den burlesken Ländler im 2. Satz inszeniert es nachhaltig beeindruckend im Wechsel zwischen kitschigem Schmelz und erlebbarem Schmerz.

Nicht minder einleuchtend ist die Interpretation des 3. Satzes, indem der zum Totentanz konvertierte "Bruder Martin"-Kanon mit einigem Galgenhumor musiziert wird, besonders im Wechsel mit den Klezmer- und Walzerseligkeitsmotiven, welchen von Mahler ausgelegten Leimruten das Orchester ebenso getreu wie eigensinnig folgt. Im 4. Satz darf man es dann titanisch krachen lassen, wobei besonders die sieben Hörner so glänzen, wie man es einem Laienorchester nicht zugetraut hätte. Trotz mancher Blässen und intonatorischer Blessuren darf man die Titanen-Aufgabe so als souverän gemeistert bezeichnen, wovon auch reicher Applaus für das Orchester in den besten Jahren zeugt.

--- snap! ---

Nachts nach solcher Schreibtischtat beide Sinfonien nochmal aus dem Netz gezogen und daran cholerisches Melanom gesogen. Man stelle sich ögyr vor, wieder mal wild am Schreibtisch mitdirigierend (wär' er nicht Pastor, dann Dirigent ;-). Nach der kantianisch edlen Pflicht krümmt sich die Kür in ihr selbstsüchtig verdrogtes Grab.

So (von der eigenen, ewiggesternd gestischen Romantikkarpfenzucht schlammig) berauscht dann auch noch beim 3-Uhr-Morgen-Besuch der frisch vernetzten ePaper-KN dies auf der Szenen-Seite, meiner Textabwurfstelle, gefunden.



Bin gar nicht nominiert für die Künstlerkomboklavkigedächtnismannschaft. Bin aber auch beim Fußball nur ein Nachläufer, stürmisch im Herzen, aber nur matter Sommerhauch im Lauffahrtwind. Hingehen müsste man natürlich am Sonnabend, zumindest als Ersatzhinterbänkler. Nur: wahrscheinlich verschlaf(f)e ich selbst das Public-Viewing-Viertelfinale (à la "Der Tag, als Public Viewing starb" (olles Bonmot für C.S.)).

Übrigens: Bei Mozarts "Prager" viele Querverweise zur Ouvertüre der "Zauberflöte" entdeckt und bei Mahler manches, das mich an Schostakowitschs traurig-ruppige Walzer erinnert.

Naja, so Exegesen, Bezüge, Querstände. Mit denen nu' ins horizontale Lilly-Anbetungsgewerbe (was nochmal eine andere Geschichte ist, die demnächst erzählt wird: im "Second (di.gi) Booke of Songes" ;-)

[finis primi libri]

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