Freitag, 2. April 2010

Do, 1.4.10 (Fr, 2.4.10, 8:07): Aprilasthma

Nicht ins Bett morgens, sondern schwer atmend. Etwas wie Asthma, das stundenlang anhält und den Schlaf raubt. Muss in den 90ern gewesen sein, dass ich es so heftig hatte. Frühmorgens zum Arzt, der dem Rasseln horcht. Ja, asthmoid. Prise Salbutamol, die die Bronchien sofort lockert und entspannt. Ah! Danach Cromoglicin einschleichen, weil die Chose vermutlich allergischer Natur ist. Atemerleichtert heim und an der Oberfläche tief träumend geschlafen. Ziggies abgesetzt.

Keine Entzugserscheinungen. Den ganzen Tag ohne Bedürfnis zu rauchen. Auf dem Balkon atmend. Tauben landen frech wie Geier auf dem Gitter. Man kann ganz nah ran gehen, bevor sie dann doch abfliegen. Kulturfolger.

Womöglich sind die Rättlein die Ursache der Allergie. Unwahrscheinlich, aber möglich. Ausprobierend nah ran ans Gitter. Keine Atemreaktion meinerseits. Umso zärtlicher kommen die Tiere auf die Hand, als wollten sie mich überzeugen, dass sie nicht die Ursache sind. Lou und Lo zitternd, wenn man sie in die Hand greift. Dann sich beruhigend und neugierig schnuppernd. Mehlwürmer angeboten, fressen sie mit vorsichtiger Gier aus der Hand.

Spätnachmittags wieder an die Arbeiten. Kurzer Rauchreflex, sogar angezündet das Zauberstäblein, aber schon darob angewidert und ausgedrückt. Gelegenheit nutzen, da jetzt Ekel zu entwickeln.

Phlegmatisch zusehen, wie der Abend kommt, der erste im April. Zitscherzwischendurch immer wieder schlummernd. Ermüdet von der solchermaßen ausgewiesenen Nebenwirkung des Cromoglicins. Nikotin scheint passé.

Abends in den Blauen Engel, um über die Eberhard Blazer Show zu berichten für KN. Frei atmend sitzen an der Bar und sich das anschauen. Der Bar-Boy, wissend, dass ich berichte, mixt mir gratis einen Martini à la Bond, weil die Show diesmal unter dem Motto "007" läuft. Ich will ihn aber gerührt, nicht geschüttelt. Wird gemacht.

Nach Strohhalmen nicht greifen, sondern daran nuckeln.

Danach, wieder im Allerg-Raum, Skypen mit Lilly. Wir chatten parallel zu den Arbeiten. Ich mag sie, wenn sie arbeitet. Das den Atem befreiende Ping, wenn eine Nachricht von ihr kommt. Ich lese ihr Stendhals "Liebestrank" als Einschlafvertragsklausel vor. Gute Nacht. Parallel zu meinem PR-Baukasten läuft auf Vox Hitchcocks "Fenster zum Hof". Mein Lieblings-Hitchcock, weil der Hinterhof, in den James Stewart linst und teleskopt, Ähnlichkeiten zu dem einst in der Holtenauer 78 hat. Als ich da saß, asthmoid, erstmals Ziggies nicht nur paffend, sondern inhalierend und für das Physik-Diplom Quantenmechanik büffelte. Unschärferelation, harmonischer Oszillator.

Tunnel-Effekt!

Aus dem Super-8-Material von damals stumm zusammengeschnitten:

Mi, 31.3.10 (Fr, 2.4.10, 7:52): Abwesenheit

Die Schwierigkeit des Abschieds. Lilly reist ab. Ich bringe sie zum Bahnhof. Unser Modus dort: Kurz und schmerzlos. Damit es weniger weh tut. Als ginge man nur mal kurz vor die Tür. Warum fällt mir das diesmal, wenn doch geübtes Ritual, so schwer? Ich folge dem Beschluss des kurz Schmerzlosen. Stehe dann aber am Ende noch am Gleis, als der Zug schon vier Minuten weg ist.

