Sonntag, 24. Januar 2010

Sa, 23.1.10 (So, 24.1.10, 7:10): Die Brüschen der Braut

(Skizze eines Traums, morgens gegen 10 Uhr:)

Die Brüschen der Braut

Die grün und blau geschlagene Braut mit Brüschen und Blessuren im Gesicht und am ganzen Körper. Spuren der Züchtigung durch ein Leben, das nicht glücklich verlief. Ich will sie heiraten.

Es gibt da so ein Komplettangebot, Trauung mit anschließender Feier, Buffet, Hotel, all inclusive. Die Paare heiraten am Fließband, im Akkord, im halbstündigen Abstand, in dem auch das Buffet wieder aufgefüllt wird - leidlich. Essen für alle das gleiche: gebratene Krabben auf riesigen Tabletts aus gepresster und dennoch zerbeulter Alufolie, ebenso Unmengen von Rührei und bleichem Baguette-Brot. Ich, der Bräutigam, strubbelig, Anzug zerrissen, fleckig und mit fehlenden Knöpfen, wie das Brautkleid aus dem Kostümverleih der All-inclusive-Heiratsfabrik.

Die eingeladene Verwandschaft ist einigermaßen erschüttert von diesem Aufgebot, versucht aber, sich das nicht anmerken zu lassen. Lediglich die Patentante kann ihr Entsetzen über die Brüschen der Braut nicht verhehlen. Irgendwann, im Gang zum Klo wirft sie es der Braut an den Kopf, die daraufhin die Patentante mit dem Kopf auf die Türkante schlägt. "Hier! Damit du weißt, wie es ist, wenn einen das Leben so schlägt!" Für die Pateneltern ist die Party damit natürlich vorbei. Sie verlassen meckernd das enge Gastzimmer.

Wir aber feiern gequält weiter, obwohl ich vor der Trauung eigentlich noch ein Interview mit einem bürgerlichen Politiker machen muss, in einem Nebensaal, wo eine Wahlveranstaltung stattfindet, die ich sprengen will, um dort für linke Ideale (oder was ich dafür halte) zweckfremd zu werben. Auf der Versammlung geht es um die Kosten der Integration von Fremden für die Gesellschaft. Sie seien zu hoch und zudem nutzlos ausgegeben, Integration sei gescheitert. Am Rednerpult, während ich Filme von "Gefangenen ihrer selbst" in sehr ärmlichen Verhältnissen (Berliner Mietskasernen aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende und der letzten, Marzahn) projiziere, argumentiere ich in die lärmende Menge, dass die Folgekosten einer nicht versuchten Integration, eine weitere Ghettoisierung von Gescheiterten und Gebeutelten viel höher seien, als jetzt in Integration nach neuen, linken Konzepten zu investieren. Ich werde ausgebuht. Nur der zu interviewende konservative Politiker findet meine Ansichten "putzig", allerdings hätten sie diesen "unangenehmen proletarischen Augout". Kleidete ich sie in bürgerlichere weiße Westen, könnte zumindest er sich mit meinen Ideen anfreunden. Das soll ich aber im Interview nicht schreiben.

Währenddessen hört man Jubelrufe aus dem Trauzimmer nebenan, wo das Paar vor uns gerade heiratet. Die Braut kenne ich aus Schulzeiten, sie erkennt mich aber nicht wieder. Sie heiratet einen Marineoffizier in Uniform und hat über den unteren Teil ihres Brautkleids eine grotesk große Anglerhose gezogen, Gummistiefel statt Pumps, auf dem Kopf auf dem Schleier eine karnevaleske Kapitänsmütze. Lächerlicher als dieser Aufzug ist die erkennbar plumpe Absicht, lächerlich zu wirken, die Zeremonie nicht ernst nehmen zu wollen. Der Bräutigam ist auffallend übergewichtig (und zauselig wie ich).

