Mittwoch, 28. April 2010

Di, 27.4.10 (Mi, 28.4.10, 4:31): Wundern statt Wissen

Erst eben entdeckt, wie sich Themen über zehn Jahre spannen. Nämlich im di.gi.2000 steht heutzutage: "sozusagen unbeteiligt [...] das nur noch und damit erst wirklich als WUNDER begreifen."

Sich Wundern als Modus. Statt Wissen. Im Luna liest Jürgen Teipel aus "Ich weiß nicht". Da erstmal nur auftragsgemäß und wie üblich unlustig hin. Dann angefixt von diesem Modus, den ich wie folgt beschrieb:

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Offenheit statt Bescheidwissen

Jürgen Teipel las im Luna aus seinem Roman "Ich weiß nicht".

Kiel - "Auf der einen Seite war ich einfach nur total gespannt, was es alles zu entdecken gibt. Auf der anderen Seite fühlte ich mich, als ob es in Wahrheit überhaupt nichts zu entdecken gibt ... Als ob alles zwar nicht dasselbe ist. Aber doch irgendwie bekannt. So ein: 'Ja, ich gehöre hierher ... es ist irgendwie alles in Ordnung.'" Jürgen Teipels Ich-Erzähler in seinem neuen Roman "Ich weiß nicht" könnte man als naiv bezeichnen. Teipel charakterisiert ihn lieber so: "Er ist offen, er ist keiner dieser Alles- und Bescheidwisser."

Gespannt war man auf Teipels ersten Roman nach der gefeierten Pop-Studie "Verschwende deine Jugend". Doch was er nach sechs Jahren Arbeit in "immer dünner werdenden Fassungen" als Road-Movie einer Handvoll Techno-DJs durch Mexiko ablieferte, scheidet nun die Kritiker. Mancher Kollege aus dem Pop-Universum frage: "Was ist das für'n Schwachsinn?", im Feuilleton hingegen finde das Buch freundlicheres Echo. Zu Teipels Lesung im Luna kommen indes nur fünf zahlende Gäste - womöglich weil es zu viele Bescheidwisser in der Generation Pop gibt, die in Teipels Roman "die Negativität" vermissen. Aber einen Post-Pop- oder Punk-Roman wollte er ganz bewusst nicht schreiben. "Das lag zwar nach 'Verschwende deine Jugend' nahe, aber darauf möchte ich nicht festgenagelt werden." Das Lebensgefühl einer offenen Weltzugewandheit, eines Staunens über die Wunder des Normalen, einer ekstatisch-meditativen Wahrnehmung, die als Droge den Peyote-Kaktus allenfalls als Verstärker braucht, ansonsten reicht die bare Wirklichkeit, fand Teipel in seinen Interviews mit Techno-DJs. Sie berichteten ihm von Erfahrungen, die Welt als ganzes Gutes zu sehen, wo "irgendwie alles in Ordnung ist". Dies fand Teipel buchenswerter als verschnörkelt intellektuelle Nihilismen und Weltverbesserungsschmerze.

Der Autor hat nach eigenem Bekunden mit dem neuen Buch "einen Riesenschritt" getan - weg aus den Pop-Punk-Zusammenhängen mit ihrer ideologischen Verhärtung hin zu etwas, das man als neues Hippie-Bewusstsein bezeichnen könnte. Wenn man denn wollte, denn auch das wäre zu viel des erneuten Bescheidwissens. Teipel und seine Figuren dagegen wollen nicht wissen, sondern einfach nur erleben, erfahren, fühlen, was die Welt ist und im Innersten wie an der Oberfläche zusammenhält.

"Ich wollte ein ganz freundliches Buch schreiben", sagt Teipel. Und genauso kommt es rüber, wenn er den O-Ton aus den DJ-Interviews, die er zur Recherche geführt hat, vom Klang her eins zu eins ins Buch übernimmt. In den Zeilen wirkt das oft unfreiwillig komisch, zwischen ihnen spürt man aber genau das sprachlose Staunen an der wunderbaren Welt, das Teipel zeigen wollte. Der Balanceakt zwischen "Sprache, die immer gleich alles zementiert und vorgibt zu wissen", und jenem bewusst Ungewussten, weil Erlebten gelingt ihm dabei auf geradezu magische Weise - auch oder vielleicht gerade vor nur wenigen Zuhörern.