Widrig wieder zuhause, schmiegt sich der Schmerz in die Kurven der Arbeit. Eigentlich war beabsichtigt, hier einiges nachzutragen. Dennoch verliere ich mich zwischen Anzeigenspalten, PR-Texten en masse und allerlei Aufräumarbeiten auch sonst. Plötzlich ist es Zehn und ebenso plötzlich müde.

Schlafwasserfälle.

Dann nachts wieder nicht ins Bett findend, bis der Morgen graut.

Erstes Quartal des di.gi.ariums ist rum. Füllfunker oder Philosoph? Das bleibt die Frage.

Mittwoch, 31. März 2010

Di, 30.3.10 (Mi, 31.3.10, 7:08): Reiz des Uneigentlichen

Eigensinn ist bei Negt/Kluge einer der wichtigsten Topoi, wie ich vor bald 14 Jahren in der Hochzeit des Literaturwissenschaftsstudiums lernte. Der Eigensinn des Materials, seine Art "Willen" noch vor der "Vorstellung", macht die Sprachen der Kunst, ihre Ausdrucksformen zu uneigentlichen. Form (Bedeutendes) und Inhalt (Bedeutetes) sind so auf immer wieder reizende Weise inkongruent, dialektisch. Kunst als der Vorgang, Prozess, der Streit von These und Antithese, weniger deren zur Statik des Letztgültigen, Fertigen neigende Synthese.

Zu spät aufgewacht (dennoch eigensinnig die Ökonomie der nach Minuten zählenden Zeit berücksichtigende Vorbereitung: Waschen, Fönen, Legen) zum Interview mit Gerald Eckert. Frühling des Denkens an der Förde, sich entwickelnd im Gespräch, knospend in den Begriffen, deren Blütengestalt zu formen, dann meine Aufgabe sein wird im Artikel für die Monografie über ihn. Das zwischen Tür und Angelnde. Ich hab' keinen Plan, er hat keinen. Ist auf dem Sprung nach Pacific Palisades zum dreimonatigen Stipendium in der Villa Lion Feuchtwangers.

Am Pazifikküstchen der Förde Reden über das Uneigentliche, den Eigensinn des musikalischen Materials, das sich in asymptotischen Grenzannäherungs- und -überschreitungsprozessen (Tunnel-Effekt!) manifestiert. Es geht um die "Anreicherungen", die sich im Abstrakten herausbilden, um Beständiges, weil im Entstehen (oder Vergehen), um Fluktuationen, um Unschärfen, die sich gerade im streng Determinierten ergeben.

... jetzt mal so vorläufig und vorauseilend hörsam in den Skizzenblock geraunt ...

Eckert: "Das Nichts ist nicht nichts, nur eine Abwesenheit des Nicht-Nichts." Das da Seiende ist nämlich dann besonders da, wenn es gerade nicht "am Platz" ist - bitte rufen Sie später nochmal an; oder: ich rufe zurück. Oder anders kassibert: Das Wesentliche als Eigentlichkeit des Wesens wird in seiner Abwesenheit besonders gegenwärtig. "Kampf ums Dasein, um die Körperlichkeit" nennt Eckert das, ohne damit sowas wie Daseinskampf zu meinen. Der Kampf erfolgt ohne jeden Krampf, geradezu entkrampft, wenn das Da nicht da ist, sondern abwesend. Wobei mir einfällt, dass "abwesend Sein" ja auch eine Metapher für eine Art meditativer Versenkung ist, für eine besonders "da-e" Form des Daseins.

Nach dem Interview gehe ich an der Förde entlang, nordwärts rund 200 Meter vom "Blauen Engel" bis zur Hauptpost an der zollvergitterten Hafenlandschaft vorbei. Auf Reede die Schiffe, dieses Kiel-geholte Postkartenbild auf einmal sehr scharf, sehr farbig, sehr "da". Dies bemerkend bin ich, werde ich abwesend.

Noch mit solchen Obertönen im Hirn heim zu Lilly. Und Aufbruch in die soul-musik-begeigten (später hören und schauen wir bei YouTube Shakira) Shops. Lilly stellt sich eine Kollektion zusammen. Noch in Tüten scheint die mir uneigentlich, eigentlicher, da-seiender, wenn sie die auf unserer Matratze ausbreitet. Das ist Kunst, da passt eines zum anderen, fügt sich in sowas wie Konzept und bewahrt doch seinen Eigensinn. Ich bin geradezu bestürzt von ihrem Formwillen, der luzide bis lasziv mit den konnotierten Inhalten spielt. Strümpfe mit nur 20 DEN, schwarz. Zehensinfonien. Und wie sie badet.