Diese Hochzeitsgesellschaft macht sich tuschelnd und verstohlen mit dem Finger zeigend über meine Braut und mich lustig. Sie moppsen, einen Teil des mit Klarsichtfolie abgedeckten Buffets, das für uns bereitgestellt wurde. Ich beschwere mich in der Küche. Die Küchenjungen und schmuddeligen Kaltmamsellen dort aber meinen, es tue ihnen leid, weg sei weg, sie könnten das nicht ersetzen, da der Komplettpreis sehr eng kalkuliert sei. Ich versuche dann noch, den Streit mit den Pateneltern zu schlichten, was wiederum meine Braut erzürnt. Sie verweist auf ihre Brüschen und bittet mich, die Pateneltern doch ziehen zu lassen. Sie verstehe mich, dass ich Harmonie stiften wolle, aber ich solle jetzt "endlich mal zu ihr stehen". Sie müsse aber auch nochmal kurz weg, die Parkuhr laufe ab, sie müsse nachwerfen, ich wisse ja, was Knöllchen kosten und dass wir sie uns nicht leisten können.

Auf dem Rückweg verspätet sie sich. Unsere Hochzeitsgesellschaft macht sich schon mal über die Buffet-Reste her, noch vor der Trauung. Ich halte eine Rede, warum ich SIE heirate, die mit den Brüschen. Gerade deretwegen stünde ich zu ihr, zumal manche der Blessuren ich ihr zufügte, wenn auch im übertragenen Sinne - "Kainsmale unserer Ehe". Überhaupt gehe es um Ideale, dass das Bewusstsein wieder das Sein bestimmen müsse, dialektisch natürlich. Die Argumente aus der Wahlversammlung passen auch hier. Vermutlich, so stelle ich gerade fest, habe ich beide Reden vertauscht. Na egal. Guten Appetit!

Außer mir ist kaum einer gerührt. Nur meine Schwester wirft mir ermutigende Blicke zu und gibt viel zu überschwänglichen Szenenapplaus. Sie trägt das Habit einer Krankenschwester, das sei jetzt modisch und passe ihr wie angegossen, augenzwinkert sie – und: "Nun mal Schluss mit Lyrik und ran an die Krabben (und die Brüschen)!". Dann taucht meine Braut wieder auf, mit noch mehr Brüschen und ein paar blutenden Kratzern. Da alle spachteln und der Standesbeamte drängt, heiraten wir ohne die Hochzeitsgesellschaft. Für Überraschungen waren wir ja schon immer gut, insofern ist das folgerichtig. Die Braut, jetzt meine Frau, bittet mich, sie vorsichtig zu küssen, ihre Brüschen täten so schon weh. Im Klogang von vorhin, wo die Patentante was abbekommen hatte, zieht sie eine abgewetzte Alltagsjeans über ihren nackten, striemigen Po. Ich soll mich bei dieser Umkleide vor sie stellen, weil überall noch Gäste von den Hochzeiten davor herumwandeln, zum Teil bereits sehr beschwippst und obszöne Bemerkungen machend. Und die Augen zumachen! Ihren Po mit den blauen Flecken zeige sie mir nur im Dunkeln, in der Hochzeitsnacht nachher, wenn wir zwischen den abgefressenen Krabbentabletts liegen, oder darauf, im Rühreirest.

Wir schlafen dann dort miteinander – oder doch nur ein, halb in der Küche, halb auf einer zu einem See hinter dem Hotel abschüssigen Wiese voller Kraut, Disteln, Pusteblumen und Gänseblümchen. "Rupfe keines", sagt sie, es komme eh immer "sie liebt mich, du liebst mich nicht" raus, was sich aber auf meine Familie beziehe, die entsetzte, immer noch gierig Krabben pulende aus den letzten Ecken der Küche. Ich möchte ihr den schmerzenden Po mit dem lauen Wasser aus dem Schilf lindernd kühlen. Sie lässt mich aber nicht gehen, eine Handvoll zu holen.

Es wird wieder hell, langsam. Und ein zarter "Nebeltauhauch", so nenne ich es, weht vom See zu uns herüber, wie eine Decke, die uns Schmerzensleute einhüllt. "Siehst", sagt sie, "im Liegen hab' ich Linderung." Bleib' also liegen! Es ist alles von selbst und dir geschenkt.

