Freitag, 19. Februar 2010

Do, 18.2.10 (Fr, 19.2.10, 4:29): Flaschenpost

Uff: Tag, der sich geradezu unbemerkt aber stetig vollstopfte mit Arbeit. Kaum weggekommen von den Tasten und Fenstern. 124 Lebensart-Veranstaltungskalender-Pix durch den Konvertierungswolf gedreht, Anzeigen ins Vor-Layout gepolstert und also als "Chef" nach- und vorgearbeitet, was meine "Subunternehmer" geliefert haben oder noch bearbeiten sollen. Kein Kunst-, aber ein Konvertierungs-, Kontroll- und Korrekturmonster. Und alles für lau, weil ich den spärlichen Lohn in Gänze nach "unten" weiterreiche, mich nur als (Ver-) Mittler der Arbeit sehe, nicht als deren Ausbeuter. Ein seltsames Konstrukt, allein, es ist ideologisch begründet. Und seit Jahren eingeführt.

Abends dann los in eigener, weil KN-Sache. Das GlasBlasSing Quintett im Lutterbeker, an dem ich mich wie folgt metaphernd, alliterierend und berauscht vom eigenen virtuosen Flaschenpostwort vergehe ;-)

--- snip! ---

Alleskönner auf Altglas

Das GlasBlasSing Quintett zeigte im Lutterbeker, welche Virtuosität in Flaschen steckt.

Lutterbek - So mancher Pop-Star und Komponist dürfte in seinem Altglasgrab fröhlich mitgepustet und -geklöppelt haben, hätte er im Lutterbeker bei der musikclownesken Flaschen-Performance des GlasBlasSing Quintetts dabei sein können. Zum Beispiel weiland Beethoven, dessen fünftsinfonisches Pochen an die Schicksalspforte geblasen und geploppt auf liedseligem Leergut allerliebst den Opener macht.

Vor drei Jahren entdeckten die Berliner Profimusiker die Flaschenmusik und zeigen in ihrem neuen Programm "Keine Macht den Dosen", dass es mehr als eine Bierlaune war, das "Alleskönner-Instrument Flasche" vom Biertisch auf die Bühne zu heben. Ihre vielfältigen und hochvirtuosen Techniken, das Altglas und PET-Plastik durch Blasen, Schlagen, Streichen oder Schrammeln konzertant zum Klingen zu bringen, haben sie seit dem ersten Programm "Liedgut auf Leergut" deutlich verfeinert - nicht nur, weil Peter die "abgefahrene Sonnenbrille jetzt sparsamer einsetzt", nämlich nur, wenn es Elvis in den Altglas-Container zu entsorgen gilt. Ein "kleines grünes Fläschchen" steht statt Comedian Harmonists' gleichfarbigem Kaktus auf dem Balkon und "zischt, zischt, zischt" nicht nur aus dem Flaschenhals, sondern auch aus den Kehlen der fünf Flaschosolisten, die sich auch gesanglich als äußerst versiert erweisen.

Fünfstimmiges Konzertieren ist ja schon auf "normalen" Instrumenten nicht ohne, mit verteilten Tönen auf jeweils vier bis sechs Flaschen - da fällt schon die Akrobatik des Festhaltens ins Auge. Nicht zu schweigen von der Raffinesse, mit der die flas(c)henden Five ihre Orgel auf fünf Lippenpaare aufspalten und klanglich dennoch höchst homogen zusammensetzen. Natürlich hat das neben dem Virtuosen- vor allem auch einen Spaßfaktor, gerade wenn sie Howard Carpendales Schmonzette "Ti amo" nicht nur flaschengetönt, sondern auch trefflich umgedichtet in "Zieh-har-monika" zum Besten geben: "Wir waren wie Tonika und Dominante, Charlie und seine Tante, Don Quichote und Rosinante" ... Das ist auch onomatopoetisch ein hervorragendes Altglas-Recycling.