Die Anwesenheit von Kunst, von Ewigem im scheinbar nur Alltäglichen, Ephemeren.

Noch eins-zu-einse, undialektische, eigentliche, entfremdet entfernte Arbeit danach in der Nacht. Doch noch ist sie wach, stundenplant die Zukunft, unsere Tage, die Nächte, die Wochen, die kommen, die Monatszyklen, die Jahre. All das wird kommen, ohne dass wir gehen müssen.

Mo, 29.3.10 (Mi, 31.3.10, 6:32): Die Häme der Bohème

Wenn ich denn Epochen des Wir und des Ich vergliche, wenn ich denn Einzigartigkeiten der jetzigen gegenüber früheren Zweisamlebensformen aufzuzählen hätte, dann wäre es die, dass mit Lilly dies Bohème-Leben möglich ist. Dies in den Tag hinein, dies augenblickshafte, dem freilich die Widerstände der Arbeitskontinuitäten im Wege stehen.

Am Montagmittag, eben erst aufgestanden von den Matt-Ratzen, quillt das Mailfach schon wieder über von Erinnerungen an Versäumtes und Aufgeschobenes. Darob aber nur kurzzeitig die Panik des protestantischen Arbeitsethos. Die Häme der Bohème: Was du heute kannst besorgen, reicht auch noch bis morgen. Denn dazwischen ist die Nacht, die keine für niemand, sondern im Fall diesen Falles für die Arbeit ist.

Dennoch mein schlechtes Gewissen, dass ich die Zeit mit Lilly zu sehr durchfurche mit Arbeit, zumindest mit dem Klagen darüber, dass die Arbeit noch getan werden muss ("die Trauer der Arbeit, noch zu verrichten" war dafür früher mein intrinsischer, selbstverliebt eigenbrötlerischer Topos). Faszinierend gleichwohl, wie Lilly das "managet", wie sie intuitiv weiß, wie man mich von diesem Weg der Tugend abbringt - auf den der Treue zu einem Lebensentwurf, den wir nicht erst entwerfen müssen. Er wirft sich von selbst aus der Geworfenheit.

Mit ihr immer wieder diese Momente der schlaflosen, weil (in aller Müdigkeit und Trägheit, die von der Leber her weht) aufblitzend wachen Aufmerksamkeit. Ich sitze am Schreibtisch und sie fliegt herein und wieder heraus - und ich erhasche nur den Blick ihres Ganges, an dessen Beschreibung ich noch werkle: Ist er feenhaft tanzend oder erdnah ätherisch? Unsere Bohème und ihre Bodenständigkeit. Wie sicher wir auf dem dünnen Eis gehen, weil wir einander vergewissern, dass wir schwimmen können. So vielleicht beschreibt es sich.

Snapshots von Glück. (Wahrlich, verliebt bin ich.) Sie schneidet mir die Haare und stellt sich dabei so gewieft ungeschickt an, dass ich mich danach im Spiegel wirklich bewundere. Die Zauberin, die mit ihrem Zauber nicht hinterm Berg hält, sondern ihn versetzt.

Der Traum des Vormittagsschlaf (immer wieder aufgewacht und auf den Zettel gescrabbelt) skizzierte indes Szenen für ein Off-Theater, kurzfilmig Flimmerndes, disparat:

- das davor des danachs (das olle "schon noch nicht")

- bohämisches grinsen (gras / alices katze)

- der grad der augenöffnung des mönches, er drückte bereits beide zu, ließ keinen rückschluss auf das ausmaß und die bedeutung des gebeichteten zu

- hin und her und also ungezogen

Montag, 29. März 2010

So, 28.3.10 (Mo, 29.3.10, 9:33): Paradiesbrüche

Lilly bezweifelt's, will Beweise, Versicherungen, dennoch ist mit ihr das Paradies, selbst wenn ich an ihrer Seite es, damit sie und den halben Tag verschlafe (nach Nachtschicht, wiederum in Nachtschicht durchwacht und entschlummert).