(ungefilterte Skizze, wie um ca. 10.30 Uhr antastbar)

Samstag, 23. Januar 2010

Fr, 22.1.10 (Sa, 23.1.10, 0:10): Textmusik / Musiktextur

Testspielereien mit dem P22 Music Text Composition Generator, gefunden im Blog in|ad|ae|qu|at.

Motive:

frueherunten.aif: "von früher / nach unten, / von oben / nach später", 60 bpm, vibraphone



(größere Ansicht)

obenspaeter.aif: „von oben / nach später, / von früher / nach unten“, 60 bpm, vibraphone



(größere Ansicht)

wiewolken.aif: "wie wolken um die zeiten legt" (Hölderlin), 60 bpm, marimba



(größere Ansicht)

Tracks:

3_aufzug_1:
frueherunten.aif, kanonischer einsatz von obenspaeter.aif und danach wiewolken.aif (von 60 auf 45 bpm gestreckt)

3_aufzug_2:
frueherunten.aif und obenspaeter.aif (von 60 auf 45 bpm gestreckt)

Nette Spielerei, aber nicht überzeugend, da determiniert und aleatorisch zugleich. Wirkt statisch, stehen geblieben im definierten Dazwischen. Vielleicht noch weiter erforschen.

Freitag, 22. Januar 2010

Do, 21.1.10 (Fr, 22.1.10, 6:14): traumträge

Nur schwer wach geworden, weil im loopenden Refrain von Einstürzende Neubautens "Stella Maris" gefangen:

Du Träumst Mich, Ich Dich,
Keine Angst Ich Wecke Dich,
Bevor Du Noch Von Selbst Erwachst
Du Träumst Mich, Ich Dich,
Keine Angst Ich Finde Dich,
Am Halbschlafittchen Pack Ich Dich
Und Ziehe Dich Zu Mir.
Denn Du Träumst Mich, Ich Dich,
Ich Träum Dich, Du Mich,
Wir Träumen Uns Beide Wach.
Bitte, Bitte Weck Mich Nicht,
Solang' Ich Träume, Gibt Es Dich.
Laß Mich Schlafen Heuern Auf Ein Schiff,


Kleinkrämerische Arbeiten, zerklüftet von Wachtraumsequenzen.

Fortgesetzt nachts in David Lynchs "Der Elefantenmensch". Nebelhaftes ausgewählt und zusammenmontiert. Blendet über in den neuen Traum von morgen Morgen ...



Futurzweisamleben.

Donnerstag, 21. Januar 2010

Mi, 20.1.10 (Do, 21.1.10, 6:55): zeitzahm

Aus der Zeit und damit der Welt gefallen. So unser beider Empfinden, die fortgesetzt so nachtaktiv sind wie die Rättlein. Das Empfinden der Zeit: Leerläufe, tote Zeit, Dämmerperioden. Gespräche. Zeit kann man nicht planen, sie läuft in ihr Häuschen, häuft darin kuschliges Heu. Sie kuscht, weicht aus, nicht ab. Ist sie zuende, wenn man tot ist? Oder ist sie tot, wenn man zwischen Anfang und "Ende neu" (Einstürzende Neubauten) in der Fuge des Niemandslandes verharrt? Überlegungen. Gemeinsam, zweisam, zeitsam, zeitzahm.

Keine Zeit für Kunst, denn die Kunst ist eine Zeitformfrage, ein gedachtes Futur Zwei. Ein Gewesenes in der Zukunft. Kunst kommt vom Werden. Geworden, fertig, ist sie keine Kunst mehr. Keine Kunst für Zeit ... ihre Ewigkeitsansprüche und -projektionen. Poesie als Projektil, noch im Lauf ...