In der ersten Liga des humoristischen Liedermachens spielen auch die erstmals zu hörenden eigenen Songs des Quintetts. Frei von Flaschenbezügen sowie derer vorheriger Leerung mit Nebenwirkungen wildern sie textlich wie musikalisch munter in den Flaschenkisten, wenn der "frühe Vogel", daran verzweifelt, dass er den Wurm nicht fängt, weil der noch tief vergraben schlummert, oder die "Zeit macht, was sie will", obwohl sie sich so trefflich in einen 15-Minutentakt bringen lässt, nach dem offenbar die ganze Welt tickt.

Auch instrumentlich sind die GlasBlasSingers äußerst innovativ mit Wasserspender-Bassdrum und Wasserspender-Djembe-to-go, die im Verein mit den klickenden Griffen von geschleuderten Weißbier-Six-Packs eine Samba entfachen, wie Rio sie noch nicht gehört hat, weil man da nur Rum trinkt. Nicht weniger alleskönnerisch altgeglast setzt Mozarts "Türkischer Marsch" auf Plopp-Phon und dem Flachmann-Xylofon dem Ganzen einen bejubelten Kronkorken auf.

--- snap! ---

Lilly währenddessen ein ums andere Mal vertröstet, statt getröstet in ihren Zweifeln. Zwischendrin mit ihr durch die Shops auf der Suche nach so Seltenem wie weißem Puder (Talkum). Unser Forscherdrang zwischen den Regalen. Ihre Schritte, mal zweifelnd, dann wieder so hüpfburgfroh, beobachtet. Ihre Zöpfe, die sie sich ins Haar webt. Ach ...

Zurück vom Arbeitsdatum schauen wir "E-Mail für dich" und sind beide dauernd den Tränen nah. Ist es doch unser Anfang, das Auflaufen zu Hochform in den E-Mails an das noch unbekannte, aber schon geliebte Gesicht. Das allnächtliche Gedicht an ein Gesicht, das noch verborgen war. Und es manchmal noch ist, wenn wir uns anschauen, ebenso verliebt wie fragend.

So nah wir sind, immer wieder diese kleine Ferne, folgend aus ihrer und meiner Geschichte, die wir erkennen in den Gesichtern. Auch das ist Flaschenpost, der "Kassiber" (Lilly meint zurecht, ich solle dieses Wort nicht überstrapazieren, allein es klingt so schön ...). Und wie wir jetzt selbst Geschichte(n) schreiben, ohne es (oder nur ein bisschen) zu merken. Wie wir an zukünftigen Erinnerungen arbeiten. Über jeden dieser stillen Tage und Nächte, wohnend und arbeitend am verschneiten Rathausturm, werden wir einst reden mit dem Präfix "Weißt du noch ...". Ist das beängstigend oder hoffend? Es ist immer noch, immer wieder neu. Es ist das Stammeln der Küsse, die all das nicht glauben können, was war, was ist, was sein wird.

Und so geht auch diese "E-mail für dich" flaschenpostend in diese Nacht. Geleert angeblasene Mezzo-Mix Zero 1,5 l PET-Flasche tönt übrigens, wie das "App" "Cleartune" auf dem iPhone vermeldet, als ein 220 Hz-A plus drei Cent, wohltemperiert gestimmt.

Donnerstag, 18. Februar 2010

Mi, 17.2.10 (Do, 18.2.10, 2:02): innen

auswendig die hände:
auch im dunkeln finden sie
die kammer der
umarmung.

sündverzüchtig klöppeln
die laute an die wände,
sinken singend in die kissen
und schütteln sie auf.

trostwahrheiten ausgetauscht
wie die lämpchen der lichterkette,
das wasser im kühlschrank
und alle tassen im schrank

umgedreht, mit den augen
nach unten gewandt, stehen
sie in reih und glied,
bereit zur füllung.

Mittwoch, 17. Februar 2010

Di, 16.2.10 (Mi, 17.2.10, 3:45): liftoff

Die nunmehr einmonatliche, zwölfteljährliche Häuslichkeit mit Lilly erzeugt (Ritalin-;-) Rituale, etwa dieses, dass ich den Müll herunter bringe. Während ich den Lift hole, um abwärts zu fahren, ist ausgerechnet Meyer-Hohenwestedt am gegenüberliegenden Dach "am Gange", die Schneelast zu beseitigen. Auf einer Hebebühne fahren die Genossen auf und ab und schaufeln überschüssigen Schnee. Vom Dach der Welt. Schmutzig liegt das Weiß hernach am Boden der gegenüberliegenden Rathausstraße.