Augenweide Tag 3, und noch mehr Gedicht. Das hier, weil für Zeitung und Website, nur stoisch gelinkt, um die Text-Paradeiser (treulose Tomaten) in Weiterleitungen mutwillig zu brechen. Davon war die Rede.

ad 1: Paradies Flaschenhals in der Schlinge

ad 2: Pralinenbruch im Paradies

Sa, 27.3.10 (Mo, 29.3.10, 9:04): Traumbaukran

Hinterherherherhinkend die doch noch Fortführung des di.gi.ariums:

Hatte morgens einen surrealen Traum von einem Material, eine Art Knete, das Traum in Wirklichkeiten verwandelt. Quälend dabei die verspätete Morgenerektionserkenntnis des ehemaligen Physikstudenten, dass das zirkelschlüssige Probleme der Chaostheorie aufwürfe. Das weiß ich noch im Traum. Lilly weckt mich, ich erzähle ihr sofort den Traum (nehme ihn dabei als Sprachmemo auf dem iPhone auf - wird hier baldmöglichst verschriftet nachgeliefert), sie findet ihn "kewl". Ich auch. Dann erzählt sie mir ihren Traum. Seltsame Ähnlichkeiten.

Abends Kurzfilmprogramm der Augenweide. In all meiner Wut über das ewig Gleiche der Wiederholungen sticht ein Musikvideo von Christian Mertens zum Song "Baukran" von Niels Frevert heraus. Es zeigt mich beim nicht Springen, quasi als Bademeister der Texte. Findet sich im Netz wie hier:



Und ich schreibe darüber in infomedia-sh.de:

Musikvideos geben durch ihren genau definierten Verwertungszusammenhang zwar ein versatzstückhaftes Repertoire an filmischen Gestaltungsmitteln vor, gleichzeitig erweisen sie sich aber immer wieder als sehr offenes, experimentierfreudiges, wenn nicht sogar experimentierpflichtiges Genre. Zumal, wenn es sich der Liedermacher wie in Niels Freverts Song "Baukran" sogar verbittet, ins Bild zu kommen. Christian Mertens ist ein erfahrener Werbefilmer, dort verdient er (zur Zeit noch) sein Brot. "Baukran" dagegen, so sagt er, war ihm "eine Herzensangelegenheit", weil ihn der Song, "obwohl ich den Text bis heute nicht genau verstehe, sehr berührt" hatte. Lange musste er mit Frevert und dessen Label Tapeterecords ringen, um den Song "verfilmen" zu dürfen. Frevert verwarf immer wieder Mertens' Ideen, ließ ihm dann aber ganz freie Hand. "Mit geschlossenen Augen und Flattern in den Armen steh' ich in der Gegend, alle Lichter an, auf Füßen aus Beton, wie ein Baukran", betextet Frevert eine Situation des Zauderns, der Angst davor, einen notwendigen Schritt zu tun. Mertens erzählt dazu die Geschichte eines Jungen, der sich vor dem ersten Sprung vom Drei-Meter-Brett im Schwimmbad fürchtet, ihn sogar scheut, um dann doch noch zu springen ... Von der Umkleidekabine, wo ihn die anderen Jungen anfeuern, über den Horror der Höhe auf dem Sprungturm, die Hänseleien beim Verweigern des Sprungs bis zum befreienden Eintauchen ins neue Nass hat Mertens alle Schattierungen dieser "Mutprobe" eingefangen – in die Furcht vor dem Sprung quälend dehnender Zeitlupe, in vorwiegend Nah- und Großaufnahmen, die zuweilen fast surreal anmuten. Entstanden ist eine filmische Metapher über einen Augenblick der Selbstüberwindung, in magischen Bildern, die bis in die minutiöse Farbgestaltung hinein den Song hochgespannt, ja packend - eben nicht nur - illustrieren.

Samstag, 27. März 2010

Fr, 26.3.10 (Sa, 27.3.10, 6:09): "Verewigungsanträge"

Hier müsste mehr auferstehen, mehr Text, bevor ich mich hinlege. Allein, über den Tag trudelten wieder die Veränderungsaufträge und [Ge/Er]stellungsgesuche von Anzeigen, Plakaten &c. im Mailfach ein, alles sehr dringend, brandeilig, versteht sich. Und so bleibt das auf den Schluss vor dem Hinlegen geschobene Tagebuchprotokoll "wortkargoistisch".