Unwillig ein Konzert der Afro Cuban Jazzband angehört und dann im Artikel darüber nachgedacht, was Zeitverlauf, das Medium der Musik, für das Musikstück selbst, den "Track", einerseits und seine Einordnung in einen historischen und damit zeitlichen Kontext andererseits bedeutet. Was rät die Gegenwart der Vergangenheit? Kann man aus Zukunft lernen? Natürlich viel zu philosophisch für eine Jazzkonzertrezension. Aber was soll's? Was anderes fällt mir dazu nicht ein.

Das Nick(erch)en der Rhythmen, Stolpern der Synkopen. Asynchronizität.

Zahm werden ob solchen Verlaufs. Wir sitzen vor dem Rattenkäfig und beobachten die Näschen, wie sie sich rasch entlang der Gitter und durch die Schlupflöcher schlängeln. Sie beschnuppern die hingegebene Hand, wobei sich die Rättlein dehnen, ganz lang machen, mit den Hinterläufen noch im geschützten Raum des Eben, das Sicherheit bietet, weil es fluchtrevolutionär das Gleich sein kann. Inmitten das Tier, bebend vor Aufregung und Neugier.

Erst wenn wir so zahm werden, haben wir Zeit.

Mittwoch, 20. Januar 2010

Di, 19.1.10 (Mi, 20.1.10, 6:55): Gitternester

In der Zoohandlung wie im Zoo Tiere schauen. Auf der Suche nach Husky-Ratten, sind aber ausverkauft. Bei den Exoten stattdessen Bartagamen beobachtet, wie sie in flinker Bewegung plötzlich innehalten und erstarren, in den ver-rücktesten Posen. Und ausschauen, als schauten sie einen prüfend an. "Oder rauchen Zigarre", wie Lilly assoziiert.



Frage mich, ob diese Erstarrung aus musternder Neugier erfolgt oder um sich gegenüber mutmaßlichen Fressfeinden tot zu stellen. Die Tiere verharren oft minutenlang so, als säßen sie Modell, wollten sich malen lassen.

Einen Käfig gekauft für die noch nicht vorhandenen Ratten, nebst allerlei Zubehör. Gitternestbaureflex. Seit soundsoviel Tagen, Wochen, Jahren "Gefangener meiner selbst", jetzt wird das in eine Volière projiziert. Neue Heimat.



Abends dann studiert Lilly Kleinanzeigen, entdeckt abzugebende Rattenkinder, sechs Wochen alt. Wir fahren spontan mit dem Bus nach Neumühlen-Dietrichsdorf – unweit von der Stadtbüchereizweigstelle, wo ich als Kind rattig in den Zeilengittern mich vergrub, Neste dem Geist bauend. Blubb.

Der ruhige Rattenhirte hat ein ganzes eigenes Zimmer für seine Schützlinge. Man sieht ihm an, wie schweren Herzens er sich von den Tierchen trennt. Er verabschiedet sie schnauzenlippstippelnd: "Mach's gut!" Und noch Tipps, was sie besonders gerne fressen. Lou und Lo schlüpfen in unseren Pappkarton. Verängstigte Wesen. Als wir sie zuhause in den Käfig setzen, dies mitsamt Karton. Zögerlich schauen sie zwischen den dort provisorischen Nestbauten hervor. Am Ende siegt die Neugier - oder der Mut.

Sie verschwinden im Häuschen. Drinnen hört man sie rascheln und schaben. Später am Abend, eingangs zur Nacht, werden sie aktiver und wagen sich auf Expeditionen. Entdeckungsreisen zu den neuen Ufern Trinkflasche und Fressnapf, dabei immer den fluchtartigen Rückweg im Kopf. Planende Flüchtlinge. Nachts hocken wir im Dunkeln vor dem Käfig. Lou ist das keckere Rattenweibchen. Sie erkundet den Weg zum Fressnapf, schickt dann aber die scheuere Lo vor, um Körner ins Häuschen zu schleppen. Darin eifriges Nagen. Manchmal kommen sie ans Gitter ihres neuen Nestes und schnuppern, nehmen menschliche Witterung auf. Sie gehen dabei gleichsam ökonomisch vor. Sie verharren nur so lange wie unbedingt nötig in der Fremde. Von der zweiten Käfig-Etage flugs wieder zurück ins Versteck, aus dem sie die Neugier aber bald wieder treibt.