Ein Ausschnitt aus der Lesung ist vom 24.5. bis 6.6. am Literaturtelefon Kiel unter 0431/901-1156 und auf www.literaturtelefon-online.de zu hören.

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(Prolegomenon a posteriori: Das Un[g/b]ewusste ist das Wunder[n].) ((Verschwinde (überwinde) deine Wunder!))

Mo, 26.4.10 (Mi, 28.4.10, 4:12): seit geraumer Zeit

Ja, schon klar, die Vorsätze greifen nicht. Hier wird nach wie vor, im Davor, das immer schon das Danach ist, hintergeschrieben, verspätet in der alltäglich wachsenden Verfrühung.

Die Tage und Nächte ohne Lillys Gegenwart (abgesehen von telefonischer und skypender) gleichen sich im Kontinuum der selbst nicht Gegenwärtigkeit. Die Verschiebungen nicht nur der Arbeitszeiten, im ganzen Sein. Das beständig voreilende Nachhinken. Draußen im Wetter, das schwefelgelb abendlich frühlinkt, als echote es herbstlich. Und von weit, wissen wir ja weiter, schweigt, nein wispert der Sommer vom Winter.

Noch auf die Schnelle Notersatz zur Verfertigung eines KN-Vorberichts über Piet Klockes neues Programm. Dazu im Netz recherchiert und den knallfröschigen Satz gefunden: "Raum und Zeit existieren seit geraumer Zeit."

Ungefähr so schon vor Mitternacht auf die alliterierend zerreimte Matratze.

Montag, 26. April 2010

So, 25.4.10 (Mo, 25.4.10, 4:25): Frühling vorm Balkon

Absurd spät auf an die absurden Layouts. Dann zum Brunch bei dakro. Schlage da auf, irgendwie atemlos, praktisch und metaphorisch. Die Party ist schon zuende, weil sie nicht zuende ist. Plötzliches Gefühl von Freundschaft und Aufgehobenheit. Setze Kaffee auf. Dann nicht rauchend auf dem Balkon, wo der Frühling brüllt und Thymian duftet. Telefon Lilly. Auf dem Weg dahin (und zurück) durch den Schrevenpark erstaunt die Grillgemeinden unter ihren Rauchwolken beobachtet. Gefüllte Eier und Quiche gegessen, genossen.

Spätnachmittags wieder im Textheim. Bestürzt festgestellt, dass die Indoor-Raucherei im Frühlingsfrühabendlicht bereits wieder die üblichen Nikotinablagerungen in den Arbeitszimmerecken zeigt. Aber heute eh nicht rauchend, weil atemlos.

Weiter an den Kleinkramarbeiten. Abends ausführlich mit Lilly getippt. Darin viele interessante Gedanken, die ich erst fürs di.gi loggen möchte, dann aber genau das nicht tue, weil ich ihre und meine zweisamen Gedanken nicht zum Material für den Text vorm Balkon machen will. Nur so viel: Es geht um luzides Träumen.

Morgens um 8, nach zwei Stunden Schlaf aus eben solchem aufgewacht: Darin wurde ein Monumentalstück Wagnerschen Geamtkunstwerkausmaßes aus meiner Feder aufgeführt, mit mir in der Hauptrolle (Autorenfilm ;-). Aber ich habe meinen Text vergessen. Ein Heer von Souffleusen in Gestalt Lillys, vervielfacht, eilt herbei, weiß den Text aber auch nicht. Ich dekretiere, da auch Regisseur, dass der Text entfallen kann. Er sei nicht so wichtig. Film läuft ab ohne Text-Track.

Nachts nach Gute Nacht mit Lilly weiter am Üblichen. Auch dem des di.gi.ariums. Der olle Satz aus den Gedichten von dada-mals: "einer der erste tage des frühlings / zweizolltief das luftmeer ..."