So ein Wort von Lilly, von denen sie so manche an einem Tag spricht, fast zu beiläufig für die Schlauheit, die Erkenntnisdurchdringung im Wort, die sie damit zeigt. Heute, während wir das Grünbein-Interview von gestern schauen, etwa dies: "Jedes Wort ist vorbestraft."

Klasse! Und gilt gerade hier.

Dann schauen wir bei YouTube noch Sloterdijk zu, wie er einen Interviewer auseinandernimmt. Und wie er über "religio" redet, die "Verewigungsanträge", die wir alle, gläubig oder glaubensfaul, der Existenz ab- und zuraunen.

Lilly und mir reichen dazu Blicke.

Abends vor dem Augenweide-Kino, bei dem ich öfters Kinoschlaf übe, noch durch die Stadt, schöne Stoffe schauen und anprobieren. An ihr sieht alles immer gut aus, in meinen kargen Augen. Deshalb bin ich wenngleich kein schlechter, so doch zumindest kein sonderlich verlässlicher Modeberater.

Obgleich ich mich mit den Moden des Geistes auszukennen meine. Darob lächelnd endlich auf die Matratze nahe den noch surrenden Rechnern, die mit etwas rechnen, mit "religio".

Freitag, 26. März 2010

Do, 25.3.10 (Fr, 26.3.10, 0:19): Ton anlegen

Gedichtfragment noch aufgewacht am frühen Morgen, trunken:

--- snip! ---

dem ersten

das letzte ist dem ersten doch zuvor,
ihm klingen seine glieder.

wenn du es gut machst,
wird man gar nichts (an)sehen.

das siehst du,
hörst in dir die berührung.

das geräusch der brechung,
brandung, scheiternde schiffe.

--- snap! ---

Als ich um kurz vor 16 Uhr aus der Haustür trete, 19 Grad. Frühlingsgetönt.

Auf dem Weg zum Workshop "Der gute Ton". Im Prinzip Bekanntes (oder leicht Denkbares), aber Vergessenes über die Rolle des Tons im Gesamtkunstwerk Film. Erkenntnistheoretisch mitgedacht: Was können wir wissen? Was können wir hören? Das Gehör als unspezifischerer, aber darin trennschärferer Sinn als das Auge, weniger wissend als fühlend, ganzheitlicher (oder Ganzheiten stiftend).

Nach hause kommend ist - sinnliche und damit umso sinnhaftere Überraschung - Lilly da, angereist. Wie ein Geschenk. Vertraut gleich wieder. Danach huschelnd Filme schauen. Auf ihren Ton hören, den der Filme und den Lillys. Ihre Stimme hat etwas Lyrisches, mich Anrührendes, "eine Saite in mir zum Klingen" Bringendes, sowas eben. Wie sich die eben noch theoretischen Gedanken auf dem Nach(t)hauseweg an der plötzlichen Praxis prüfen. (Und alliterieren.)

Im TV jetzt gerade (wird recordet) philosophisches Gespräch mit Durs Grünbein über Lyrik als Philosophie, genauer Descartes als Dichter (oder Dichtung) und Erfinder des lyrischen Ichs als Erkenntnissubjekt.

Auch hier gleich wieder weiterspinnen. Im Gedichte Machen muss/will ich noch mehr auf den Ton, die Stimme achten, den Klang der Worte mehr berücksichtslosen als ihren Sinn.

Parallel zum TV, online sozusagen, direkt gebloggt, gleich mal anfangen (den Sinn im Ohr finden, das immer noch bisschen rauscht).