Erkundungen des Gefängnisses Ich - beiderseits der Gitter.

Ich bin wie Lo, schüchtern und nicht wirklich überzeugt von der bohrenden Neugier in mir, Lilly eher wie Lou, die ihr vor- und umsichtig Leckereien aus der Hand frisst, dabei den Leib gestreckt, um schnell wieder im Häuschen zu verschwinden. Verzehr im Versteck.

Wunder der Natur, wie sie all diese Verhaltensprogramme entwickelt hat, Routinen, um dieses seltsame Unternehmen Leben, also sich selbst zu überleben. Das Nest ist der Fluchtraum. Die Finsternis das Schützende.

Jetzt, früh morgens, fortgesetzt dunkel, verstummt das Knistern und Rascheln hinter Gittern. Und auch hier sind die Kassiber geschrieben und im heimelichen Heu (des Netznestes) sorgsam vergraben. Morgen lesen wir weiter in diesen Knopfaugen, diesen Näschen mit zitternden Tasthaaren.

Plötzlich kann ich das Leben riechen. Und die Gitter sind das schützende Nest, das Basislager. Morgen machen wir uns wieder auf, notdurftgedrungen, also angefüllt mit Neugier, die stärker ist als die Angst.

Dienstag, 19. Januar 2010

Mo, 18.1.10 (Di, 19.1.10, 6:30): Leinwand 2

Natürlich bin ich betrunken, man riecht's aus meinem Maulaffen Feilhalten der Rührung. Doch es ist nicht die Überdosis Wein, die mich weinen macht. Wir schauen "Mach's noch einmal, Sam", Woody Allens Hommage an "Casablanca" und andere Abschiede, die aufbrüchig sind.

Meine Tränen schon in der Eingangssequenz ob der Gefühlsgewalt, die Leinwand entfachen kann, muss ich ihr nicht verhehlen, ihr, die sich mir an- und armnimmt. Später, als ich an dem Film, der Hommage der Hommage, bastele, es Sam noch einmal nachmache, wenn ich im Hinterhof iPhone-Filme mache, verschneit, verliebt, verzückt, verzottelt, ist sie eifersüchtig auf das Projekt. Sie leidet wie ich daran, dass ich zuweilen im Text verschwinde.

Halten wir das aus?



Uns bleibt Paris, das G. des Walds. Wir begegneten uns auf provisorisch projiverzierten Leinwänden, jetzt spannen wir sie auf, auf dass sich darauf nichts projiziert als Wir, Rick und Lilly ...

Während ich daran arbeite, sorgt sie sich um das Ratpack, das wir morgen einswingen werden. Martin und Sinatra, Dean und Frank. Wenn sie geht, tanzt sie, elfisch ihren Schritt auf der zehengängerischen Fußnote, ohne die jeder Text von mir einsam, verwaisenhöflicht wäre.

Eben noch küsse ich sie wach und in den Schlaf. Sie weiß um solchen Verzicht. Sie weiß, was ich texte und tanze. Soll ich darob ruhig werden, an diesem Tag, unverwirrt? Der neue, der neunzehnte ist schon da. Und jetzt, zwei Wände, zwei Zeilen, zwei Sekunden Film weiter schlafe ich mit ihr ein.

Unsere Kinder schnüffeln am Text. Und an dem "Beginn einer wunderbaren Freundschaft" ("Casablanca") aus Schneelicht und Verzicht.

So, 17.1.10 (Di, 19.1.10, 4:06): Leinwand 1

Der Tag ist das unschuldig weiße Leichentuch, das die Nacht kleidet. Ins Bett, als es aufdämmert, daraus, als es verdämmert. Vom trägen Auge nicht wahrnehmbar - nur weil das Auge träge ist, träger übrigens, überlistbarer als das Gehör, ist Kino möglich – ist es die Hälfte der Zeit im Kino dunkel. Licht ist Arbeit, Traumarbeit. Und Trauerarbeit.