Sa, 24.4.10 (Mo, 25.4.10, 3:40): Archäologie des Textens

Das Versprechen von gestern, dem d.gi.arium mehr vorne stehende Priorität einzuräumen, erwartungsgemäß nicht eingelöst. Das liegt aber auch daran, dass mir zwischen all der Prosa der Arbeit zu seiner Poesie wenig einfällt und der Mut fehlt.

Dass ich wiederum spät erst aus den Federn an die Feder kam, ist allenfalls noch als solches Bonmot eine Erwähnung wert. Und dazu setze ich mal flink den Augenzwinker-Smilie ;-)

Lebensart-Layout war zu durchwursten (der Job ohne Geld, also ungeliebte allmonatliche Ausübung des Hobbys). Dabei diese irre gute türkische Knoblauchwurst verzehrt, die es seit einigen Tagen im SKY-Markt gibt (sonst nur beim Döner-Mann, der sie jedoch irgendwie unwillig verkauft).

Nachts dann an die Texte für KN. Ad 1 über Cinarchea (Teil 2, Preisverleihung). In der Kunsthalle tauche ich struppig auf, schüttele Hände derer, die trotz meiner etwas landstreichenden Erscheinung wissen, dass ich ihnen gewiefte Texte schreibe - der Herr aus dem Ministerium, die Dame von Filmwelt, der infomedia-hurtige Kollege und der sympathisch wirre Festivalleiter. Bin fasziniert von dem akademischen Zusammenhang, von den Archivaren, die Textarchäologie betreiben, namentlich der Fex von der Berliner Firma media-science.de, die "Metropolis" restaurierte (mit dem neu gefundenen Material aus dem Filmmuseum Buenos Aires). Was mich daran fasziniert: die Akribie, das sich Versenken der Archivare in den alten (Film-) Text, dieses unbedingte aufbewahren und wieder hervorrufen Wollen, diese Wiederauferstehungshebammenkunst. Solche brauchen Autoren, die ihre Archive so unpfleglich behandeln wie ich mich selbst.

;-)

Danach weiter im Text für Dota & Die Stadtpiraten. Nachts um weit nach 5 will ich eigentlich einfach nur noch einen alten Text über dieselben recyclen, sprich "anhübschen", gerate dann aber dabei ins Fabulieren, total angefixt vom neuen Album "Bis auf den Grund".

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Den Liedern auf den Grund gegangen

Dota & Die Stadtpiraten präsentierten in der Pumpe ihr neues Album.

Kiel - "Die Erde ist eine Scheibe und bis zum Rand erschlossenes Land", ein Vers, den man sacken lassen muss. Wenn man denn Gelegenheit dazu hätte, denn solche aphoristischen Wendungen und Hakenschläge folgen in Dota Kehrs Liedern so schnell aufeinander, dass kaum Zeit bleibt, den Mund staunend offen stehen zu lassen.

So auch nach etwas mehr nach einem Jahr wieder in der Pumpe, die Dota und ihre stilistisch versierten Stadtpiraten mit ihrem neuen Album "Bis auf den Grund" kapern. Das Lied vom allzu erschlossenen Land wie auch das aufsässig-sehnsüchtige "Kein Morgen" (vom Vorgängeralbum) skandieren Dotas Fans mit. Aber auch die neuen Songs bergen Hitpotenzial für Hirne und Herzen, die sich von Dotas Texten dorthin entführen lassen, wo die Poesie den Realien des Lebens, Liebens, Leidens und nicht zuletzt des Liedermachens selbst auf den Grund geht.

Wir leben "zu nah am Boden", weiß Dota im gleichnamigen Song und plädiert dennoch nicht fürs Abheben in betäubende Ekstase. Für den Titel- und Schlüsselsong "Bis auf den Grund" steht die "Kleingeldprinzessin", wie sie sich wegen ihrer straßenmusikalischen Herkunft einst nannte, ganz allein mit Klampfe auf der Bühne und "auf einer Sandbank im Ozean", von der aus man den Grund sehen kann. Nicht sie ist dabei das zarte Geschöpf, das sie augenscheinlich ist, sondern ihre Poesie, die sich waghalsig in die Zwischenräume, die Fugen und Widersprüche stürzt. Was könnte man Einsichten wie "die Liebe ist ein Schiff aus Papier mit einem Mann über Bord" noch hinzufügen, als sie einfach so auf dem Grund stehen zu lassen, ihnen mit geradezu in den Boden gebohrter Andacht zu lauschen?