Ich finde das faszinierend. Später am Tag schleppe ich Sprudel heran, Pizza, Spinat, den Iced Coffee in Bechern. Und ich mache Artikel, das Interview-Perpetuum-Mobile. Was Wise-Guys-Sänger Nils Olfert mir zu sagen hat, reicht für einen 120-Zeiler, ist aber Füllfunk.

Mit Lilly weiter durch die Tatorte, jetzt nach Münster (alle gesehen) die Kieler. Berückend, wie sie weint, dass der Täter auch ein Opfer ist. Ich weine mit und gieße mir hernach Wein und noch mehr ein. Während ich infomedias Berlinale weiter als Tischredakteur verwalte.

Das kostet Zeit, in der Lilly liest, sich die "temps perdu" der Psychoanalyse erschließt und einschläft. Ihr Profil mit Brille, konzentriert - allerliebst. Gefühlt: Ich muss sie nicht anfassen, sie zu fühlen, es genügt das Ansehen, mich zu versteifen auf sie.

Spätnachmittags, während sie in Buchhandlungen wildert und Prousts sämtliche nämliche Erzählzeit entdeckt, anrufend, ob ich die im Regal habe (habe ich - perdu), dusche ich mich, sprühe mich hernach ein mit Essenzen.

Sie riecht derweil nach uns.

Und die Rättlein, wie sie Männchen machen, die Zähne gebleckt, neugierig. Sie schlafen, augengeduckt, auf der Aussichtsplattform des Käfigs ... und sind mit Brotkrumen lockbar auf das eiskalt auffahrende Händchen.

Aus all dem wird Liftgedicht wie folgt:

--- snip! ---

augengeduckt

sängen wir nicht, sänken wir
als tintenfleck auf die leinwand,
als tippexspur auf den schirm,
als kuss auf blassgeküsste lippen.

sänken wir nicht, sängen wir
das tatorttödliche lied musischer lolitas,
das blondgeschäft der perücken,
den mausetod im kaufhausrausch.

holten wir nicht den fahrstuhl halbzwölf,
entließen wir uns nicht im tiefgeschoss fünf vor,
zählten minuten, die eine
zigarette braucht

auf den schnee zu wehen vorm haus,
auf das dach,
in uns,
verweht verzehrten.

Dienstag, 16. Februar 2010

Mo, 15.2.10 (Di, 16.2.10, 3:09): sesshaft, Schachtel

Die Idee für den Text von heute kam erst ganz spät, nach langem weißen Bildschirm. Sie kam wiederum vom Bildschirm, als Bild statt Wort. Namentlich aus "Kitchen Stories", in den Lilly und ich noch spätnachts reinschauen.

Ein archetypisches Bild einer selbstgewählten Sesshaftigkeit: In dem Film ist Folke Beobachter in der Küche von Isaak. Jeden Morgen kommt er mit Aktentasche aus seinem Wohnwagen vor dem Haus und setzt sich auf den Hochstuhl in Isaaks Küche. Die Aktentasche hängt er an die Lehne. Alles, was er braucht ist darin, sie ist das Häuschen seiner Utensilien, Schachtel in der Verschachtelung. Der Stuhl als eine Art Camp oder Basislager ... oder Steuerstand. Es geht darum, dort auszuharren.



Das Basislager für die Nacht: Folkes eiförmiger Wohnwagen vor dem Haus. Gemütliche Häuschen der Einsiedelei.

Erinnerung an die Kindheit, wo ich in Nischen und mit Pappkartons Höhlen baute. Dort ausharren mit angehockten Beinen. Stille üben. Nur leises Rascheln.

Oder geschlüpft in einen Schlafsack, mit Taschenlampe am Mann.

Alles Reisen ins Unbewusste, mutwillig und mit gewissem Forscherdrang. An unwirtlichem Ort Heimat schaffen. Senkblei in trocken gefallene Brunnen. Abgeschiedenheit. Unter die Decke gekrochen.