Lillys Trauer, dass ich nicht wach werde. Ihre Küsse auf das nachtbleiche Tuch, meine Leinwand.

Auf der vor der surrealen Endzeitfantasie "1984" die erträgliche Leichtigkeit des Seins in "Stille Tage in Clichy". (Forcast: "Uns bleibt immer Paris"; uns bleibt immer der Waisenhof; uns bleibt immer die Rat(ten)hausstraße).

Text aus Screenshots:



Im Bad der Lilien Verse aus Lippenstift auf den Kacheln. Text nackt in der Nacht.



Fußnoten der Leidenschaft. Sie dirigiert Paganini – mit den Zehenspitzen.



Carl küsst Clichy. Inmitten des inszenierten Klischees klingt es nach jener Sünde, die Tugend ist (Auf(er)stehen mit den Vögeln).



Das Umbeinen der Verse im nicht geschriebenen Gedicht, das sich mir träumt als Prosa, die über die Zeilenenden hinweg eilt. Später, layoutend schlechte Werbetexte, fällt mir auf und ein, dass jeder Text, im Hirten des Layouts in Zeilen gebrochen, verst. Als würden wir, die uns Verdichtenden, dahin kommen, dass aus dem Kontinuum der Zeit(verschiebung) Verse dadurch entstehen, dass wir nicht über den Blattrand malen (layouten) (schreiben). Das Papier, noch weiß wie die Leinwand, als Fläche der gesundenden Begrenzung, als Abbruchkante der Sätze/Verse über dem Abgrund.

Sonntag, 17. Januar 2010

Sa, 16.1.10 (So, 17.1.10, 5:23): Rendezvous der Freunde

Grünkohl(kochen)essen und Reinfeiern mit "den lieben Freundinnen und Freunden". Alle eingeladen, fast alle gekommen. Außer den entschwundenen (). Im Feierabendheim Rathausstraße, von dem C.S. meint, es habe ein bisschen was von dem FDJ-Club auf der Grieser-Exkursion in die Ex (DaDaR) neunzehnhundert-x-undachtzig. Anlass, wie A.B. bonmotiert, meine Zugehörigkeit ab jetzt zur "Gruppe 47". Um 24 Uhr angestoßen ganz klassisch mit Schaumwein auf den Jubeltag im FDJ-Heim "Rathaus", beim Almauftrieb am "Kleinen Kuhberg".

Es frühlinkt. Glückwünsche.

C.S. zitiert Honecker beim Staatsratsempfang: "Ich bitte zu trinken!". Wir trinken. Und wo das irgendwo zwischen 70er-Partykeller, dem Empfang im besagten FDJ-Heim, an der Heimorgel DJ iTunes, am heimischen Herd "Ögyr kocht", und der 90er Partykultur der für Loveparades und Rausch zu spät Gekommenen, die brav bibbernd auf dem Gletscherfeld vor der Balkontüre rauchen, changiert, ist es doch nicht mehr, sondern etwas anderes als die Summe dieser Klischees. Mir fällt schon am Nachmittag beim Einkaufen der Bierbatterie und hochgeistiger Getränke Max Ernsts Gemälde von 1922 ein: "Rendezvous der Freunde" (heute Museum Ludwig, Köln):



Beschluss bei der Bierbeförderung: Ich lichte sie alle so ab: In der Mitte selbstinszeniert der, dessen Freunde sie und damit einander gemeinsam sind, der "Dadamax". Über ihm die Querschnittsexplosionszeichnung eines Auges, dessen Hornhaut konzentrische Keplersche Weltkreise tangieren. Oder sind es doch noch die Ptolemäischen mit der sonnenfinsteren Erdung im Mittelpunkt?