Doch Dota ist eben nicht nur Poetin, die den Geist der Hamburger Schule aus den 90er Jahren, von Bands wie Blumfeld oder Tocotronic, fortsetzt in eine "Berliner Schule" des neuen Jahrzehnts. Sie ist wie diese - womöglich unfreiwilligen - Vorbilder zusammen mit ihren Stadtpiraten auch eine Musikerin, die mittels Ska, Reggae und mancher Jazzplauderei aus den metaphysischen Versen einen Tanz zaubert, der die beklagten und bedichteten Verhältnisse ebenso wie das Publikum zum Tanzen bringt. Vielleicht ist das, mehr noch als diese wahnwitzig tollen Texte, ihre Meisterschaft.

So wird "die schnaubende Wut", mit der sie "Im Glashaus" lauert, nicht nur textlich erfahrbar. Es ist auch eine Nummer, die revoluzzendes Tempo macht. Ein ebenso frischer Wind weht im nächsten Song, fürs nächste Album - Nomen est Omen: "Wir warten auf Wind". Der bläst schon im Untergrund und haucht am Ende offen aus. Wie ein Fragezeichen statt eines Rufzeichens sind die Schlüsse in vielen Songs der Kleingeldprinzessin, die die ganz großen Münzen rocken, rollen und reggaen lässt. Was sie sich ausdenkt, muss sie nicht zu Ende denken, das überlässt sie ganz bewusst dem Publikum. Das verliert in Dotas Liedern den Boden unter den mittanzenden und mitdichtenden Füßen. Denn so soll es sein, wenn man den Dingen auf den Grund geht.

--- snap! ---

Lilly hat zwei Toystory-Figuren erworben. Eine, sagt sie, ist für mich: Das kleine Kunstmonster mit den beweglichen Armen und Beinen und drei Augen im Grinsekopf.

Samstag, 24. April 2010

Fr, 23.4.10 (Sa, 24.4.10, 1:45): Flüchtiges Archiv

Am späten Vormittag Anruf, schneller KN-Auftrag, bitte sofort in die Kunsthalle, um noch fix einen Bericht über das Archäologie-Film-Festival Cinarchea für die morgige Ausgabe zu stricken. Kommt mir nicht ganz ungelegen, weil es mich aus dem Trott der Arbeit in überschaubaren Arbeitseinsatz reißt.

Interview mit Festivalleiter Kurt Denzer über das Festival, wobei am Rande die interessante Frage des Archivierens auftaucht. Nämlich wie haltbar heutzutage nur noch digital angelegte Archive sind. Darüber noch länger nachgedacht. Ob nicht vielleicht sogar Vergänglichkeit von Aufzeichnungen, deren mangelnde Haltbarkeit anzustreben ist. Damit auch eine gewisse Rechtfertigung des Füllfunks hier im di.gi.arium nun schon seit Tagen. Der muss nicht aufbewahrt werden, er entsteht eigentlich nur, um das Tagesarchiv vollständig zu halten. Eine Art Platzhaltertext. Text um des Schreibens willen - und wiederum das reflektierend. Archivierwütige Flucht ins Archiv.

Entschluss: Die Arbeit am di.gi.arium in Zukunft nicht mehr als Letztes des Tages (bzw. der Nacht) machen, sondern vielleicht als erstes der Abendarbeitsphase. Also "bevor" statt "nachdem". Allein schon dieser Entschluss schafft Erleichterung, nimmt den Quälgeist aus dem Archiv, indem er ihn darin einschließt.

So morgen weiter im Archiv, dem flüchtigen.