(Die Rättlein zeigen ähnliches Hausbauverhalten.)

Gefühl von Schachtelhalmen.

Montag, 15. Februar 2010

So, 14.2.10 (Mo, 15.2.10, 0:09): Filme streifen

Der Wunsch, die Tage, wie sie so fließen, festzuhalten, alles zu webcamen und immer ein Band mitlaufen zu haben (und zu knüpfen), das alles aufzeichnet. Weil nämlich viel passiert in den Gesprächen und der Notizblock dann doch immer vom Sofa aus ein Zimmer zu weit unter Bergen von Papier liegt oder gerade kein Stift auffindbar ist. So wäre auch nicht verschwunden, was Lilly zu "Requiem" sagte, ganz plötzlich, während wir den Film schauen. Sie drückt auf die Stopp-Taste und sagt etwas, was sofort hätte notiert werden müssen. Nicht nur weil es auf den Punkt genau, beinahe aphoristisch schlau ist, auch weil es als Ausgangspunkt für weiteren Text, ihren Gedanken hemmungslos klauend, hätte dienen können. Nun aber nicht mehr zitierbar, weil nicht mehr erinnerlich wegen des Streifens der Filme danach.

Begonnen hatten wir den Heimkinotag mit "Der Exorzist - Director's Cut", nachdem wir über "Herr der Ringe - Die Gefährten" gestern ins Traummärchenland (oder auch Märchentraumland oder auch Landtraummärchen) entschlafen waren. Die gute Wahrnehmung von Kunst ist die beiläufige, unkonzentrierte, kinoschläfrige, weil darin die Assoziationen wuchern. Ich träume von einem Schiff, auf dem Kulinarisches mit Kunst in sechs Gängen verbunden wird und wovon ich feuilletonistisch berichten soll (Block also immer am Mann). Erster Clou: Man muss an Bord schwimmen, der Dampfer liegt auf Reede in der Förde. Paar Meter nur, aber trotzdem eiskalt aus dem Wasser gefischt. Dann seltsame Spezereien zu noch seltsamerer Kunst. Seltsam mag ich ja. Werde allerdings als "nicht normaler Zuschauer" gleich noch als Smutje eingemeindet (investigative Recherche, "embeddet"), der den Müll aus der Küche in die Bilge zu entleeren hat. Lerneffekte. Und Irrungen und Wirrungen in den Tiefen des Schiffsrumpfs, wo Meerjungfrauen "feucht" sind.

Im "Exorzist" dann die Fragen, was Psychowissenschaft kann oder nicht, und nach dem Übernatürlichen, was so kreatürlich daherkommt. Lilly anschauen, wie sie das anschaut und erschauert. Ihr Profil voller Ernst. Danach "Requiem", Schmids farbblasse Bilder, fast schon ein in Schwarzweiß entrückter Film über den Terror des Glaubens, doch nicht (noch terroristischeren) Wissens. Hernach nach Speisung der Mäuse und Menschen und deren Mäulchen (auch mit Küssen, zart, weil Lillys Nase entzündet schmerzt) Spike Jonzes "Adaption" (Drehbuch: Charlie Kaufman), der die Dialektik und "Double-Boundness" des Erzählens auf "einsame Spitze" treibt. Ich schreib' nur: Orchideen(fächer)! Wir streifen durch den Film, weil Lilly ihn stellenweise langweilig findet. Halbe Filme bestechen dadurch, dass man sie nicht ganz sehen muss. Und das ist gut so.

Draußen wird es dunkel, soweit es im das Restlicht kristallen fokussierenden Schneetreiben überhaupt dunkel werden kann. Eben noch los, Post wegzubringen und bei der Tanke die Mineralwasservorräte (sic!) aufzufüllen. Durch den Schnee auf kohlensauer genässten Füßen. Verpasst, wie geplant, die Faller-Häuschen-Häuslichkeit in H0 im Modelleisenbahnshopschaufenster zu fotografieren. Hätte gepasst, aber einfach vergessen.



