Sonntag, 28. Februar 2010

Sa, 27.2.10 (So, 28.2.10, 5:06): Dekompostierungsmaschine

"Dichtung ist die Dekompostierungsmaschine der Sprache." Satz, der mir im Traum einfiel, bereits im Traum als Kommentar zum Traum. Mir träumte nämlich von einer Dekompostierungsmaschine, die aus Humus wieder die Pflanze zusammensetzt, aus der die Humuspartikel durch Kompostierung entstanden sind. Nach dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik ist eine solche Maschine nicht möglich, im Traum schon. Bevor die Dekompostierungsmaschine zum Einsatz kam, hatte die Entropie eines sozialen Systems, in dem ich mich befand, zugenommen, indem es zerbröselt war. Reißende Bindungen, Freunde, die sich nicht mehr verstehen, weil sie plötzlich unterschiedene Sprachen sprechen. Oder ein Haus, das explosiv eingestürzt war.

An einer handelsüblichen Kompostierungsmaschine fand ich jedoch einen Hebel, der sie reversibel arbeiten ließ. Man lud den Schotter auf ein Förderband, das sich in die Maschine fraß, und hinten kam wieder ein ganzes Haus raus. Oder aus Silbensplittern wurde eine ganze Geschichte, die hinten, am Ende der Dekompostierungsmaschine, als Film flimmerte, erst schwarz-weiß zuckend, sich dann mehr und mehr zu einem 3D-Hologramm zusammensetzend. Darauf ich, wie ich ein riesiges Orchester dirigiere. Ich sehe mir dabei von hinten zu (also von hinter der Leinwand, von dem Ort aus, wo ich zerborstene Celli auf das Förderband schaufele), wie ich einigermaßen hilflos dirigiere. Dennoch wird irgendwie Sinfonie daraus. Ein monumentales, kunstmonströses Geburtstagsständchen für eine verstorbene, jetzt aber wieder quicklebendige, Patentante. Gleichzeitig aber Geburtstagsgeschenk vom Filmteam, den Arbeitern, die die Dekompostierungsmaschine bedienen, für mich, der ich schon immer mal ein Orchester, ein ganz fettes, dirigieren wollte.

Der Dekompostierungsvorgang scheint aber nur einmal zu funktionieren, augenblickshaft. Man muss einen richtigen Moment abpassen, damit er funzt. Also ziemliches Rumgehühnere mit supergenauen, voll großen und enorm laut tickenden Stoppuhren, die alle genau aufeinander abgestimmt werden müssen. Zeitfragmentierung rückgängig machen. Sie laufen rückwärts. Countdown. Auch die Worte lesen sich alle rückwärts: Kompostor - Rotsopmok.

Mich quält, dass man diesen Augenblick der Dekompostierung doch eigentlich irgendwie dokumentieren müsste. Im Traum ist das die Gewissheit, dass man diesen Traum, so plastisch er ist, im Aufwachen vergessen haben wird, weshalb es eine Maschinerie geben müsse, ihn aufzuzeichnen. Da das eine schöne SF-Geschichte ist, bitte auch gleich mit einem Drehbuchdrucker hinten dran, um das alles nachher, wach, zu verfilmen. Es fällt aber schwer, ein Kamerateam aufzutreiben, das die Szenerie rund um die Maschine filmt. Schließlich leihe ich mir von einem der Rotsopmoks eine Kamera, nur fehlt mir eine MiniDV-Kassette. Der Rotsopmok hat mich noch gewarnt, dass mir die eh nichts nützen werde, denn in Folge des 2. Hauptsatzes der Thermodynamik könnte man den von diesem "verbotenen" Dekompostierungsakt eh nur "live" übertragen. Ein Band werde hinterher nichts enthalten, nur "Humusrauschen". Ich mache mich dennoch auf die Suche. Ich weiß auch genau, wo in dem am Ende der Dekompostierungsmaschine wieder aufgebauten Haus MiniDV-Kassetten zu finden sind. Ich müsste mittels eines "Quantentunneleffekts" mal eben ganz kurz auf die andere Seite, um eine hierher zu holen.

Im Kreis Gelaufe in irgendeiner sich daraus ergebenden Paradoxieschleife, die ich ganz und gar verstehe, aber schmerzlichst in ihr leide. Filme mich dabei nabelschaurig mit der Kamera und lasse das "Humusrauschen" auf das Förderband der Dekompostierungsmaschine fallen, wo es sich mit dem Schotter vermischt und den Hauptsatz überlistend am Ende mit in den Film dekompostiert wird, in dem man nun aber alles, etwa mich, den Dirigenten in dem großen Haus mit dem großen Orchester, sowohl von hinten wie von vorne sieht. Der Angriff der übrigen Zeit auf die Gegenwart.

Schweißgebadet vom Dirigieren aufgewacht. Und noch trunken. Lilly steht vor der Tür und berichtet mir genauso trunken ihren Traum, der ähnliche Elemente durchkonjugiert. Und wegen der "Harry Potter"-Filme der letzten Stunden und jetzt gleich noch eines ("... und der Feuerkelch") gleichsam wissenschaftliches Gespräch über Fabelwesen wie die mich hoch faszinierenden "Dementoren".

Die Schwindelerregung hält den ganzen Tag an. Abends autoaufgefischt von dakro auf einer "Sylvester-After-Show-Party". Reste-Trinken bei Pipe L. in Fr'ort. Schön schräg wir stündlich trunkener werdenden Künstler, all die feinen selbstironischen Inszenierungen und Maskeraden, das Geschichtenerzählen in Gesten. Lilly und ich auf dem Sofa im Nebenraum, das aus lauter Brokat besteht, barocke Szenerie, gleichzeitig lippenfuseliggeredetselig. Blick auf den Flügel, auf dem keine Beethovenbüste steht, sondern ein abgegriffenes Portraitbild von Bernd Begemann. Rauchen am Kamin. Der quälende Traum löst sich in Rauch auf. "Expecto patronum!"

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