Do, 22.4.10 (Sa, 24.4.10, 1:19): Weiter im Text

Den ganzen Tag weiter an den laufenden Brotjobs. Durch den Lebensart-Dschungel gekämpft. Dann Anzeigen- und Web-Layout. Erst Abends Lockerung der selbst angelegten Fessel. Ein Gefühl von erleichterter Erschöpfung, das sich aber sofort in weiteren Eifer ummünzt. Bis spät nachts versucht, das Programm Adobe Dreamweaver zu erforschen. Dabei die Zeit vergessen und in die Verzettelung geraten. Dürre.

Donnerstag, 22. April 2010

Mi, 21.4.10 (Do, 22.4.10, 4:23): Dichter als dicht

Auwei, schon wieder früher als morgen und die Flaschen leerbegütert. Dichter als dicht wie all die Nächte, angetrieben von Substanzen, die die Substrate erst ermöglichen.

Mit Programmen gekämpft, mit Layouts und schließlich mit den Lebensart-Texten für die Mai-Ausgabe. Der April ist nahe seinem Ende, das ich nicht will, aber muss. Wie jeden Monatszyklus.

Derweil installiert Lilly einen hoch interessanten Blog, in dem sie ihre Lektüre von Musils "Der Mann ohne Eigenschaften" protokolliert. Eine Art Lesetagebuch anhand eines Großtextes. Da will ich mitmachen. Erste Gedanken zum Begriff Eigenschaft, dem der des "Eigensinns" nicht fehlen darf. Eigensinn als Kategorie bei Brecht, Negt/Kluge - und, wenn auch nicht explizit, bei Goetz.

Ich eigensinne.

Erst jetzt, nach dem Arbeitspensum, das sich wieder endlos erstreckte. Damit dicht keine Kraft mehr zum Dichten. Wenngleich es auf dem Fahrrad hechelnd durch die schon wieder winterliche Nacht an Ampelstopps zu gedanklichen Verdichtungen in Versform kam.

Es kam zu Eigenschaft.

Und es kamen Korken in den Müll, nachdem sie sich in Flaschen befunden hatten. (Sie wurden entzwängt.)

Und es kam zu einer Duschung. Die Haare hernach irrsinnig im Spiegel. Irrlichternd ich: Vor dem Haus, auf die Straße tretend eine seltsame, zu seltene Figur.

Der Dichter indes spricht (gerade mal) nicht.

Di, 20.4.10 (Mi, 21.4.10, 5:16): Dichtor

Noch schlimmer fingernd als Goetz' "Bösor, Höllor und Ernstor" ist natürlich das Jute-statt-Plastik-Geschöpf Dichtor, wie am gestrigen Film-Dirigat mal wieder zu sehen ist. Das di.gi.arium nachtgeistert, ist (arbeitszeitlich gelegentlich ausuferndes) Anhängsel des Arbeitstages, daher oft schräger als schräg.

Egal: Nach bis Nachmittag Schlaf weiter in den Texten, den Layouts, die vertretungsweise (weil daheimgeblieben und heimgesucht) für in Folge der vulkanischen Aschewolke urlaubsrückflugverhinderter Kollegen zu machen sind.

Der Dichtor wird dabei viel kleiner als er wäre. Gebrauchstext, das zeitungene, zeitzüngelnde Raunen breitet sich am Bildschirm. Und die Nacht wird zum Tag.

Ganz allmählich, dämmernd, hellhörig.

Dienstag, 20. April 2010

Mo, 19.4.10 (Di, 20.4.10, 5:16): clockwork asche

(für lilly)

dreimal schlägt es es-dur,
die asche rührt uns
dirigierend geistlich,
dreimal war ich glöckner.



ach, glaube meiner zauberflöte,
wenn nicht mehr mir, so laubend
ihrer ouvertüre,
dem fugato, dem ich ausgenommen rinne.

und entrinne,
wenn ich's wende, wünsche:
das diesseits ist die lüge,
jenseits findest du mich unverwandt.

du siehst mich, wo
ich ekstasiere,
bin noch hier und da das
winkewunderkind.

doch nur für dich
sagt dieser blinde text,
mein (verstockter) hirte,
was die schafe bellen:

ein jedes ist an meiner hand,
auf deichen bin ich anverwandt
dem grasen, wo du
friedlich wirst mich finden.