--- snip! ---

ton anlegen

die rüstung der ratio, kettenhemd
und schild und schwert der dj-partys
abgelegt, auf den ton anlegen.
fremdgelauscht und -geschämt dem wort:
binnenschifferreime, donaudampfschifffahrt-
versenken, treffer aufs geviert.
alle macht dem offbeat in
"keine nacht für niemand",
dem holpern des rhütthelmus den igel voran
geschickt gebürstet, geplättet
lyrische leinwand, die laken
weißgemacht, darauf dem "uh!" das "ix"
angekreuzt (abgenagte nägel).
und schilderung und schwer die slams und simse.
ja, yeah! die worte zerklingeln
hinab in den gefallenen brunnen der wörter.
ihnen das gurgeln guillotiniert.
die laute des kopfes über der kloschüssel.
die geräusche des schwamms, gewrungen.
als dichter ist man fo(o)ley,
geräuschemacher. und die atmo aus dem iphone-
recorder, der sich abdichtet: "this is
a recording." dies ist ein. "a rose is ..."
keine ohne dornenkrönung im spiegelsaal
von compiegne, wer hinhört und -träumt
hört das leise der schlachthöfe
(quietschen von scharnieren, krachen von haarbälgen).
innen/tag/großaufnahme: aufschlaggeräusch
der haarbüschel in einem frisierten salon.
türen, die aus dem schloss fallen,
denen die schlösser ausfallen wie
zähne. durchkauen, durchkauern
die nacht (die schlacht) ((die wacht)).
aufwachen, nicht erwachen, keine erweckungs-,
sondern einweckungserlebnisse, das schnappen
des weckgummis, an einer zwille zweckentfremdet
und damit seiner lautenden bestimmung
zugeführt, die staatsfeinde auf paletten,
ihre perlschnurgebete, mühlsteinern verzückt
im besitzbewusstsein der wahrheit.
ein knie geht um die welt,
anstößig in deine weichen.

ton angelegt

Donnerstag, 25. März 2010

Mi, 24.3.10 (Do, 25.3.10, 2:37): direkt gebloggt

gequält von einem andauernden reizhusten kaum geraucht und früh geschlafen. jetzt aber wieder wach. nichts zu schreiben im di.gi.arium, deshalb direktes protokoll liegend auf dem bett mit tv an.

2:40:
schlafforschung an jugendlichen. ergebnis: jugendliche kompensieren mangelnden schlaf durch intensiveren schlaf. das kann gelernt werden, angelernt und sich bis in spätere lebensjahre erhalten.

2:44:
wissenschaftsmagazine im nachtmarathon der wiederholungen für randgruppen. das gegenteil von "prime times".

2:48:
gewichtheben und gehirn. ungenutzte muskelfasern.

2:52:
metaphysischer hunger.

3:00:
wie lerne ich, mich selbst zu mögen, wenn ich weiß, das ich nichts besonderes bin? wenn jeder etwas besonderes ist (humanistisches postulat), ist das besondere nicht besonders.

3:05:
dachte plötzlich, ich hätte nachts noch einen filmclip recordet. er lässt sich nicht auffinden, traum, datenverlustig.

3:09:
wie funktionieren eigentlich grenzziehungen, feststellung von frontverläufen? wer definiert linien in der fläche? der raum als definitionssphäre.

3:13:
gerhard roth: reise ins innere von wien. fotos und texte als dokumente. fotos, sagt roth, gehen schneller, seien wie lyrik - im gegensatz zu essays.

3:15:
schläfriger werdend zwischen den zeilen. zwischenzeiliger, träumender.

3:21:
das ich sind seine aspekte. nietzsche ... einheit in vielheit. dagegen: zersplitterung in einzelheiten.

3:26:
ausstellung über sockel (bremen)

3:29:
einschlafhilfe text. nur noch telegramm, schon farbiger traum ...

Mittwoch, 24. März 2010

Di, 23.3.10 (Mi, 24.3.10, 2:34): Datenverlust

Schrieb ich gestern übers Erinnern, löscht es sich heute aus. Durch Unachtsamkeit, durch vergessenes Backup. 102 DVDs mit aus dem TV aufgenommenen Filmen befinden sich im sechsten DVD-Kästlein. Dazu gab es bis heute auch eine Textdatei mit Inhaltsangaben und filmografischen Daten. Nur ist die plötzlich kaputt und lässt sich auch mit allerlei Werkzeugen aus der Trickkiste des Archivar-Daten-Archäologen nicht wiederherstellen. Damit sind nicht nur die Daten verlustig, auch die Stunden, die sich in der Summe ergeben, die man damit zugebracht hat, das Archiv zu pflegen.