In der iTunes-Playlist fehlt eigentlich der Song von den Einstürzenden Neubauten, wo Blixa Bargeld (vgl. Gemälde "Rendezvous der Freunde") singt: "Doch die Mitte meiner Kreise bin ich nicht." D'accord. Seit die Sonne der Mittelpunkt des Universums ist, das in jedem und in jeder von uns seither konzentrisch tost, bin ich, der Jubiliar und Grünkohlgott, der Brennpunkt einer Ellipse, umrundet von den Freunden, mal im Aphel, mal im Perihel. Und der andere Brennpunkt dieser selbst ausfgespannten Ellipse ist Lilly. Wer bei mir gerade im Aphel ist, steht bei ihr im Perihel - und umgekehrt. Namentlich G.L.S., die sich an das Apogäum heranschmeißt, indem sie dem Perigäum ihre Gravitation eröffnet.

Schwerefelder in Levitation.

Und mitten drin in der Fotografie des "Rendezvous der Freunde", das ich eigentlich auf der immer mitgeführten iPhone-Kamera (und als Material hier fürs di.gi) "Gruppe 47"-mäßig nachstellen wollte, dann aber doch davon Abstand nahm (in den Aphel geriet und ging), der Gedanke, ich könne hier, im di.gi.arium, besser dichtend auf den Auslöser drücken. Was nicht minder schwerfällt, weil ich dazu nicht minder inszenieren müsste wie für die Spektralanalysekamera.

Literatur nämlich ist kein bildgebendes Verfahren, eher ein bilddeutendes. Das Gedicht ist der 9mal3-Abzug, nicht aber die Kamera. Tags zuvor hatte ich das Wort "Semaphor" geträumt. Geweckt zum Glücksglühwurstkauf auf dem Wochenmarkt (mit Lilly vor jener Fleischtheke geglückt geknutscht, an der ich mich einst in Verzweiflungspose gedichtgeknippst hatte), noch schlaftrunken hatte ich es gewikit: "optischer Zeichengeber" ... Winkalfabet ...

Zwischen den Winken der Freundinnen und Freunde, verstohlen bis "hosen'türl'offen", schlendere ich mich hin und her zwischen Heim und Herd, die Kochnische meiner Freundschaft. Und beobachte beglückt, wie sich die Rendezvous der Freunde ereignen. Wer mit wem plaudert, wer wen abtastet, startrekkisch scannt. A.B. schreibt in Glückwunschmail, dass sie ungern "zu dem Harem" zähle. Ich indes monadisch monogam, lillylytisch. Phrygisch, nicht mehr lydisch kirchengetonartet.

Hätte ich dazu Bildmaterial sammeln wollen, dann höchstens mit der iPhone-Web-Weberknecht-Cam, wie die Bewegungen der Planeten um die zwei Sonnen sind, Lilly und mich.

Im Geschwirr der Gespräche, dem Netzwerken, ziehe ich mit ihr den Stecker, verschwinde im (nicht hinter dem ;-) Text und hinter dem Kühlschrank, wo wir uns küssen. Inniges der Himmelsmechaniken. So leiblich, bin ich dennoch teilweise noch der theoretische Physiker, der gebloggte Nerd, der Statistik der dynamisch-dialektischen Statiken betreibt. Wer geht, wer bleibt? Was geht, was bleibt? Zugabezettbe: "drei-undvierzig".

Semaphore, Winkelemente im FDJ-Heim "Rathaus".

D.K. rückt mit einem ganzen Paket aus Datenträgern vor auf Perihel, ohne über Aphel zu gehen, zieht nicht 4000 MB ein, sondern aus der Tacheles-Tasche. Multimediamonoply jener Links, die man setzt, wenn man jemandem wie mir Filme schenkt. Seine DVD-Sammlung hat etwas von den Mixtapes, die man früher Freunden aufnahm, um sie beim Rendezvous abzuspielen. Inszenierung von Festplattenkörperschwerkräften.