So, 18.4.10 (Mo, 19.4.10, 13:13): Koketter Kokon

Nicht aus dem Kokon, nur ich, um gegen Mittag einen Meck-Pomm-Döner, zweimal zum Mitnehmen, zu holen, da es aber keine Pommes gibt in Vorpommern gerade, die unübliche fleischliche Ration und einmal Falaffel mit viel Käse. Die Plastikgabeln des Cam-ping-Menüs. Dann weiter im Film, bis die Projektoren uns heißlaufen (Laptop auf den Knien als Heizquelle im doch noch nicht warmen Frühling, der durchs offene Fenster motorradtreffend röhrt, nacktfüßig gegenan fächelnd). Gegen Spätnachmittagfrühabend (man kann das lichtmäßig sommerzeitlich nicht auseinanderhalten) in beiderseitige Leseverhaftung, Nietzsche versus Goetz. Ein schönes Paar, dieses wie jenes. Paarung des Denkens. Später weiter durchs Büro der "Capitol AG". Und zur Nacht die Fortsetzung der nicht fortsetzbaren "Unendlichen Geschichte". Auf in die Träume, gepresst wie in einem Herbarium zwischen zwei Buchseitenwänden. (Die schon geahnte Last der noch von fern drohenden Abreise.)

Montag, 19. April 2010

Sa, 17.4.10 (Sa, 17.4.10, 21:56): Savonnette

Lilly ist in der Oper, Wagner, "Fliegender Holländer". Für mich hätt's wider Erwarten auch noch eine Karte gegeben, aber bin Jackett-los in G. und viel zu zerzaust. Traue mich so nicht ins Opernhaus. Also Zeit, di.gi.arium nachzutragen. Vorher noch Versorgungsgefühl, weil ich zum Einkaufen gehe, mit riesiger Ikea-Tüte voller leerer Wasserflaschen, 8,66 Euro Pfand. Und zurück mit Leckereien.

Mittags Kauf der kleinen Taschenuhrsammlung, zwei von zweiundsechzig. Beobachte Lillys Hände, wie sie auf der Bank nebenan sitzend mit zärtlicher Sorgfalt das Gerätchen auspackt und der "Fingerkuppenseligkeit" beim Aufklappen der Savonnette nachspürt. Die Wunder der Wörter: Savonnette! Ein Wortklang, der auf der Zunge und in der Seele zergeht, den man vor sich hin flüstern kann, wie jetzt die Zeit in der Tasche getragene ist. Die Ernsthaftigkeit, die diesem zwar replizierten und massenhaft produzierten Gegenstand innewohnt. Ein Konnex zum Retro-Rekurs auf die einstmalige Existenz des Originals. Abbild des Abbildes, zeitenverschränkt. Konnotatuniversum. Kurz: Savonnette.

Weiter ins Wohnzimmer des Buchladens, an dem wir nie vorbeikommen. Stöbern, Blättern, Schauen, Zeigen, Seitenzauber. Jane Austen-Sammlung vervollständigt: "Mansfield Park", was wir später gucken. Und Lilly zieht den Goetz aus dem Regal: "loslabern". Klasse blaues Bändchen (in der Vieldeutigkeit dieses Begriffs, Frühling lässt sein ..., Titanic usw.).

Dann rasch heim, in den Camping-Kokon, um die Schätze zu beäugen. Spätabends noch "Die Geisha". Gespräch über Kulturen, das anders Sein als Objekt des Interesses, der Erforschung und Empathie. Bettwärts lese ich noch im Goetz. Nach Monaten, wenn nicht Jahren wieder das Gefühl, lesen zu wollen, ohne dass es dafür einen Anlass geben müsste. Wie lange ich schon nicht mehr Bücher lese (außer mit Lilly wieder), ist mir ganz abhanden gekommen. Jetzt wieder da, plötzlich, vertraut wie eine alte, lange nicht mehr geübte Kulturtechnik. Auch greifbar erinnerlich die Stimmung, in der ich war, als ich während der Lernerei fürs Diplom Goetz las (damals "Krieg"). Mache Eselsohren in die Seiten, auf denen was Aufzubewahrendes steht. Z.B. dies: "zu viel Ego, zu wenig Egal" - die Gegenposition zum di.gi.arium und doch recht nah an dessen Ansatz. Und einfach als Zitat buchenswert.