Lillys Frühabendkuschelschlaf mit mir, dem "Schnäufer" (das Wort sagt sie so sanft und liebesam, dass es mich zu fast Tränen rührt).

Wieder wach Wiederholung von Münster-Tatort von 2003 auf WDR, zwanziguhrfünfzehn, wo in "Mörderspiele" auch wieder ein Drehbuchautor nichts an Abgefahrenheit ausgelassen hat. Nicht zuende, Lilly schläfert. Gucken wir morgen, ist auf Festplatte.

Ich dann noch durch die Nacht mit allerlei Berlinale-Kram. Erste Rezi von dakro eingestellt. Dann noch allerlei Kosmetisches an den infomedia-Seiten gebastelt, während die Berlinale in den Äther spurt. Seit Jahren erstmals nicht da, sondern nur Medienmachoechomacher. Geil. Freilich erinnert an das Berliner Hotelzimmer im letzten Jahr mit dem nur sporadisch funktionierenden WLAN, dem manischen Schreiben nachts, den Filmen nacheifernd, immer auf der falschen Seite der Leinwand, viel hartem Alkohol und noch mehr Zigaretten und sowieso ganztägig bekifft, um das große Kino klein genug zu machen, dass es in meinen Kopf und meine Tasten passte (vgl. etwa diese Rezi ... oder auch jene).

Wie hieß es in erster, als mich der Glimmer des Glamours für einen Moment hatte nüchtern werden lassen, bevor ich mir nach noch einem Joint und Netz-Girlies, als das WLAN plötzlich wieder da war, unordentlich "einen von der Palme gewedelt" hatte im liebesverlassenen Hotelzimmer?: "eine Studie über Innenwelten, die es in einer Welt sich globalisierender Topoi zunehmend schwer haben, zu sich zu kommen und gleichzeitig außer sich zu geraten".

Quod erat demonstrandum - vom Kunstmonster ;-)

Sonntag, 14. Februar 2010

Sa, 13.2.10 (So, 14.2.10, 0:05): stiller tag

schneestaub wie asche der jungfrauen,
das rauschen der bildschirme,
darauf die augen schauen
trunken vom schlaf

und den märchen der zeiten,
die wispern zwischen den silben,
wortschöpfend über die zeichen
und zeiten hinaus.

du musst ganz still sein
und einander an händen fassen,
zu gehen durch die tore
und ritzen der seiten,

das lastende laub des druckerbleis
zu kehren von den alten liedern,
und mit den fingern durch
den schnee am fenster

zart ein pfeildurcheiltes
herz gemalt, bevor es
der vorname der farbe weiß
schüchterner wieder bedeckt.

Samstag, 13. Februar 2010

Fr, 12.2.10 (Sa, 13.2.10, 0:35): kein Kunstmonster

Wenn Lilly, bestreichelt eingeschlafen gegen 22 Uhr, nachts einsam erwacht und die Schlaf- geöffnet habend Arbeitszimmerschiebetür zärtlich öffnet, möchte sie, so sagt sie, "kein Kunstmonster vorfinden". Namentlich nicht mich im Textrausch fürs di.gi oder sonstwas Getipptes, keinen Lolitalottomillionär der Zeichen, beschwippst vom Gewinn der Alkoholnikotinkrankheit. Und überhaupt, so regt Lilly an, müsse mehr vom Tage als für die Ewigkeit zu lesen sein im di.gi.

D'accord.

Der Tag beginnt, ich mich aus der Schlafschattentrunkenhochzeit entwickelnd, mit einer Diskussion des Posts von gestern über Hegemann. Lilly opponiert wort- und gestenreich gewandt. Ich habe kleine Furcht, dass ihre weiblich wedelnden Armgesten das morgendliche Kaffeelatteglas umstürzen könnten auf die Ta(t)staturen der Nacht. Allein, sie ist akrobatisch.

Und vermeldet, dass mein Hype der Helene allenfalls experimentell gelten könne. Ihre Argumente, die ich nur spärlich ins Dialektische zu rekassibern weiß. Den Kollegen Voß hatte ich vermutlich missverstanden (wie sich durch unironischen Kommentar im Forum 13 zeigt), das Ironische nicht mitschneidend. Und was die Ironie der Hegemann bei Harald "Arno" Schmidt betrifft, das sind Irrungen und Wirrungen. Und Effi Briest, als hätten sie Kafka und Gregor Samsa und nicht Fontane geschrieben.

