Samstag, 2. Juni 2007

Die Lehren der Leere

Rocko Schamoni über die leeren Zeiten lange nach Punk.

Zum Abschluss der Ausstellung „Kein Kiel – Post-Punk und No Wave, Kieler Musikszene 1977-1982“ in der Kunsthalle las Rocko Schamoni – nach eigenem Bekunden „das definitiv letzte Mal“ – aus seinem autobiografischen Roman „Dorfpunks“. Im April erschien bei Dumont sein dritter Roman, im Januar seine womöglich letzte Platte. KN-Mitarbeiter Jörg Meyer sprach mit dem in Lütjenburg aufgewachsenen Multitalent über das, was „post“ Punk kam oder noch kommen könnte.


In „Dorfpunks“ beschreibst du nicht ohne Selbstironie eine Jugend, die Anfang der 80er mit Punk rebelliert, zu einer Zeit, als Punk eigentlich schon passé war. War das also Post-Punk?

Wir fühlten uns direkt im Zentrum von Punk. Das hatte eine originäre Energie. Aber wir hörten auch No Wave, ABC, Exploited, Discharge, alles bunt vermischt. Ob das Punk war oder „post“, war uns egal, wir hielten es für Aufbruch.

Eine Art „postmoderner“ Eklektizismus?

Für Eklektizismus muss man ein Bewusstsein davon haben, dass etwas vorbei ist, dass man eine vergangene Spur wieder aufnimmt. Das hatten wir nicht, für uns war das ein einziges lebendiges Jetzt.

In deinem neuen Roman „Sternstunden der Bedeutungslosigkeit“ ist der Held nicht mehr auf dem Dorfe, sondern in der Großstadt, kein jugendlicher Kraftmeier, sondern ein desillusionierter Loser. Ist das die Fortsetzung von „Dorfpunks“?

Das hätte der Verlag gerne so gehabt. Ich nenne es eine „gefühlte Fortsetzung“, denn es geht hier um etwas anderes. Punk war als Jugendbewegung ein Vehikel um sich zu befreien. Ab 30 wird das obsolet, da ist man befreit oder eben auch nicht, auf jeden Fall ist man nicht mehr Jugend. Es ist das Buch nach der Loslösung vom Vehikel Punk.

Und so autobiografisch wie „Dorfpunks“?

Nein, dann hätte ich einen Dieter-Bohlen-mäßigen Enthüllungsroman schreiben müssen. Hier sind 30 Prozent erlebt, 30 Prozent von anderen gehört, 30 Prozent frei erfunden und die restlichen 10 Prozent sind einfach Quatsch.

Apropos „Quatsch“: Der zieht sich durch dein gesamtes Schaffen, als Autor, als Musiker, als Entertainer und auch als Teil der Anarcho-Comedy-Truppe Studio Braun. Ist das so eine Art Gegenstrategie, etwas subversiv Subkulturelles, in dem die Haltung „Punk“ fortlebt?

Ja, eine Verweigerungshaltung – auch der Warteschleife Leben gegenüber – als imperatives Kontra, eine Sperrigkeit und Widerborstigkeit, die sich auch viele meiner mit mir älter gewordenen Kollegen bewahrt haben. Vielleicht ist das ein Echo von Punk, aber das Wort ist für mich nur noch Erinnerung. In dem neuen Buch geht es um die Lehren der Leere. Für den Ich-Erzähler ist die Leere, die er empfindet, ein Weg zu begreifen, wer er ist. Manche gehen in die Lehre um erwachsen zu werden, andere in die Leere.

Und in welche Lehre/Leere gehst du jetzt? Schreiben oder Musik Machen, Entertainen oder alles zusammen?

Das Schreiben war zunächst eine Zugabe, aber das Leben hat sich durch mich hindurch gegen die Musik und wohl fürs Schreiben entschieden. Das jüngste Album, das ich mit der Band Little Machine einspielte, könnte mein letztes sein. Denn man zahlt da nur noch drauf. Eine gut produzierte Indie-Platte kostet läppische 6.000 Euro, aber die spielst du damit nie und nimmer mehr ein. Ich weiß nicht, welche Sauereien der liebe Gott mit mir noch vor hat, es verändert sich gerade so viel in der Welt und einem selbst. Was ein guter Zustand für Kunst ist. Gute Kunst wächst auf dem Acker der Verheerung und Kaputtheit, das war schon immer so. Vielleicht manage ich weiter den Hamburger Golden Pudel Club, aber eigentlich hätte ich lieber eine Fahrradwerkstatt. Etwas gegen all die verblasenen Begriffe des Business: „Unterhaltung“ zum Beispiel – ich wünsche mir das Ende der Unterhaltung.

Am 21. September liest Rocko Schamoni im Metro-Kino aus „Sternstunden der Bedeutungslosigkeit“.

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