Unauffindbar versunken nun im Datenstrom. Es bleiben nur die DVDs, alle mit Titel beschriftet - immerhin.

Der stechende Schmerz erst im Moment des Datenverlusts, diesen realisierend. Dann die Erleichterung, dass der Verlust zu jeder Sammlung gehört. Ein bisschen Tod, dessen Requiem die dennoch getreulich gebrannten Datenträger bergen. Künftig wird das Archiv ab Ordner Sieben also noch manche Doppelung beherbergen.

Im Gespräch heute mit T.K. im STATT-Café eben solche Erleuchtung, wie wir uns vom schon Angesammelten und dem, was Sammlung fordert, terrorisieren lassen. Als erstickten wir irgendwann im Archiv, als sei das Leben, wenn es nur genug Archiv im Hintergrund und in seinen Kellern hat, unfähig, Neues aufzusammeln. Kleiner Diskurs über Fluch und Segen des Netzes. Ich find’s beruhigend, dass das Netz mein Eckermann ist. Was dahin gestellt ist, kann kaum noch verschwinden. Sollte die hiesige Festplatte das di.gi.arium.10 einst fressen, im Netz wäre es noch.

Und gerade deshalb ist das di.gi.arium!

Bestürzend freilich auch die Vorstellung, zwar hinter dem Text verschwinden zu können, aber nie mehr die Fassade, die der Text ist. Und dass wir die Erinnerung nicht wirklich verlieren können – selbst wenn wir wollten. Eine Heimsuchung, aber auch eine Heimat.

Weiter, getreulich und fleißig mit Volume Sieben der Sammlung, dem verflixten.

Dienstag, 23. März 2010

Mo, 22.3.10 (Di, 23.3.10, 3:50): Erneu(er)t auf der Weide der Worte

Am zweiten Tage spannt man einen verjährten Film der Röntgen-Kamera aus. Das Material der Dichter hat das Haltbarkeitsdatum überschritten. "Best before" ist längst verstrichen, doch das Zelluloid ist haltbar, verweigert man ihm eine Flamme, einen zündelnden Gedanken, schwimmt vielmehr nachts und nackt im Feuerwehrteich inmitten dieses Dorfes im Holsteinischen und noch im Winter, obwohl vom Datum her schon Frühling wird gezählt.

stille weide

wo schafe friedlich weiden und das lamm
noch fellfeucht seinem satansbraten harrt,
wo kaum zu fuß man vorwärts kriechen kann,
weil ist in meilensteinernes vernarrt,

selbst schneckenfüßen siebenmeilenstiefel
angezogen hat, als wär' das rennen
nicht längst schon ausgeronnen in die tiefe
eines brunnens, dessen grund wir kennen.

ich schrieb einmal, dass bäche bergan fließen,
dass dies das zeichen ist für die revolte,
das aufwärts gegen's abwärts zu beschließen.

allein, die weide liegt dem schaf zu füßen,
das ihren zäunen seine wolle zollte.
kein hirte, der für mich das wollte büßen.

ögyr liest's

So, 21.3.10 (Di, 23.3.10, 3:14): Belichtung

Jeden Tag spannt man einen neuen Film in die X-Ray-Kamera, die durch die schüchterne, störrisch gehörnte Haut nach innen blickt. Und am Abend ist nichts drauf, weil nur Sonnenlicht schien, das die Bleiplatten nicht durchdringt. Erst spätnachts verschiebt sich das Spektrum zu Wellenlängen kürzer als Ultra-Violett - zum Sonett.

spinnwebe

auf dem (becken-) boden sammeln sich
spinnverwoben falt'ge bücherkisten.
erinnerung: wie still das wasser glich
zur mondnacht ausgeblichenen vermissten.

keller dunkeln ähnlich das verzichten,
stäuben bilderstapel leise zu.
in akten stehen zeichen, den gedichten
zu empfehlen löschpapier'ne ruh'.

den archivar, dem jetzt der bart ergraut,
zu tief ins weinglas und das grab geschaut,
treibt noch der lyrikschub aus dieser lade.

dem schreiber wie dem leser ist's kein schade,
wenn manches in archiven bleibt versteckt
und solchem vers des reimes paar verreckt.

ögyr liest's

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