Der Zeitgeist als Korrektficktief.

(Nachtrag aus dem Interview mit No More: "Es gibt keinen Zeitgeist mehr, keine Provokation" (sinngemäß).)

Beschluss am Morgen: Wir baldowern im Buchladen, was die Hegemann wirklich axolotlte. So umgesetzt am Nachmittagfrühenabend ist Lilly geradezu genervt von meiner voreiligen Position. Eine Art Ehestreit über Literatur, der mich mehr anmacht als sie, die so gebürstete Literatur. Lillys Widerständigkeit, die nichts aus meinem Munde zulässt, es sei denn ... Dabei merke ich, wie sie dennoch Recht hat oder hätte.

Ich, das Kunstmonster, streift wie ein Hä/n/f/t/ling durch die Buch(ver)handlung, den Wams abgelegt, hemdnackt. Ein Handlungsverweigerer der Geschichten eines Handlungsreisenden.

Indem ich Lilly vorwerfe, dass auch mein Textkonstrukt unter ihr Verdikt fiele, einlenkt sie, dass ich und mein Text doch ganz etwas anderes seien. Das macht Liebe und Kuss. Ich - Text - geborgen.

Derweil hatte ich während des Diskurses mit Lilly zu Hegemann folgendes auf einem aus dem Papierkorb begriffenen Umschlag (aufgerissen, aber leer) notiert:

ad 1: sich gegenseitig ironisierende Ideologeme: Hegemann verhält sich zu den ihr gegenüber vorgebrachten Vorwürfen angenehm ironisch-ideologisch. Sie geht darauf ein, indem sie Ausgehende ist. Kunst als Monster, in/dem sie drogt.

ad 2: unnötige / notdürftige Gedanken: die Notdurft des Denkens über Text ist frappanter als seine Unnötigkeit.

Zitat / Plakat: Das Plakative am Zitieren. Die Hegemann, das blöde Blondchen mit inszeniertem Haarausschlag, ist für mich heiß, weil sie Zitat als Plakat begreift. Lilly dagegen, weil sie Plakate, auf denen ich schreibe "Ich will dich" unter Verdacht stellt. Ihr Quiecken, wenn ich den Finger auf die von mir verursachte Wunde ihrer Kimme lege.

Nachts die Ratten im Käfig, wie ich ihnen eben diesen "schlimmen Finger" zum dran Lecken anbiete. Der Texthirte und sein sündelnder Stab.

Derweil ungemein verliebtes Gefühl für meine Muse: Sie zetert weg, was ich zu wenig durchdachte. Sie ist ihr und mein Nietzsche. Gott ist tot, sie aber umso lebendiger. Und das, Lilly, enerviert mich Kunstmonster.

Freitag, 12. Februar 2010

Do, 11.2.10 (Do, 11.2.10, 23:40): SCHWANZLURCH

Die Angst vor dem noch nicht geschriebenen täglichen Text ist eigentlich eher die Angst vor dem auch noch nicht für morgen geschriebenen Text. Für heute wird einem schon was einfallen, zur Not "TEXT über TEXT", aber was kommt morgen?

Die heutige Angst vor dem Text nicht von heute ist eigentlich die Angst vor dem Leben von morgen, vor dem wieder aufstehen vom Lager nach der Verfassung des Textes von heute und dessen Ablagerung im Netz.