Samstag, 17. April 2010

Fr, 16.4.10 (Sa, 17.4.10, 21:30): Taschenuhr

Zweiter Tag in G. Hier bin ich immer weit weg von den Kieler Arbeitszusammenhängen, mehr als Urlaub - auch vom di.gi.arium. Ein Wochenende anders aus der Welt fallen, in Lillys Welt. Bin nicht einfach ögyr, sondern Lillys ögyr. Lausche ihr, ihren Geschichten und Gedanken. Und nehme teil, innig, versunken, an ihrer spontanen Begeisterungsfähigkeit. Bei allem ist sie immer ganz dabei, unverzettelt, nie so fahrig wie ich. Sie entdeckt das Retrovergnügen von Spielzeugautomaten, wo man 20 Cent einwirft, dann einen schwarzen Knopf dreht und unten fällt ein Überraschungskügelchen heraus. Schließlich sogar ein blau-silberner Ring. Wie sie den freudig hüpfend ansteckt ...

Nachmittagsvorstellung im Kino, wir ganz allein im Saal. Eiskonfekt und "Dorian Gray". Nicht nur wegen Oscar Wilde fasst uns das an. Einfach ins Kino ist nicht, da entfalten sich Welt, Verwerfungen, Drama von tragödischem Ausmaß. Man könnte das tiefer hängen. Nicht mit Lilly. Ihre Tränen, das steckt an. Nah dran an Enormem, Weitreichendem. Erst später verflüchtigt sich das, weiteres mitgebrachtes Filmprogramm auf dem Laptop.

Vorher aber entdeckt sie im Tabakpresseladen die Reihe "Taschenuhren-Sammlung", wovon es schon über 60 Hefte gibt, jeweils mit einer Replikation einer historischen Taschenuhr. Ästhetische Kleinodien, auch wenn sie nur "nachgemacht" sind. Wichtig ist die Chiffre, die Anmutung, der Hauch. Noch mag sie’s nicht mitnehmen, recherchiert lieber erst im Netz, macht sich kundig und versinkt wieder mit dieser Begeisterung in solcher neuen Sphäre. Entschluss: morgen eine Taschenuhr, zur Probe.

Sie sagt: "Zeit bei sich tragen." Mit dem Gedanken relativ früh und beseelt ins Bett.

Do, 15.4.10 (Sa, 17.4.10, 21:10): Reise

Bis morgens an dem Videopoem gebastelt, insgesamt fast 10 Stunden. Erst mittags für paar Stunden ins Bett, dann sehn- und schlafsüchtig in den letztmöglichen Zug nach G. Fahren, fahren, umsteigen. Fahren, fahren, umsteigen ... und dabei unausgesetzt dem Einfall der Dämmerung und schließlich der Dunkelheit zusehen. Kontemplativ. Selbst dämmernd. Die unaufschreibbare Poesie des Reisens, der Ortswechsel. Unterwegs. Abends spät endlich bei Lilly. Vertrautes Zimmer. Wieder in der gemütlichen Ecke. "Stromberg" schauen. Und neben der Humorspur davon beide seltsam berührt, mitleidig und fremdschämend.

Donnerstag, 15. April 2010

Mi, 14.4.10 (Do, 15.4.10, 7:18): bug | wund

der bug bleibt wund,
das heck, das herz beweglich.
und gesund wir anhalter
versunkener provinz im osten.
die zarte geste der DNA,
die gäste des fallens
und steigens
im fall der phalle.
die krähen im nest,
flügelnd heimkehrende.
meine stimme auf den gleisen,
die gestellten weichen:
tragik der häuslichkeit,
überdacht.
und noch sind wir alldieweil
zwischen den zwischenräumen
der vers, der unbekannte
kant, die cunt.

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