Und mittendrin fange ich semaphorische Signale auf, die in Gesichten aufflackern. Die Weichen gestellt zur Abbiegung des betrachteten Abbildes. M.L. manchmal mit diesem traurigen Blick der Desillusion, den Physiker haben, die einst neu zusammenstellen wollten, was die Welt im innersten zusammenhält, nun aber zentrifugal ankommen im Brotjob, der mit Kunst nur noch zu tun hat. H.S., eben zurückgekehrt aus dem "Du bist mein Afrika"-Korps, über den "Modder", der sich nicht nur in Kenia im Januar nach starken Niederschlägen bildet, mit den traurigen Augen hinwegblickend, als streife der Blick nur zum Horizont, um ihn als Tellerrand zu begreifen, hinter dem die Welt doch bloß eine Scheibe ist, gefolgt vom Abgrund. Und E.E., die ostwärts geht, weil dort die Sonne wieder aufgeht, für Klavki im Aphel R., für mich (in Nachfolge) im Perihel G.

Im derart behindertengerechten Klo meines Wassers abschlägig werdend überkommt mich plötzlich dieser seltsame Mix der elliptischen Gefühle: Ich bin den Freunden nah, indem ich mich von ihnen entferne - und (wie immer) umgekehrt. Und all das in dieser FDJ-Stube. "Bau auf, bau auf ...!" Ich singe leise, während ich rieselschwerefeldere, dies olle Lied. Es heißt nichts, es bedeutet nichts. Und deshalb sagt es mir was im Rendezvous der Freunde. (E.N., Blixa Bargeld: "Was ist, ist, was nicht ist, ist möglich ...")

Samstag, 16. Januar 2010

Fr, 15.1.10 (Sa, 16.1.10, 5:50): Besser geht’s nicht als normal

In "Equus - Blinde Pferde" nach dem Theaterstück von Peter Shaffer, heute geschaut, will der Psychiater nicht mehr gesundbeten, nicht mehr "huldigen dem Gott der Gesundheit und des Normalen". Die alte Frage danach, was eigentlich ver-rückt, ob nicht das Normale lediglich ein Abbauprodukt von Leidenschaft, Wahnsinn und ähnlich Ekstatisch-Extremem sei.

Auch in "Besser geht's nicht" ("As Good as It Gets"), dort komödienhaft kassibert, sind die "Schrägen" die eigentlich Menschlichen, zeigt sich also das Normale eher als abgespeckte OEM-Version des Betriebssystems Leben.

Vertraute Gedanken, fast schon Allgemeinplatzpatronen, und immer hart am Rande einer posenhaften Selbstinszenierung, auf keinen Fall "normal" sein zu wollen. Sondern ausgefallen, aus der Welt herausgefallen. Wie etwa der weiter mit Lilly einträchtig zelebrierte ausgefallene Nachtschlaf, dessen Beginn sich mehr und mehr in den schon nicht mehr so frühen Morgen verschiebt. Anflüge von Kreativitätsschüben ab ca. 5 Uhr, dafür um 17 Uhr eine in Dämmer versetzende Müdigkeit. Ein ganz normaler 12-Stunden-Rhythmus also, nur ver-rückt.



Ver-rückt: der ganz normale Schneeschuhpfad bei der Heimkehr

Wogegen nichts einzuwenden wäre, ginge es nicht auch darum, Liebe und Kunst in einem "normalen" Leben überdauerungsfähig zu verankern. Doch so normale Tätigkeiten wie Kochen (7 kg Grünkohl heute für morgen) fallen schwer, zeitlupen, wenn ich rührend vor dem Topf stehe (was eventuell rührend ausschaut): Und zudem etwas lustlos, was solche Pflege der Welt und ihrer Kontakte betrifft. Würde lieber noch tiefer aus ihr herausfallen, wissend, dass das nichts einfacher, sondern schwieriger machen würde.

Tausendmal so gedacht und gemacht, also eigentlich ganz normal hier - für den Fortgang des Projekts di.gi.arium2010. Die erste Krisis des gezwungen fortwährenden Schreibens ergab sich 2000 auch schon auf der Hälfte des ersten Zwölftels. Und wiederholte sich dann stetig. Darauf muss ich mich einlassen. So ein Projekt funzt nicht "normal". Genügsam mit diesem Gedanken ins Bett, leicht irr grinsend (weil an Arno Schmidt und das "Wiehern des Gehirntiers" denkend).

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