So sinnierend flattert aus der Netznachrecherche zum jüngsten Brüller des jüngsten Brüllers des so genannten Literaturbetriebs, nämlich Helene Hegemanns Auftritt in der "Harald Schmidt Show", ein Wort ins Word-Fenster, aus dem man was machen kann:

SCHWANZLURCH

Wie nämlich die fleißigen Feuilleton-Kollegen, bemüht, den "Fall Hegemann" einigermaßen ballflachhaltend in die Zeitungsspalten einzuschießen, artig recherchiert haben, ist SCHWANZLURCH die Gattung jener Axolotl, die Wunderkind H. einem literarischen Roadkill zuführt - um mal im Feuilleton-Sprech, also im Bild zu bleiben. Und: siehe da: Der SCHWANZLURCH aus Mexiko hat die Strategie herausevolutioniert, im Larvenstadium zu verharren und so ewig jung zu bleiben, was ja nun wiederum hervorragend zum "Fall Hegemann", zum "Fall Literaturbetrieb" und zum "Fall Jungstars" passt. Okay, denke ich, mag sein. Mich fasziniert eher der kraftausdrückliche Klang des Wortes. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen:

SCHWANZLURCH

Das klingt einerseits stubenhöckrig hautbleich, andererseits irgendwie notgeil onatorisch-onomatopoetisch. Du meine Güte ...



SCHWANZLURCH

Schwerst lurch-schlau ist auch Hegemanns "Geständnis" zu den Plagiatsvorwürfen, sie arbeite eben zeitkonform intertextuell. Das ist die einzig richtige Entgegnung auf einen Betrieb, in dessen Diskussionsstereotypen nur zu deutlich wird, dass es sich um eine Neiddebatte handelt à la: Schade, dass ich nicht auf diesen "Flow" gekommen bin, und umso besser, dass es ein anderer war, aber nicht die gehypte Hegemann. Sogar Kollege Florian Voß retourkutschiert im Forum der 13, die Hegemann habe schließlich bei jemandem abgeschrieben, der "nicht über eine Veröffentlichung im SuKultur Verlag hinausgekommen" sei. Subtext: War ohnehin Schrott, was sie gecopyt & gepastet hat - insofern ...

Schwanzlurchgeil ist dennoch das Intertextualitätsargument, das der Hegemann aus dem eigenen, auf Zeitgeistlauschen getrimmten Kopf entsprungen sein dürfte, kaum als nachträgliche Rechtfertigung irgendsoeinem abgehalfterten Lektoratslurch, der ohnehin auf Worte wie SCHWANZ, nicht aber INTERTEXTUALITÄT steht. Der Text ist der Hirte, nicht sein Autor. Endlich jenseits von dem kleinbürge(r)nden Urheberrechtsgedanken mal einsehen, dass Texte Eigenleben haben, dass AutorInnen allenfalls ihre Erfüllungsgehilfen sind - oder Hebammen. Das auch gegen das Gegreine, dass sich im Internet alles kopieren lasse. Ja, hallo! Eben das ist das T(r)olle am Internet, am freien Fluss der Daten und Texte. Dass eben alles mit allem zusammenhängt und dass das sich endlich auch formal spiegelt.

Wahrscheinlich muss man aber ein SCHWANZLURCH sein oder etwas von ihm haben, von diesem Dauergelarvten, von der Einbürgerungsunwilligkeit ins Leben, wovon, so höre und lese ich (ohne ihn gelesen zu haben), ja auch Hegemanns Roman handelt.

Leider bin ich infolgedessen auch mit dieser schwanzlurchig pubertären Meinung natürlich nicht allein, hänge am Rattenschwanz all der mit mir das Lurchige Bekennenden. Aber egal, immerhin hat

SCHWANZLURCH

das heutige Textfenster bereits trefflich gefüllt.

Hoch leben die SCHWANZLURCHE, die Waschbären und die katzengleich durch den Schnee hüpfenden Lillies! Von letzteren wäre nämlich heute auch zu berichten gewesen. Vom Ausflug in die Stadt auf dem Flüchtchen vor der Putzkolonne, von Stöberstunden in Asia-Art-Läden, wo es nach Patchouli und Ayurveda duftet, und Buchläden, wo es nach Druckerschwärze schnuppert. Von Mäusen und Menschen im Zoogeschäft, wo wir die Futterratten aufgrund meiner feuilletonistischen Bedenken nicht rechtzeitig vor den hungrigen Schlangenmäulern retten konnten und wo, hätte mich das Wort schon früher gestreift, auch SCHWANZLURCHE in "Aquarien/Ovarien" zu beobachten gewesen wären.

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